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Geplante Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie für Transparency Deutschland noch lückenhaft

Was in einem nationalen Gesetz noch stehen sollte

Dr. Sebastian Oelrich -  Co-Leiter der Arbeitsgruppe Hinweisgeberschutz von Transparency Deutschland Quelle: Transparency Deutschland Dr. Sebastian Oelrich Co-Leiter der Arbeitsgruppe Hinweisgeberschutz Transparency Deutschland 11.10.2022
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Dr. Sebastian Oelrich von Transparency Deutschland freut sich, dass bei der geplanten nationalen Umsetzung der EU-Whistleblower-Regeln Anregungen aus seinem Haus aufgenommen worden sind. Allerdings bleiben aus seiner Sicht wichtige, korruptionsanfällige Gebiete nach dem jetzigen Entwurf vollkommen vom Gesetz ausgeklammert.







Whistleblower sollen sich sowohl künftig sowohl an interne oder externe Meldestelle werden dürfen. Wie wichtig ist die Wahlfreiheit aus Ihrer Sicht?
Diese Wahlfreiheit ist aus zwei Gründen sehr wichtig: Einerseits ist sie für meldende Personen hürdenarm, da sie selbst entscheiden können, wem sie vertrauen und wo sie sich mit ihrer Meldung am besten aufgehoben fühlen. Sie werden so nicht gezwungen, sich beispielsweise erst an den Arbeitgeber zu wenden, wenn sie von diesem Repressalien erwarten oder die Meldestelle nicht vertrauenswürdig ist. Andererseits schafft es richtige Anreize für Unternehmen selbst sehr gute Meldestellen zu schaffen und eine positive Hinweisgeberkultur zu etablieren. Da 9 von 10 Hinweisgebenden zuerst intern melden, ist auch mit einer Flut an externen Meldungen kaum zu rechnen.

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Langfristig sollen alle Unternehmen und Verwaltungen mit mehr als 50 Beschäftigten eine interne Meldestelle haben. Wie bewerten Sie diese Grenze - auch hinsichtlich der Aufwände, die auf die kleineren Beschäftigungsgeber zukommen?
Die Meldestelle ist bewusst strukturell und inhaltlich offen gehalten, lediglich die Aufgaben werden vom Gesetzgeber definiert, so dass mit wenig Aufwand und bestehendem Personal bereits eine solche Meldestelle etabliert werden kann. Besonders für kleinere Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten hat der Gesetzgeber zudem sinnvolle Erleichterungen vorgesehen. So haben sie eine längere Frist bis zur Etablierung der Meldestelle und können sogar mit anderen Unternehmen gemeinsam eine solche Stelle betreiben. Besonders die ersten zwei Jahre werden Best Practices und Fallstricke offenbaren, von denen Unternehmen lernen können.

Geschützt sollen auch unzutreffende Meldungen sein, nicht aber vorsätzlich falsche. Wie bewerten Sie diese geplante Regelung?
Dies ist eine sinnvolle Abwägung verschiedener, legitimer Interessen. Einerseits würde eine strengere Regelung dafür sorgen, dass Whistleblower:innen zu Detektiven werden müssten und eventuell sogar illegal weitere Informationen beschaffen, um sich noch sicherer zu sein. Auch fehlt einigen sicher die notwendige (Rechts-)Expertise, um den Fall eindeutig einordnen zu können oder anhand des komplexen sachlichen Anwendungsbereichs zu verstehen, was gemeldet werden darf. Diese Unsicherheit darf nicht bestraft werden, da sie zu weniger Meldungen führen würde. Genau für diese Evaluation ist ja auch die Meldestelle mit ihrer Fachkenntnis zuständig. Sie kann entscheiden, inwiefern die Sachverhalte relevant sind und Ermittlungen durchführen. Oft ist es auch so, dass Hinweisgeber:innen einen Verstoß melden, der sich am Ende als ein anderer, gegebenenfalls noch schwerer, Verstoß offenbart. Eine Meldestelle hat zudem die Gesamtheit der Hinweise im Blick: ein einzelner Verstoß mag unter einer gewissen Schwelle sein, die Vielzahl der gemeldeten Verstöße aber wird relevant. Dagegen ist es richtig, gegen vorsätzlich falsche Meldungen vorzugehen, denn sie diskreditieren echte Whistleblower:innen und lähmen Meldestellen.

Was sollte aus Ihrer Sicht unbedingt noch in einem endgültigen Hinweisgeberschutzgesetz stehen - und was keinesfalls?
Gut ist, dass bereits einige unserer Forderungen aufgenommen wurden. Leider gibt es immer noch viel zu tun: der sachliche Anwendungsbereich, d.h. was gemeldet werden darf, ist komplex und lückenhaft und für den Laien wie Expert:in kaum sicher zu durchdringen. Derzeit sind auch anonyme Meldungen nicht verpflichtend zu ermöglichen, obwohl gerade diese Hinweise im Durchschnitt auf schwerwiegendere Delikte aufmerksam machen. Gerade im öffentlichen Bereich ist es schade, dass sogenannte Verschlusssachen fast vollständig ausgeschlossen sind und die nationale Sicherheit wird vom Gesetz nicht erfasst. So bleiben wichtige, korruptionsanfällige Gebiete vollkommen vom Gesetz ausgeklammert. Auch wurden die Hilfsangebote, die noch im Koalitionsvertrag vereinbart wurden, nicht umgesetzt. Hinweisgeber:inn haben weiterhin keine Möglichkeit sich unabhängig zu informieren, Hilfe zu suchen oder Unterstützung wie beispielsweise finanzielle oder psychologische Beratung zu erhalten.

Wir sind gespannt, was die Evaluation nach den ersten Jahren der Implementierung zeigt und inwiefern hieraus Lehren für einen besseren Schutz von meldenden Personen gezogen werden.

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