Als eine Herausforderung beim Fachkräftemangel gilt die Diskrepanz zwischen vorhandenen Qualifikationen und dem Profil-Bedarf der Unternehmen – welche Anreize sollte die Politik setzen, um das zu lösen?
Es ist richtig, dass es hier Diskrepanzen gibt. Vorweg ist aber zu sagen, dass die derzeitigen Probleme am Arbeitsmarkt darüber hinaus gehen. Der Fachkräftemangel hat sich längst zu einem allgemeinen Arbeitskräftemangel entwickelt, nahezu alle Branchen haben große Schwierigkeiten, ausreichend Personal zu finden. Und diese Situation wird sich durch die demografische Entwicklung noch verschärfen.
Um den Arbeitskräftemangel zu lindern, ist daher an vielen Schrauben zu drehen. Das beginnt beim Ausbau der Kinderbetreuung, um mehr Frauen Vollzeitarbeit zu ermöglichen, geht über Anreize, damit die Menschen im Alter länger in Beschäftigung bleiben, und reicht hin bis zur aktiven Anwerbung von internationalen Fachkräften. Zusätzlich müssen wir an der angesprochenen Diskrepanz bei den Qualifikationen arbeiten. Hier geschieht auch bereits einiges, etwa wurde auf Initiative der Sozialpartner im Vorjahr die Umweltstiftung ins Leben gerufen. Diese qualifiziert Arbeitslose in Form einer verkürzten, sehr betriebsnahen Ausbildung in Green Jobs. Aber wir werden noch mehr gezielte, praxisnahe Weiterbildung hin zu gesuchten Zukunftsjobs brauchen. Ebenso gilt es, die überregionale Vermittlung zu verstärken. Denn auch regional gibt es große Unterschiede am Arbeitsmarkt im qualifikatorischen und regionalen Mismatch.
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Wie können auch Menschen ohne Berufsausbildung für die Anforderungen der Arbeitswelt von morgen fit gemacht werden?
Auch hier gibt es die besten Erfahrungen mit betriebsnahen Schulungen, etwa hat das Arbeitsmarktinstrument der sogenannten AQUA-Ausbildungen (arbeitsmarktnahe Qualifizierungen) sehr hohe Erfolgsquoten. Hier sollten verstärkt auch Menschen ohne Berufsausbildung angesprochen werden. Aber auch die bereits erwähnte Umweltstiftung steht Menschen ohne Ausbildung offen. Wir haben zum Beispiel einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die ursprünglich eine Lehrausbildung abgebrochen haben, und jetzt im Rahmen der Umweltstiftung in verkürzter Form eine abgeschlossene Ausbildung erhalten. Eine gute Möglichkeit ungelernte erwachsene Arbeitskräfte zu Fachkräften zu machen, besteht auch über die AMS-Lehrstellenförderung. Hier unterstützt das AMS jene Betriebe, die bereit sind ihren erwachsenen Lehrlingen während der Lehrausbildung den Hilfsarbeiterlohn zu zahlen, indem es die Differenz zwischen Lehrlingseinkommen und Hilfsarbeiterlohn zum Teil oder zur Gänze fördert.
Darüber hinaus ist präventive Arbeitsmarktpolitik, d.h. die Förderung der Aus- und Weiterbildung von Beschäftigten, wichtig. Hier unterstützt das AMS insbesondere jene Betriebe, die Aus- und Weiterbildungen für geringqualifizierte Mitarbeiter:innen anbieten. Diese Förderung sollte ausgebaut werden.
Manche ausländischen Abschlüsse müssen in hiesigen Standards überführt werden – welche Instrumente sollte die Politik dafür schaffen?
Die oft fehlende Anerkennung ausländischer Ausbildungen stellt tatsächlich eine massive Hürde am Arbeitsmarkt dar, sowohl für Geflüchtete aus der Ukraine, die nun ja ohne Arbeitsbewilligung in Österreich arbeiten können, als auch für potenzielle Bewerber:innen für die Rot-Weiß-Rot-Karte. Hier hat es vergangenen Herbst bereits eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte gegeben, die sehr viele Wünsche der Wirtschaft berücksichtigt hat, aber bezüglich der Anerkennung von Ausbildungen braucht es weitere Verbesserungen. Als Wirtschaftskammer fordern wir eine Erleichterung bei der Punktevergabe für formale Berufsausbildungen, der Bedarf am Arbeitsmarkt sollte ein stärkeres Gewicht bekommen. Das könnte man durch die Einführung von Verfahren zur Kompetenzfeststellung lösen. Dazu gilt es passende digitale Tools zu entwickeln.
Als Wirtschaftskammer forcieren wir im Rahmen unserer Internationalen Fachkräfte-Offensive außerdem Kooperationen mit ausländischen Ausbildungsstätten und versuchen dabei solche zu identifizieren, deren Qualifikationen das AMS anerkennt.
Was können digitale Lösungen bei der beruflichen Qualifikation und Weiterbildung gegen den Fachkräftemangel leisten?
Digitale Lösungen sind der Schlüssel, wenn es darum geht, arbeitsplatznahe Qualifizierung sicherzustellen und passgenaue Lösungen für Betrieb und Mitarbeiter:innen zu schaffen. Nicht umsonst investierten Großkonzerne hohe Summen in die Qualifizierung Beschäftigter und weiten firmeninterne Trainingsprogramme aus. Die WKÖ hat hierzu mit WiseUp eine digitale Aus- und Weiterbildungsplattform gelauncht, die Unternehmen jeder Größe den Einstieg ins digitale Lernen und in die Wissenssicherung im Betrieb ermöglicht. Das Besondere an WiseUp ist, dass ein Schwerpunkt bei digitalen Ausbildungsinhalten für Lehrlinge liegt, also mobiles Lernen am Smartphone möglich wird. Das ist enorm wichtig für Österreich als starken Standort in der Lehrlingsausbildung. Generell ist digitales lebenslanges Lernen angesichts der massiven Transformation unserer Arbeitswelt für Unternehmen ebenso wie für Beschäftigte wichtig, und das wollen wir als Wirtschaftskammer fördern.