Das Spiel hält Einzug in den Ernst des Lebens. In Unternehmen, Verwaltung, Forschung und Lehre kommen Serious Games zum Einsatz und sollen die Arbeit sowie das Lernen vereinfachen oder Prozesse optimieren. Das birgt große Potenziale. Prof. Marco Zeugner von der Hochschule Merseburg erklärt in der Fachdebatte auf Meinungsbarometer.info die zugrundeliegenden Wirkmechanismen spielbasierter Prozesse und verweist auf die beachtliche motivationale Wirkung, die dem Spielen eigen ist. „Spielerinnen und Spieler investieren laut aktuellen Erhebungen oft mehrere Stunden am Tag in das Spielen von Computer- und Videospielen. Sie widmen sich dabei freiwillig und mit großem Engagement dem Lösen von komplexen Aufgaben und dem Überwinden von schwierigen Herausforderungen.“ Daher gelte es eine solche Hingabe auch in spielfremden Kontexten auszulösen, um Probleme und Herausforderungen des Alltags oder in wirtschaftlichen Prozessen zu meistern.
Prof. Dr. Willy Christian Kriz von der FH Vorarlberg, ergänzt. dass Spielelemente in erster Linie deshalb wirksam sind, weil ihnen menschliche Verhaltens- und Erlebensmechanismen zu Grunde liegen. „Es geht daher vor allem um Prozesse, die von der Forschung in der Motivations- und Emotionspsychologie beschrieben werden.“ Um das Potenzial zu heben, müsse man sich aber sehr detailliert Gedanken machen, um welche Art von Gamifizierung es sich handelt - etwa interne vs. externe, implizite vs. explizite, strukturelle vs. inhaltliche Gamification usw.. Auch das Einsatzgebiet und die Art menschlichen Erlebens oder Verhaltens, das genau verändert werden soll, müsse in den Blick genommen werden. Dann komme es azusätzlich sehr wesentlich auf die damit erreichten Menschen und deren Eigenschaften an. „Es braucht einen „Fit“ zwischen Spielelementen und bestimmten Eigenschaften der Zielgruppe.“
Für Cigdem Uzunoglu, Geschäftsführerin der Stiftung Digitale Spielekultur, ist es daher wichtig, dass sich Unternehmen im Vorhinein genau überlegen, in welchem Kontext sie auf Gaming-Elemente zurückgreifen wollen und was damit konkret erreicht werden soll. „Dazu gehört auch die Überlegung, ob für das Einsatzfeld wirklich Gamification, also das Gestalten von Prozessen mit spielerischen Mitteln, oder ein Serious Game sinnvoller ist.“ Serious Games eigenen sich aus ihrer Sicht etwa zum Erlernen von Arbeitsprozessen, da man sich in ihnen ohne Angst vor realen Konsequenzen selbst ausprobieren kann.
So liegen für Dr. Christian Niemand, Gründer und Geschäftsführer Cininet UG die unschlagbaren Vorteile von Gaming-Elementen in der Aus- und Fortbildung, da sie das interaktive Handeln und gefahrlose Training an digitalen Zwillingen dar stellen. Im Katastrophenschutz können nach seiner Erfahrung realitätsnahe Übungen mit Gefahrgut und radioaktiver Strahlung sowie der Umgang mit Brandmeldeanlagen deutlich einfacherer durchgeführt werden. Unter konventionellen Umständen ist das häufig nur mit Planspielen, Modellplatten oder großem organisatorischem Aufwand möglich. „Durch die immer realistisch werdendere Darstellungsqualität wird man in naher Zukunft visuell nahezu keine Unterschiede mehr zwischen Realität und Gaming-Umgebung wahrnehmen können.“
Prof. Dr. Lars J. Jansen von der HFH - Hamburger Fern-Hochschule lenkt den Blick auf das Recruiting. Insbesondere vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sieht er hier aktuell das größte Potenzial und zwar sowohl für das Personalmarketing als auch für die Personalauswahl. Personalmarketing habe die Aufgabe Bewerberströme zu steuern. Es sollen sich nicht möglichst viele, sondern möglichst passende Personen bewerben. „Je höher der Anteil der passenden unter allen Bewerberinnen und Bewerbern ist, desto besser wird im Rahmen der Personalauswahl die Trefferquote sein. Bewerben sich 100 Personen und keiner passt, kann ich auch mit der besten Eignungsdiagnostik niemanden passendes finden.“ In Recruiting Games oder Selbsttests, sogenannte „Matcher“, können potenzielle Bewerber etwas über das Unternehmen und den Job und ihre eigene Passung dazu lernen und auf dieser Basis dann entscheiden, ob sie sich bewerben wollen oder nicht.
Dabei spielt das Alter der Nutzer eine zunehmend geringere Rolle Prof. Michael Baur von der Hochschule Macromedia weist darauf hin, dass immer mehr Menschen wachsen mit Videospielen aufwachsen. Für diese sind Spielelemente/Methoden auch in einer branchenfremden Umgebung nichts Neues und dessen Umgang daher kein Problem. Skepsis komme meist von der älteren Generation, die nicht mit Videospielen aufgewachsen ist. Grund dafür sei auch die sehr kritische Betrachtung der Videospiele in den Anfängen in Deutschland, wie beispielsweise bei der Verbannung der Videospieleautomaten aus den öffentlichen Räumen, oder die jahrelange Debatte um die sogenannten Killerspiele. „Erst in den letzten Jahren, als die Videospiele als Kulturgut anerkannt wurden und mit der einsetzenden Förderung durch die Politik, beginnt die Akzeptanz nun auch in dieser Generation.“
Daryl Roske, Geschäftsführer der Pop Rocket Labs GmbH verweist in diesem Zusammenhang auf ein häufiges Missverständnis von Gamification, diese sei nicht zwingend gleichzusetzen mit einer starken Gaming-Visualität – bunt, verspielt und sehr illustrativ. „Auch wenn eine solche Darstellung für die Ansprache von jüngeren Zielgruppen relevant sein kann, ist eine Differenzierung an der Stelle notwendig: Motivatorische Maßnahmen sind in erster Linie Mechaniken zur Involvierung der Nutzer:innen, müssen aber nicht zwingend verspielt oder sogar kindisch sein: z.B. bietet ein Fortschrittsbalken Orientierung und stellt das Ziel deutlich dar – kann aber gestalterisch zurückhaltend und zielgruppenaffin implementiert sein.“ Daher sollten Gamification-Methoden mit einem kontinuierlichen Fokus auf das Zielpublikum konzipiert sein: eine motivatorische Wirkung kann so aus seiner Sicht auch für ältere Nutzer:innen erzeugt werden – diese muss nur passend sein.



