In der Pandemie hat die deutsche Pharmabranche ihre Innovationskraft bewiesen. Wie steht die Branche heute aus Ihrer Sicht ganz grundsätzlich da?
Insgesamt hat die Coronapandemie der Pharmaindustrie in den beiden letzten Jahren ein starkes Umsatzwachstum gebracht, welches durch neue Innovationen hervorgerufen wurde. Da der Bedarf nach Coronaimpfungen nahezu weggefallen ist und für einige Medikamente der Patentschutz ausläuft, muss sich die Branche auf ein geringes Wachstum in den beiden kommenden Jahren einstellen. Danach sollten sich die jährlichen Wachstumsraten bis zum Ende des Jahrzehnts wieder in Richtung 6-8% bewegen.
Aus deutscher Perspektive ist vor allem Biontech betroffen, welches im Jahr 2022 noch einen Umsatz von 17,5 Mrd. US$ hatte und damit unter die weltweit 20 umsatzstärksten Pharmaunternehmen gerückt ist. Dieser Umsatz wird sich in 2023 in etwas wohl halbieren. Dies zeigt die Notwendigkeit, neue Innovationen voranzutreiben, um damit neue marktfähige Produkte zu entwickeln.
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Aufgrund wiederholt unterbrochener Lieferketten fordern Experten die Rückverlagerungen von Produktion. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie dabei?
Die Coronapandemie hat bekanntermaßen zu Grenzschließungen, Lockdowns und Verzögerungen in der Entladung in Häfen geführt, was das Zusammenspiel der internationalen Lieferketten signifikant negativ beeinflusst hat. Dies hatte ebenfalls Auswirkungen auf die Produktion in der Pharmaindustrie, so dass sowohl von Seiten der Politik als auch der Industrie verstärkt die Rückverlagerung der Produktion (sog. Re-Shoring) gefordert wurde. Damit sollen die Lieferketten stärker vor externen Schocks geschützt werden. Eine bessere Versorgungssicherheit wäre gewährleistet, die Anfälligkeit gegenüber globalen Schocks würde reduziert und eine bessere Kontrolle bzw. Zugriff der Pharmaunternehmen auf die Produktion wäre möglich.
Das sich daraus ergebende grundsätzlich Problem sind die damit verbundenen Mehrkosten, die auf die ein oder andere Art an den Verbraucher, d.h. den Patienten, weitergegeben werden müssen. Dies würde zu zusätzlichen Kostensteigerungen im Gesundheitssystem führen. Zum anderen lassen sich pharmazeutische Produktionsanlagen nicht so schnell wie „normale“ Fabriken errichten, da höhere Anforderungen an die Ausgestaltung der Produktionsflächen (z.Bsp. hinsichtlich Reinheit) gestellt werden. Dies bedeutet, dass mit einer längeren Übergangszeit zu rechnen wäre. Diese könnten Pharmaunternehmen durch eine erhöhte Lagerhaltung überbrücken.
Wie lässt sich andererseits verhindern, dass Produktion künftig nach dem Auslaufen des Patentschutzes aus Deutschland abwandert?
Sobald der Patentschutz fällt, kommen Generika auf den Markt, die im Regalfall die Preise drücken. Solange in Europa der Patentschutz besteht, darf das Medikament in Europa nicht produziert, d.h. der Start der Produktion erfolgt erst nach Ablauf des Patentschutzes. Diese Regel gilt für asiatische Länder und die dort ansässigen Firmen nicht, so dass diese in Vorproduktion gehen und mit Ablauf des Patentschutzes direkt ein Generikum anbieten können. Aus diesem Grund werden die entsprechenden Produktionsstätten im außereuropäischen Ausland aufgebaut. Will man dies vermeiden und die Generika-Produktion in Deutschland und Europa wieder etablieren, müsste eine Anpassung bzw. Flexibilisierung der rechtlichen Regelungen auf EU-Ebene erfolgen.
Was sind Ihre wichtigsten Forderungen an die Politik für Rahmenbedingungen für eine prosperierende hiesige Pharmabranche?
Von Seiten der Pharmabranche wird vor allem der erhöhte Zwangsrabatt für die Pharmaunternehmen sowie weitere Einschränkungen bei der Preisfestsetzung für innovative Medikamente als Kritikpunkt an den schlechter werdenden Rahmenbedingungen in Deutschland angeführt. Von daher wäre eine verlässliche, preisliche Langfristplanung aus Sicht der Pharmaindustrie wünschenswert. Die Grundfrage, welch die Politik beantworten muss, ist: Welche Medikamente sind aus gesamtgesellschaftlicher Sicht so relevant, dass Deutschland einen Grundstock an lokaler Herstellung sicherstellen sollte? Wenn diese Medikamente identifiziert wurden, kann drüber entschieden werden, ob diese über Subventionen gefördert werden sollen.
Frankreich hat z.Bsp. einen „Gesundheitsplan 2030“ im Umfang von 7,5 Milliarden Euro verabschiedet. Dieser zielt u.a. darauf ab die Produktion von 50 essenziellen, von nicht-europäischen Ländern abhängigen Medikamenten wieder nach Frankreich zu verlagern. Zudem soll eine Liste mit 450 wichtigen Medikamenten erstellt werden, deren Versorgung (z.Bsp. durch verpflichtende mehrmonatige Lagerhaltung) sichergestellt sein muss.