In der Pandemie hat die deutsche Pharmabranche ihre Innovationskraft bewiesen. Wie steht die Branche heute aus Ihrer Sicht ganz grundsätzlich da?
Die Pharmabranche ist nach wie vor ein wichtiger Wachstumsfaktor für die deutsche Wirtschaft. Dass unter hohem Zeit- und Erfolgsdruck hochwirksame und sichere Impfstoffe entwickelt, zugelassen und in genügend großen Mengen produziert werden konnten, war dem Zusammenwirken verschiedener Faktoren geschuldet: Unternehmen hatten flexible Technologieplattformen erforscht, deren Potential für die Bewältigung der Pandemie frühzeitig erkannt und den unternehmerischen Mut und Pioniergeist, ihr Know how mit Priorität in eine mit vielen unternehmerischen Risiken verbundene Entwicklung einzubringen. Die Zulassungsbehörden auf europäischer und nationaler Ebene zeigten ein Höchstmaß an Flexibilität und Fokussierung, so dass insbesondere durch Parallelisierung ansonsten sequentieller Prozesse die erforderlichen Zulassungen ohne Qualitätsverlust beispiellos schnell erteilt werden konnten. Auch die Genehmigungsverfahren für neue Produktionsstätten wurden der Notwendigkeit entsprechend gestrafft.
Es wäre bedauerlich und eine Verschwendung, wenn die enormen Potentiale der deutschen Pharmabranche jenseits eines solchen Notfallmodus ungenutzt blieben.
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Aufgrund wiederholt unterbrochener Lieferketten fordern Experten die Rückverlagerungen von Produktion. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie dabei?
Eine größere Produktionstiefe ließe sich bei entsprechenden Rahmenbedingungen (s. 3.) sicherlich erreichen. Allerdings wird die Rohstoffgewinnung und teilweise auch die Wirkstoffproduktion aus praktischen und ökonomischen Gründen nicht nach Deutschland bzw. Europa (rück)verlagert werden können. Die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern und/oder Regionen in den Lieferketten zu minimieren, ist jedoch ein wichtiges strategisches Ziel.
Wie lässt sich andererseits verhindern, dass Produktion künftig nach dem Auslaufen des Patentschutzes aus Deutschland abwandert?
Wesentlich wird die Steigerung der Attraktivität des Produktionsstandortes Deutschland im internationalen Vergleich sein. Dazu zählt der Bürokratieabbau zur Beschleunigung von Genehmigungen zur Errichtung, Erweiterungen oder Umwidmungen von Produktionsstätten. Ausbau und Aufrechterhalten von Produktionskapazitäten sind jedoch auch von einem erfolgreichen Management des branchenübergreifenden Fachkräftemangels abhängig (s. 4.).
Was sind Ihre wichtigsten Forderungen an die Politik für Rahmenbedingungen für eine prosperierende hiesige Pharmabranche?
Die im Notfallmodus der Pandemiebekämpfung (s. 1.) auf allen Ebenen gezeigte Flexibilität und Fokussierung sollten zum Maßstab für die Optimierung des Normalmodus werden. Hierzu bedarf es der Vereinbarung konkreter Ziele in kritischen Versorgungssegmenten.
Zielorientierung und -erreichung sollten von der Politik durch die wenigstens mittelfristige Aufrechterhaltung verlässlicher Rahmenbedingungen honoriert werden.
Die Pharmabranche sollte in die Lage versetzt werden, international kompetitive Arbeitsbedingungen für das notwendige Fachpersonal anbieten zu können.
Branchenübergreifende Ansatzpunkte für eine Attraktivitätssteigerung des Standorts Deutschland aus Sicht hochqualifizierter Fachkräfte sind nach Maßgabe der Expat Insider 2022* Befragung von InterNations aus dem Jahr 2022 insbesondere die Verbesserung der digitalen Infrastruktur und ein Bürokratieabbau bzw. die Beschleunigung und Vereinfachung behördlicher Abläufe.
Kompetitive Löhne und Gehälter können in der Pharmabranche nur auf Basis hinreichend hoher Arzneimittelpreise gezahlt werden. Der Produktionsstandort Deutschland könnte durch einen Produktionstiefenaufschlag gestärkt werden: Ein prozentualer Aufschlag auf den Erstattungsbetrag bzw. Festbetrag des Arzneimittels incentiviert die Produktionstiefe in Deutschland.
* https://www.internations.org/press/press-release/where-expats-struggle-most-to-get-started-40346



