In der Pandemie hat die europäische Pharmabranche ihre Innovationskraft bewiesen. Wie steht die Branche heute aus Ihrer Sicht ganz grundsätzlich da?
Die multiplen Krisen, die Europa derzeit belasten, wie die Energiekrise, der Ukrainekrieg, die Inflation und nicht zuletzt der zunehmende Druck auf Arzneimittelpreise setzen der pharmazeutischen Industrie zu. Der Arzneimittelsektor ist aber nach wie vor ein starker Wirtschaftsmotor. Bisher sicherte die pharmazeutische Industrie 2,5 Millionen Arbeitsplätze in der gesamten Union und trug mit jährlichen Investitionen von 42 Milliarden Euro in die europäische Forschung und Entwicklung mehr zur Handelsbilanz der EU bei als jeder andere Sektor. Auch in Österreich investieren einzelne Unternehmen in ihre Standorte. Inwieweit das allerdings auch in Zukunft möglich sein wird, hängt mit Rahmenbedingungen zusammen, die derzeit auf europäischer Ebene gestaltet werden. Den ersten Anzeichen nach wird es vor allem für die forschende Industrie schwieriger werden, Europa als Forschungsstandort zu stärken. Ob es hinsichtlich der Stärkung der Produktionsstätten eine politische Strategie gibt, bleibt noch abzuwarten.
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Aufgrund wiederholt unterbrochener Lieferketten fordern Experten die Rückverlagerungen von Produktion. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie dabei?
Die Rückverlagerung der Produktion würde Europa als Standort stärken. Nehmen wir das Beispiel Impfstoffe: Hier stellt Europa nach wie vor das Herz der weltweiten Impfstoffforschung und der Impfstoffproduktion dar. 76 Prozent der weltweit hergestellten Impfdosen stammen aus 27 europäischen Produktionsstätten. Das ist beachtlich und zeigt uns, wo Europa seine Position unbedingt halten muss. Auch andere Arzneimittel werden nach wie vor in Europa und auch in Österreich hergestellt. Damit das so bleibt, brauchen wir zukunftsgerichtete Rahmenbedingungen. Speziell in Bezug auf Österreich gibt es auf der einen Seite Investitions- und Förderpakete für pharmazeutische Unternehmen, damit sie sich in unserem Land ansiedeln, hierbleiben und ihre Standorte ausbauen. Auf der anderen Seite sind diese Unternehmen mit streng regulierten Arzneimittelpreisen und einem hürdenreichen Marktzugang für Arzneimittelinnovationen konfrontiert. Das ist ein Widerspruch und zeigt, dass eine Standortpolitik fehlt, die integriert gedacht und gelebt wird. Unabhängig davon spüren Arzneimittelhersteller, ebenso wie viele andere Branchen, die zuletzt enorm gestiegenen Kosten und den vorherrschenden Personalmangel. Das führt dazu, dass Unternehmen oftmals nah an der Wirtschaftlichkeitsgrenze produzieren.
Wie lässt sich andererseits verhindern, dass Produktion künftig nach dem Auslaufen des Patentschutzes aus Europa abwandert?
Innovationsfreundliche und vor allem langfristig verlässliche Bedingungen sind entscheidend für Unternehmen, damit sie weiterhin in Europa investieren. Dies kann beispielsweise durch steuerliche Anreize, Zuschüsse oder Förderprogramme geschehen. Denn jedes Unternehmen muss kostendeckend produzieren und auch profitabel wirtschaften können, um sein weiteres Bestehen sicherzustellen. Andernfalls wird es gezwungen, sich aus der Versorgung zurückzuziehen. Das führt folglich dazu, dass sich der Arzneimittelschatz stetig ausdünnt. Wenn sich daher bei den Medikamentenpreisen, vor allem im niedrigeren Segment, nichts ändert, wird das die Medikamentenversorgung auf lange Sicht erschweren. Wer sich für eine Billig- oder Niedrigpreispolitik ausspricht, spricht sich indirekt auch für eine höhere Abhängigkeit von anderen Ländern aus. Wollen wir unsere medizinische Versorgung und Produktion zukunftssicher machen, müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass es sie weiterhin zum Dumpingpreis geben wird. Nur faire Preise können stabilisierend wirken und das Fundament dafür legen, dass Unternehmen ihre Standorte halten oder ausbauen können. In der Konsequenz gibt man ihnen damit auch die Chance, ihren Beitrag zur Arzneimittelvielfalt und damit zu einer qualitätsvollen Versorgung zu leisten.
Was sind Ihre wichtigsten Forderungen an die Politik für Rahmenbedingungen für eine prosperierende hiesige Pharmabranche?
Innovative und bewährte Arzneimittel bringen in erster Linie betroffenen Menschen einen Nutzen, deren Erkrankungen dadurch behandelbar werden. Doch nicht nur Patientinnen und Patienten selbst, auch deren Angehörigen und Pflegekräften ist geholfen, wenn Produkte die Lebensqualität von kranken Menschen erhöhen und sie wieder mobil und arbeitsfähig machen. In weiterer Folge trägt dies auch zur Volkswirtschaft und zur Entlastung unseres Gesundheitssystems bei. Das sind Aspekte, die in die Bewertung und Erstattung dieser Therapien einfließen und die in den Gesundheitssystemen Europas noch stärker berücksichtigt werden müssen. Es geht darum, eine planbare Zukunft für die pharmazeutische Industrie zu gewährleisten und die Arzneimittelvielfalt zu erhalten. Denn jedes einzelne von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zur Zulassung empfohlene Produkt stellt einen erheblichen Fortschritt auf dem jeweiligen Therapiegebiet dar und trägt dazu bei, die medikamentöse Versorgung von Patientinnen und Patienten in Europa zu verbessern. Gleichzeitig besteht für Patientinnen und Patienten durch die Teilnahme an den dafür erforderlichen Medikamentenstudien die Möglichkeit, frühen Zugang zu den neuesten Therapien zu erhalten.