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Interview27.06.2023

Es braucht eine klare gesundheitspolitische Gesamtstrategie

Warum die Pharmabranche wieder als Leitindustrie für Deutschland gesehen werden soll

Dr. Gerd Kräh - Associate Vice President Government Affairs, Lilly Deutschland GmbH Quelle: Lilly Deutschland GmbH Dr. Gerd Kräh Associate Vice President Government Affairs Lilly Deutschland GmbH
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Dipl.- Journ. Nikola Marquardt
Founder & Herausgeberin
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Der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht eine zukunftsgerichtete gesundheitspolitische Gesamtstrategie, fordert Dr. Gerd Kräh, Associate Vice President Government Affairs beim Pharmaunternehmen Lilly Deutschland. Nur so könne die Pharmabranche wieder als Zukunfts- und Leitindustrie für Deutschland verstanden werden. Kräh erläutert, welche Rahmenbedingungen es dafür unbedingt braucht.





In der Pandemie hat die deutsche Pharmabranche ihre Innovationskraft bewiesen. Wie steht die Branche heute aus Ihrer Sicht ganz grundsätzlich da?
Während der Corona-Pandemie haben wir einmal mehr belegt, dass die forschende Arzneimittelbranche eine Schlüsselindustrie für Deutschland ist. Als eine der innovativsten und produktivsten Industrien in Deutschland leistet sie einen maßgeblichen Anteil zur Bruttowertschöpfung. Das große Potential der Branche wird derzeit in der Politik jedoch nicht hinreichend erkannt – das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) belegt das. Es verschlechtert die Bedingungen für forschende Arzneimittelunternehmen in Deutschland drastisch. Das kann die Verfügbarkeit von innovativen Medikamenten für Patient:innen und die Versorgungssicherheit hierzulande nachhaltig negativ beeinflussen.

Und auch auf europäischer Ebene drohen innovationsfeindliche Regulierungen. So weicht der im April von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf für die Überarbeitung des EU-Arzneimittelrechts den aktuell geltenden Patent- und Unterlagenschutz zum Nachteil unserer Branche auf. Um unsere Innovationskraft zu erhalten, brauchen wir ein klares Bekenntnis aller politischen Entscheidungsträger zum Pharmasektor als Zukunfts- und Leitindustrie für Innovation und Wertschöpfung in Deutschland – auch jenseits von Pandemien!

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Aufgrund wiederholt unterbrochener Lieferketten fordern Experten die Rückverlagerungen von Produktion. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie dabei?
Wir bei Lilly begrüßen die Absicht der Politik, die Medikamentenproduktion in Europa bzw. Deutschland zu stärken. In diese Richtung zielende Maßnahmen sollten jedoch nicht aus kurzfristiger Notwendigkeit heraus erfolgen, sondern einer klaren Gesamtstrategie für den Gesundheitsstandort Deutschland folgen. Ziel muss sein, wettbewerbstaugliche Standortbedingungen und den bezahlbaren Zugang zu innovativen Arzneimitteln wieder besser zu vereinen. Der Ansatz, dass Medikamente in Krisenzeiten nur etwas besser erstattet werden müssen, greift zu kurz.

Wenn wir die aktuelle Situation jedoch als Chance begreifen und eine ganzheitliche Strategie für eine stabilere Arzneimittelversorgung entwickeln, profitieren alle Beteiligten: Europa inkl. Deutschland als Gesundheitswirtschaftsstandort, Patient:innen, Leistungserbringer, Kostenträger und Pharmaunternehmen. Dafür ist ein neues Netzwerk-Denken notwendig: Wir produzieren hierzulande nicht nur innovative Medikamente für den deutschen Markt, sondern sichern auch die Versorgung in der EU und global. Umgekehrt wird auch die Versorgungssicherheit in Deutschland durch ein europäisches und globales Netzwerk von Produktionsstandorten gestärkt.

Wie lässt sich andererseits verhindern, dass Produktion künftig nach dem Auslaufen des Patentschutzes aus Deutschland abwandert?
Indem eine Sichtweise, die nur die Kosten der Gesundheits- und Arzneimittelversorgung betrachtet, zugunsten einer ganzheitlichen Perspektive abgelegt wird. Fakt ist: Medikamente zu entwickeln ist ein langwieriger, wirtschaftlich riskanter und kostenintensiver Prozess. Deshalb brauchen wir als forschendes Arzneimittelunternehmen eine langfristig verlässliche Planungsbasis. Der Patent- und Unterlagenschutz spielt dabei eine zentrale Rolle. Denn er gewährt uns nach Medikamentenzulassung einen begrenzten Zeitraum, in dem wir zum einen unsere Forschungskosten refinanzieren und zum anderen weiterhin in Forschung und Entwicklung investieren – bei Lilly 25 Prozent des weltweiten Umsatzes jährlich!

Arzneimittelengpässe können nur vermieden werden, wenn der Innovationskreislauf in der Entwicklung von Medikamenten berücksichtigt wird. Denn was bei der Neuentwicklung und Produktion von innovativen Arzneimitteln und Therapien fehlt, wird nie in der Regelversorgung mit Generika ankommen.

Was sind Ihre wichtigsten Forderungen an die Politik für Rahmenbedingungen für eine prosperierende hiesige Pharmabranche?
Dass die Pharmabranche wieder als ein Zukunfts- und Leitindustrie für Deutschland verstanden wird, die bedeutet: Ansiedlung von Spitzentechnologie, hochqualitative Arbeitsplätze, schnelle Verfügbarkeit von innovativen Medikamenten für Patient:innen, Resilienz gegenüber Störungen globaler Lieferketten und überdurchschnittliche Wertschöpfung.

Dafür braucht der Wirtschaftsstandort Deutschland eine zukunftsgerichtete gesundheitspolitische Strategie, die verlässliche Rahmenbedingungen schafft. Es ist erforderlich, dass die Politik einen deutlichen Kurswechsel vollzieht und die im GKV-FinStG festgesetzten Beschlüsse im geplanten Anschlussgesetz überarbeitet. Das Ziel sollten mehr Flexibilität und weniger Regulation sein. Aus unserer Sicht machbare Forderungen, denn im Gegensatz zu anderen Branchen benötigen wir keine Subventionen oder Steuergelder.

Als forschendes Arzneimittelunternehmen müssen wir uns auf bewährte Mechanismen, ein anerkanntes Preisbildungssystem und ein konkurrenzfähiges Wettbewerbsumfeld verlassen können. Nur so können wir sicherstellen, dass innovative Therapien Patient:innen auch künftig schnell erreichen. Wir bei Lilly sind gesprächsbereit und am gemeinsamen Erarbeiten einer tragfähigen Strategie für die pharmazeutische Schlüsselindustrie interessiert.

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