Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für Vorschriften für politische Werbung, Wahlrecht und Parteienfinanzierung vorgelegt. Wie dringend ist der Handlungsbedarf aus Ihrer Sicht in diesem Bereich?
Wahlprozesse sind dynamisch-transformative Prozesse. Die Wählerschaft legt durch ihre Wahlentscheidung Bedingungen fest, unter denen sie repräsentiert wird. Die Gewählten verändern durch ihre Gesetzgebung wiederum gesellschaftliche Bedingungen, unter denen Wahlentscheidungen stattfinden. Demokratien haben damit trotz vergleichbarer freiheitlich-rechtsstaatlicher Verfassungen unterschiedlichste Wahltraditionen entwickelt. Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, den jeweiligen Handlungsbedarf isoliert festzustellen. Die USA haben z. B. einen komplett anderen Umgang mit politischer Wahlkampffinanzierung entwickelt als die Europäer. Es ist daher wichtig, wenn die EU nun über politische Wahlkampfkommunikation und -finanzierung in Zeiten digitaler Transformation transparent diskutiert. Der EU-Vorschlag legt gemeinsame, verbindliche Transparenzkriterien fest und zielt darauf ab, die Funktionsweise freiheitlich-demokratischer Rechtsordnungen zu stabilisieren.
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Der Vorschlag sieht einen ausdrücklichen Transparenzvermerk für politische Werbung vor. Wie finden Sie die vorgeschlagenen Regeln dafür?
Die EU-Kommission sieht für sogenannte politische Werbedienstleistungen Kennzeichnungspflichten vor. Jede politische Anzeige ist mit einer hervorgehobenen und eindeutigen Erklärung zu versehen. Sie muss umfangreiche Informationen über den Sponsor, den Zeitraum der Veröffentlichung, die zur Veröffentlichung und Verbreitung der Anzeige entgegengenommen Beträge nebst Finanzierungsquellen sowie alle Wahlen, mit denen die Anzeige in Zusammenhang steht, enthalten. Die EU-Kommission hat nach Abwägung des berechtigten öffentlichen Informationsbedürfnisses und des berechtigten Geheimhaltungsinteresses politischer Akteure eine Entscheidung zugunsten des öffentlichen Informationsbedürfnisses gefällt. Das ist eindeutig zu begrüßen. Ob diese Informationen wirklich alle erhoben werden müssen, führt jetzt schon zu erheblichen Diskussionen. Entscheidend für mich ist die Veröffentlichung der Ursprungs- und Finanzierungsquellen. Damit wird die politische Autorschaft einer politischen Anzeige selbst zum Gegenstand gesamtgesellschaftlicher Reflexion.
Es soll Auflagen für Targeting und Amplifikation geben. Wie bewerten Sie das?
Die EU-Kommission hat sogar eine weitergehende Regelung vorgeschlagen. Sie verbietet das Verfahren zum Targeting und Amplifizieren, soweit es mit der Verarbeitung sensibler personenbezogener Daten wie der ethnischen Herkunft, religiöser Überzeugung oder sexueller Orientierung einhergeht. Solche Verfahren dürfen nur nach ausdrücklicher Zustimmung einer betroffenen Person angewendet werden. Kommen sie zur Anwendung, müssen sie eine Transparenzbekanntmachung enthalten. Dies ist ein bedeutsamer Schritt, denn Wahlwerbung war z. B. in Deutschland bislang keine durchgeregelte Materie. Grenzen der Wahlwerbung wurden vielmehr grundgesetzlich aus der Rechtsstellung politischer Parteien, der Wahlfreiheit, dem Demokratieprinzip und der Meinungsfreiheit abgeleitet. Dreh- und Angelpunkt ist nunmehr die Einwilligung einer betroffenen Person. Damit setzt die EU-Kommission ihre schon in der Datenschutz-Grundverordnung angelegte normative Logik konsequent fort: Die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten darf grundsätzlich nur im Einvernehmen der betroffenen Person erfolgen.
Was sollte noch in den endgültigen Vorschriften stehen - und was keinesfalls?
Der legislative Prozess steht erst am Anfang. Wir warten jetzt auf die erste Lesung des Vorschlags im EU-Parlament und im Rat der EU. Die Kommission hat die Latte hoch gelegt. Zur Mindesthöhe der Latte werden aber sicherlich die Angaben über Ursprungs- und Finanzierungsquellen politischer Werbung gehören sowie die aktive Einwilligung der betroffenen Person bei allen Formen des Targetings.