Der Vorschlag der EU-Kommission zur Regulierung von Plattformen sieht besondere Regeln für die Plattformen vor, die eine Nutzerschaft von 10 % (oder in Zahlen 45 Millionen) in Europa erreichen - wie bewerten Sie diese Grenze?
Die Grenze ist durchaus sinnvoll. Relevante Plattformen erreichen Sie leicht. Sie sind auch solche, deren internen Regeln und Empfehlungsalgorithmen eine besondere Wirkung auf die europäische Öffentlichkeit ausüben können. Allerdings ist hier auch daran zu erinnern, dass selbst die größten Plattformen es in Europa noch nicht geschafft haben, ein europäisches öffentliche Publikum zu schaffen – also einen europäischen Diskursraum. Das ist in Amerika anders.
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Die großen Plattformen sollen etwa ihre Algorithmen offenlegen und unabhängig prüfen lassen. Wer sollte diese Algorithmen worauf kontrollieren?
Die Forderung, Algorithmen einem „Audit“ zu unterziehen ist eine oft gehörte. Im Kern geht es darum, dass Plattformen offenlegen sollen, worauf sie ihre Algorithmen optimieren und wie ihre Algorithmen programmiert sind. Das erlaubt dann der Politik bzw. den im Vorschlag vorgesehenen Koordinator*innen entsprechende Maßnahmen zu treffen. Sagen wir, die Empfehlungsalgorithmen einer wichtigen Plattform sähen vor, dass stark geteilte Inhalte noch zusätzlich verstärkt werden. Hier könnte etwa gefordert werden, dass bei erkennbarer Viralität von Inhalten ein Mensch auf die Inhalte schauen muss, bevor sie weiter algorithmisch verstärkt werden.
Geplant ist auch eine Vorschrift für den Datenzugang und die Interoperabilität von Diensten, die etwa den Nachrichtenaustausch zwischen verschiedenen Messengern ermöglichen soll. Wie schätzen Sie dieses Vorhaben ein?
Die Sozialpflichtigkeit der Herrschaft über Daten ist ein großes Zukunftsthema. Sehr lange hat die Politik dabei zugesehen, dass Plattformen große Datenberge anhäuften. Zu lange. Nun ist es in der Tat an der Zeit, sowohl der Wissenschaft besseren Zugang zu den Daten der Plattformen zu geben (was langsam geschieht) als auch durch erzwungene Zugänge neuen Mitbewerbern erst Wachstum zu ermöglichen. Große Plattformen werden das auch deswegen machen, um wettbewerbs- und kartellrechtliche Vorwürfe zu entkräften versuchen.
Vorgesehen sind neue Regeln zur Entfernung illegaler Inhalte. Inwieweit könnten diese mit bereits vorhandenen nationalen Regulierungen kollidieren?
Bindendes EU-Recht geht nationalem Recht vor. Allerdings werden wohl nationale Regeln – gerade hinsichtlich der Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit – auch weiterhin Bestand haben. Das ist auch gut so, weil selbst innerhalb Europas (das wissen wir auch dank der entsprechenden Judikatur der europäischen Höchstgerichte in Straßburg und Luxemburg) verschiedene Schutzniveaus herrschen. Ob es sinnvoll ist, wie zuletzt in Österreich, noch rasch neue Regeln in Kraft zu setzen, ist nicht klar – die EU-Kommission hat jedenfalls zuletzt darauf hingewiesen, dass gemeinsame Ansätze vorzuziehen sind.
Was sollte aus Ihrer Sicht unbedingt noch in das Regulierungs-Paket aufgenommen werden - bzw. was gehört unbedingt gestrichen?
Die EU hat es geschafft, in recht kurzer Zeit (seit Sommer 2020) neue Regime für Daten, für die Künstliche Intelligenz und Rechtsakte für Plattformen und Digitalmärkte vorzubereiten. Zusammengenommen ist das nichts Weniger als eine normative Revolution der Digitalwirtschaft, die starke Außenwirkungen erzeugen kann. Europa hat sich mit der DSGVO als Normenexporteur einen Namen gemacht; ähnliche Effekte sind auch hinsichtlich der Plattform- und Digitalmärktenormen zu erwarten. Besser ausgestaltet werden sollten die Regeln hinsichtlich des Zugangs der Wissenschaft zu Unternehmensdaten und die Ziele und Methoden der Audits der Algorithmen. Auch die inneren Entscheidungsarchitekturen der Plattformen sollten transparenter werden. Vielleicht würde eine Ombudsperson oder eine Nutzer*innenanwält*in helfen?