Aktuelle Studien bescheinigen dem Einzelhandel verstärkte Bemühungen beim Aufbau digitaler Vertriebskanäle. Wo steht der Einzelhandel in den deutschen Städten auf dem Weg der Digitalisierung aus Ihrer Sicht?
Der Einzelhandel ist durch den boomenden Onlinehandel in vergangenen Jahren immer mehr unter Druck geraten. Das war bereits vor Corona so. Es hat sich mit den Schließungen der Lockdown-Phasen allerdings nochmals verstärkt. Größere Einzelhändler setzen schon länger gleichzeitig aufs Online- und Filialgeschäft, also einen Multi-Channel-Vertrieb. Das kann Verluste abmildern. Schwieriger haben es kleinere Einzelhändler und Fachgeschäfte, wo der direkte Kundenkontakt und die Beratung im Vordergrund stehen. Viele dieser Geschäfte steigen jetzt auch in den Online-Handel ein. Hier eröffnen sich neue Chancen. Die Städte haben ein großes Interesse am Erfolg solcher Strategien. Denn in den Innenstädten sind viele kleine Einzelhändler vertreten, die der Stadt ein unverwechselbares Gesicht geben.
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Was bedeutet die Verlagerung ins Digitale für die Innenstädte?
Die Lockdown-Phasen sind für viele Einzelhändler eine Zerreißprobe. Insbesondere dann, wenn es keinen digitalen Kanal gibt. Schlimmstenfalls führt das zu Insolvenzen, von denen besonders die Innenstadtlagen betroffen wären. Deshalb gibt es in den Städten viele Ideen, um die Situation für die Innenstädte und die Einzelhändler abzufedern. So gibt es aktuell einen Trend zur regionalen Nachfrage: Auf digitalen Plattformen präsentieren sich Einzelhändler aus der Stadt und der Region gemeinsam und lassen damit auch ein neues dynamisches Bild von Innenstadt entstehen. Von Bürgerinnen und Bürgern wird dies gut angenommen. Die Solidarität mit dem lokalen Handel ist groß. Der Deutsche Städtetag sieht besonders in der multifunktionalen Aufstellung der Innenstadt mit allen dort relevanten Akteuren gute Zukunftsmöglichkeiten. Das funktioniert auch bei der Verlagerung ins Digitale.
Digitalisierungs-Projekte erfordern oft erhebliche Investitionsmittel, wie sollte der Staat die hiesigen Einzelhändler - auch in Anbetracht des Marktdrucks durch die großen Internetkonzerne - dabei unterstützen?
Eine staatliche Unterstützung bei der Digitalisierung des Handels ist vor allem für lokale Initiativen und Internetplattformen sinnvoll und wichtig. Hierfür sind Förderprogramme notwendig oder ein gesondertes Digitalisierungsbudget. Außerdem sind Kooperationen mit Internet-Unternehmen denkbar. Und wir müssen den Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Händlern ermöglichen und den Handel durch gezielte Partnerschaften auf breitere Füße stellen. Neben den IT-Dienstleistern und Plattform-Anbietern sind die Städte, Wirtschaftsförderer, Gewerbevereine und das Citymarketing dabei wichtige Treiber. Auch eine engmaschige Betreuung dieser Initiativen und Kooperationen durch sogenannte „Kümmerer“ vor Ort ist unabdingbar.
Zuletzt ein Blick nach vorn: Welche Rolle spielen die klassischen Ladengeschäfte für die Innenstädte dauerhaft noch?
Klassische Ladengeschäfte werden auch in der Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Das Brot vom Lieblingsbäcker, schnell ein Paket zur Post bringen oder den Gang zur Apotheke. Das wird es auch weiterhin geben. Hinzu kommen viele Angebote des Textileinzelhandels und der Gastronomie. Das Bild wird sich dennoch wandeln. Die klassischen Ladengeschäfte werden sich zukünftig nicht zwangsläufig in einer klassisch strukturierten Innenstadt befinden, wie wir sie bisher kannten. Die Innenstädte befinden sich im Wandel. Sie entwickeln sich zu Orten, an denen nicht mehr nur das Einkaufen im Vordergrund steht. Dafür werden sie in bestimmten Bereichen und für bestimmte Zeiten zu Experimentierräumen. Es braucht eine Verknüpfung von Arbeiten, Handel, Wohnen und Produktion. Neue Geschäftsmodelle und neue Multifunktionalitäten werden erprobt. Hinzu kommen unterschiedliche Kultur- und Eventangebote. Neben den klassischen Ladengeschäften wird also Neues entstehen und das Bisherige bestenfalls so ergänzen, dass alle voneinander profitieren.