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Interview16.06.2023

Die Herausforderungen der Pharmabranche im Hochkostenland

Welche Rahmenbedingungen die Produzenten brauchen

Prof. Dr. David Francas - Professor Logistik und Informationssysteme, Hochschule Worms Quelle: HS Worms/ Matthias Stark Prof. Dr. David Francas Professor Hochschule Worms
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"Deutschland ist ein weltweit bedeutender Forschungs- und Produktionsstandort für insbesondere innovative Arzneimittel", konstatiert Prof. Dr. David Francas von der Hochschule Worms. Aber das könnte sich ändern, wenn Rahmenbedingungen nicht verbessert werden.





In der Pandemie hat die deutsche Pharmabranche ihre Innovationskraft bewiesen. Wie steht die Branche heute aus Ihrer Sicht ganz grundsätzlich da?
Die Pharmazeutische Industrie ist mit ihren rund 115.500 Mitarbeitenden einer der bedeutendsten deutschen Wirtschaftszweige. Deutschland ist ein weltweit bedeutender Forschungs- und Produktionsstandort für insbesondere innovative Arzneimittel. Besonders im Segment der biologisch erzeugten Arzneimittel ist Deutschland führend, wie der Erfolg von Biontech eindrucksvoll gezeigt hat. Es ist auch eine Tatsache, dass Deutschland einer der weltweit bedeutendsten Produktionsstandorte für Biopharmazeutika ist. Dieser Erfolg wird aber zunehmend überschattet durch negative Meldungen. Biontech plant die Verlagerung seiner Krebsforschung nach Großbritannien aufgrund der forschungsfreundlicheren Rahmenbedingungen. Der deutsche Konzern Bayer will den Schwerpunkt seines Pharmageschäfts in die USA und nach China verlagern. Kritisiert wird von der Industrie die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit durch Bürokratie und steigende Energiekosten aber auch der steigende Druck auf Arzneimittelpreise und die von der europäischen Union geplanten Verkürzungen des Patentschutzes.

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Aufgrund wiederholt unterbrochener Lieferketten fordern Experten die Rückverlagerungen von Produktion. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie dabei?
Die Auswertung von Daten der Europäischen Arzneimittelbehörde zeigt, dass etwa zwei Drittel der Wirkstoffe für Arzneimittel heute aus China und Indien kommen. Diese Abhängigkeit besteht somit nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa. Besonders groß die ist Abhängigkeit bei Generika, also ehemals patentgeschützten Arzneimitteln, deren Wirkstoffe chemisch erzeugt werden. Die Produktion von diesen Wirkstoffen ist heute in Europa in der Regel nicht mehr ökonomisch möglich, zu groß sind die Kostenvorteile der asiatischen Hersteller. Eine Rückverlagerung erfordert somit absehbar staatliche Subventionen oder andere Anreize. Die Kosten hierfür wären signifikant: Eine Studie aus dem Jahr 2018 hat die Mehrkosten für die Rückverlagerung einer einzelnen Gruppe von Antibiotika auf 55 Millionen Euro geschätzt. Angesichts dieser Kostendimensionen ist absehbar, dass Rückverlagerungen zunächst nur punktuell und auf transnationaler Ebene erfolgen können. Erschwerend kommt hinzu, dass weitere, und oftmals noch größere Abhängigkeiten bei denen für die Wirkstoffproduktion benötigen Vorprodukten bestehen. Daher gibt es eine zentrale Voraussetzung: Es müssen zunächst die Wirkstoffe und Arzneimittel identifiziert werden, bei denen die größten Versorgungsrisiken und der größte medizinische Bedarf bestehen. Es ist daher zu begrüßen, dass die europäische Union hierfür nun Maßnahmen angehen möchte.

Wie lässt sich andererseits verhindern, dass Produktion künftig nach dem Auslaufen des Patentschutzes aus Deutschland abwandert?
Zunächst ist festzuhalten, dass eine Diskussion um Rückverlagerung auch bedeuten sollte, eine weitere Abwanderung der Produktion zu vermeiden. Exemplarisch seien hier die Entwicklungen bei der Produktion von Biosimilars, also den Nachfolgepräparaten der aus dem Patentschutz gelaufenen biopharmazeutischen Arzneimittel angeführt. Mehr als die Hälfte der biosimilaren Wirkstoffe, die für den europäischen Markt vorgesehen sind, werden immer noch in Europa hergestellt, wobei 30 Prozent davon in Deutschland produziert werden. Allerdings schrumpft der Vorsprung Europas im globalen Standortwettbewerb. Seit 2010 ist der Anteil Asiens an der Produktion von Biosimilar-Wirkstoffen auf 30 Prozent gestiegen. Bereits jetzt werden die ersten Biosimilar-Wirkstoffe ausschließlich in China hergestellt. Entscheidungen im Gesundheitssystem sollten daher neben Kosten auch die Aspekte Versorgungssicherheit und Standortsicherung berücksichtigen. Die USA betrachten die pharmazeutischen Lieferketten und Zugang zu Arzneimitteln als zentrales Element der nationalen Sicherheit. Es überrascht, dass dieser Aspekt in Deutschland nicht eingehender diskutiert wird.

Was sind Ihre wichtigsten Forderungen an die Politik für Rahmenbedingungen für eine prosperierende hiesige Pharmabranche?
Steigende Energiekosten sind für die energieintensive pharmazeutisch-chemische Produktion eine große Herausforderung, die zudem auch das erweitere Ökosystem der Branche wie Glashersteller, die Ampullen für Arzneimittel produzieren, betrifft. Geplante Änderungen beim Patenschutz betreffen nicht nur das Gesundheitssystem, sondern können auch auf die Attraktivität des Standorts Europa ausstrahlen. Deutschland ist als Hochkostenland zudem auf seine Innovationskraft angewiesen. Verschiedene Studien zeigen aber, dass Deutschland bei Patenten und wissenschaftliche Publikationen an Boden verliert während Asien, und hier allen voran China, immer stärker wird. Rahmenbedingungen für einen starken Pharmastandort müssen somit einerseits sicherstellen, dass Deutschlands Kostenstrukturen wettbewerbsfähig sind. Andererseits gilt es auch, die Forschungs- und Bildungslandschaft zu stärken sowie den Fachkräftemangel und schleppenden Ausbau der digitalen Infrastruktur viel energischer zu adressieren.

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