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Diagnose: Digitalisierung second

Wie die verschleppte Verwaltungsdigitalisierung zur Wachstumshürde wird

Dr. Julian Dörr, Leiter Digitalisierungspolitik des Verbandes DIE FAMILIENUNTERNEHMER Quelle: DIE FAMILIENUNTERNEHMER Dr. Julian Dörr Leiter Digitalisierungspolitik DIE FAMILIENUNTERNEHMER e.V. 09.02.2023
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Rempe
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Dr. Julian Dörr, Leiter Digitalisierungspolitik des Verbandes DIE FAMILIENUNTERNEHMER, ist mit dem Stand der Digitalisierung der Kommunikation mit Behörden sehr unzufrieden. Sein Vorschlag: "Es muss Unternehmen ermöglicht werden, dass sie über ein einheitliches, digitales Konto mit den Behörden kommunizieren können." Darüber hinaus macht er weitere substanzielle Vorschläge.







Auf welchem Niveau befindet sich derzeit die digitale Kommunikation zwischen Unternehmen und Behörden?
Von der Digitalisierung der Ämter und Behörden ist schon seit langem die Rede. So verkündete der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder bereits 2000: „Die Daten, nicht die Bürger sollen laufen.“ Die Realität ist bis heute jedoch leider sehr trist: Das Onlinezugangsgesetz (OZG), mit dem bis zum Jahresende 2022  insgesamt 575 Verwaltungsbündel digitalisiert werden sollten, ist krachend gescheitert. Je nach Zählweise stehen aktuell weniger als 20 Prozent der Leistungen flächendeckend zur Verfügung. Und auch im Digitalisierungsindex der Europäischen Union DESI liegt Deutschland lediglich im Mittelfeld. Bei der digitalen Kommunikation zwischen Behörden und Unternehmen ist der Nachholbedarf immens, das Einreichen von ganzen Ordnern für Planungs- und Genehmigungsprozesse ist noch immer an der Tagesordnung und das Fax weiterhin das verbreitete Kommunikationsmittel. Digitale Lösungen finden sich lediglich entweder punktuell regional begrenzt oder in vereinzelten Bereichen der öffentlichen Verwaltung wie im Steuerwesen. Die Bürger müssen bis heute laufen.

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Trägt dieser Kommunikationsweg in irgendeiner Weise zum Abbau von Bürokratiebelastungen in Unternehmen aller Größenordnungen bei?
Grundsätzlich hätte eine moderne und effiziente Verwaltung die große Chance, die Kosten der Bürokratie in Deutschland zu senken. Viele Unternehmen haben spätestens seit der Corona-Pandemie einen Digitalisierungsschub vollzogen: Sie digitalisierten interne Prozesse und Kommunikationswege als auch Vertriebsmöglichkeiten und Geschäftsmodelle. Eine Umfrage DER FAMILIENUNTERNEHMER hat ergeben, dass 51 Prozent der Mitgliedsunternehmen ihre Investitionen in Digitalisierung aufgrund der Corona-Krise erhöht haben – trotz einbrechendem Geschäft und Krise wurde also investiert. Jetzt wartet der Mittelstand darauf, dass es ihnen die Verwaltung gleichtut. Es hat natürlich wenig Sinn, wenn die digital im Unternehmen vorliegenden Dokumente für die Eingabe bei der öffentlichen Verwaltung erst ausgedruckt werden müssen, wie es etwa bei den umfangreichen Offenlegungspflichten nötig ist. Überbordende Bürokratie verursacht aber nicht nur Kosten, sondern bindet auch Kapazitäten in den Betrieben, die eigentlich für Innovationen und die ökologische Transformation gebraucht werden würden.

In welchen Feldern sehen die Unternehmen dabei vordringlichen bzw. generellen Verbesserungsbedarf?
Es muss Unternehmen ermöglicht werden, dass sie über ein einheitliches, digitales Konto mit den Behörden kommunizieren können – und zwar egal, in welchem Bundesland sie ihre verschiedenen Niederlassungen haben. Mit einem solchen „Single Point of Contact“ zur Verwaltung sollten Unternehmen – die Poweruser der öffentlichen Verwaltung – ihre zahlreichen Verwaltungsleistungen deutschlandweit mit nur einem Konto abwickeln können. Zwar gibt es das Pilotprojekt des Unternehmenskontos, allerdings lässt die flächendeckende und medienbruchfreie Umsetzung weiterhin auf sich warten. Die Verwaltungsdigitalisierung kann nur gelingen, wenn die Ampel-Bundesregierung endlich Strukturreformen angeht und auf bundesweit einheitliche Standards setzt, stattdessen aber wird nur kleinteilig über die nötigsten Schritte bei der digitalen Kleinstaaterei diskutiert. Wichtig ist zudem, dass die Verwaltung endlich schneller wird. In vielen Bereichen - wie etwa dem Ausbau erneuerbarer Energien, der digitalen Infrastruktur und der Verkehrswege - dauern die Planungs- und Genehmigungsverfahren viel zu lange. Eine denkbare Option wäre eine Genehmigungsfiktion: Sollten die Ämter dem Bauvorhaben nicht in einer bestimmten Frist widersprechen, so gilt es automatisch als genehmigt.

Ist die Rechtslage – etwa hinsichtlich Datenschutz bzw. Schutz betrieblicher Geheimnisse – diesem Gegenstand angemessen?
Eine wesentliche Hürde der digitalen Transformation ist die Verabsolutierung des Datenschutzes. So bräuchte Deutschland für die Verwaltungsmodernisierung insbesondere eine Vernetzung der verschiedenen Register. Dann müssten der Bürger und die Unternehmen nicht jedes Mal selbst die bei den Behörden längst vorliegenden Daten mühsam einsammeln und neu einreichen, sondern das Amt holt sich diese automatisch von den anderen Stellen auf digitalem Weg. Ganz anders also als etwa jüngst bei der Grundsteuererklärung, wo die Grundstücksdaten noch händisch eingetragen werden mussten. Die Registermodernisierung scheitert bislang jedoch daran, dass sich die Datenschützer und Bedenkenträger vehement gegen eine einheitliche Identifikationsnummer wehren, mit der eine solche Registervernetzung erst möglich wird. Dabei haben wir mit der Steuer-ID, die jedem Neugeborenen zugeteilt wird, längst eine solche Nummer. Auch unsere europäischen Nachbarn setzen erfolgreich auf eine zentrale Identifikationsnummer -  nur Deutschland will wieder einmal einen Sonderweg gehen.

Für sehr wichtig halte ich auch…
Da auf die Unternehmen immer neue Bürokratielasten zukommen, etwa durch die EU-Taxonomie zu den ESG-Zielen, das Lieferketten- und Hinweisgebergesetz sowie perspektivisch auch die KI-Regulierung, wäre es umso wichtiger, endlich die damit einhergehenden Dokumentations- und Berichtspflichten verwaltungsseitig zu digitalisieren. Für das Vertrauen in die Krisenlösungskompetenz und generell die Akzeptanz des Staates ist es nötig, dass er eine funktions- und leistungsfähige Verwaltung anbietet. Leider wächst diese Effizienz nicht in demselben Maße an wie die Personalstellen im Verwaltungsapparat auswuchern. Deshalb muss Deutschland eine Verwaltungsreform wagen, um sich resilient und zukunftsfest aufzustellen. Digitalisierung ist eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit und wird über den zukünftigen Wohlstand entscheiden. Das Anwachsen der Bürokratie können wir uns nicht mehr leisten. Deshalb muss die One-In, Two-Out-Regel zur Chefsache werden: Für jedes neue Gesetz müssen zwei alte Gesetze abgeschafft werden.

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