Zur Verbesserung der Luft in Städten diskutiert die Politik auch über einen kostenlosen ÖPNV. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag, vor allem mittel- bis langfristig?
Die Nulltarif-Initiative der drei Ressortchefs war natürlich ein Schnellschuss, aus der Not geboren, in Brüssel keine belastbaren Entscheidungen über eine Verkehrswende und Emissionsminderung liefern zu können. Immerhin hat aber diese Initiative mit dem medialen Echo verdeutlicht, dass der ÖPNV (in Stadt und Land) eine zentrale Rolle für die Klima- und Umweltpolitik spielen muss und tragende Säule einer Verkehrswende werden muss. Dafür braucht der ÖPNV aber Geld. Und das wird nur mobilisiert, wenn man ein neues ÖPNV-Finanzierungssystem etabliert. Vorbild können die Semestertickets der Hochschulen sein, die in den 1990er Jahre das Verkehrsverhalten von Studierenden komplett umgekrempelt haben, wen vom Auto und massenhaft in den ÖPNV. Semestertickets sind eine Art Nahverkehrsabgabe für Studierende. Die zahlen 2 x im Jahr bei ihrer Rückmeldung den ÖPNV- Beitrag und fahren dann so oft und so viel sie wollen, in einigen Ländern auch auf der Basis eines Landestickets. Wenn man also im Analogieschluss jetzt ein Bürgerticket, also eine Nahverkehrsabgabe für Alle, einführen würde, dann käme sehr viel neues Geld in die Kassen der ÖPNV-Betriebe und sie könnten ihr Angebot stark ausweiten. Mit einem Bürgerticket würde man vor allem die Betriebskosten finanzieren, die auf alle Bürger umgelegt werden.
Hinzu käme dann für die Infrastrukturkosten eine Nahverkehrsabgabe für Betriebe (gibt es in Frankreich und Österreich).
Jedenfalls könnte dann der ÖPNV sehr viel mehr leisten als heute. Und den Straßenverkehr massiv entlasten. Und dann würde man die ergänzenden Mobilitätssysteme (Car Sharing, Bike Sharing, Ride Sharing) mit in das System integrieren.
Die Bundesregierung muss dringend die ÖPNV-Finanzierung reformieren. Das Ergebnis wäre ein Generalabo, ohne Tarifchaos, ohne Fahrscheinautomaten, ohne Schwarzfahrerthema, salopp die "BahnCard 100 für Alle".
Kritiker wenden ein, dass vor allem Fußgänger und Radfahrer auf den kostenlosen ÖPNV umsteigen könnten. Welches wären die wichtigsten Maßnahmen für den Verkehrsmix der Zukunft aus Ihrer Sicht?
Man hat ja mittlerweile 25 Jahre Erfahrung mit den Semestertickets, natürlich sind da vor allem Autofahrer umgestiegen. Wer Rad fährt oder zu Fuß geht, tut dies aus Lust an der Bewegung, weil es Spaß macht ("aus Freude am Radeln oder Gehen" oder "Radlust und Gehlust"). Natürlich sollen auch Fuß- und Radverkehr massiv gefördert werden. Dafür braucht man erstens eine bessere Infrastruktur (Radschnellwege, Fahrradstraßen, Radstationen, B & R, Leihradsysteme für die Radler, Alleeen und Hauptfußwegachsen, breite Boulevards und viel mehr und größere Fußgängerzonen sowie fklchenhafte Verkehrsberhgung für die Fußgänger und dann natürlich geh- und radelleistungsabhängige Prämien (misst das Smartphone)als Belohnung für vernünftiges Verhalten, das ja nicht nur das Verkehrssystem sondern auch das Gesundheitssystem massiv entlastet.
Und umgekehrt muss man im Autoverkehr endlich wahre Preise einführen. Also Schluss mit den Dieselsubventionen und den Dienstwagensubventionen. Und endlich eine intelligente Maut, die fahrleistungsabhängig erhoben wird und nach Gewicht und Schadensklasse der Kfz und nach Sensitivität des Straßentyps. Bemautet werden alle Straßen, aber mit differenzierten Tarifen. Und den Großteil der Mauteinnahmen bekommen die Kommunen, denn sie haben das längste und am stärksten belastete Straßennetz.
Und dann ändert man noch die Rahmengesetzgebung im Bau- und Planungsrecht und der StVO sowie PeBeFG. Damit z.B. Fahrgemeinschaften sinnvoll geregelt werden und der Besetzungsgrad der Pkw wieder ansteigt, wie in den 1950er Jahren, da war er bei 2,7, heute ist er bei 1,1.
Der ÖPNV ist Teil eines komplexen Netzes an öffentlichem Verkehr. Welche Rolle spielt das für den Verkehrsmix - und welche Stellschrauben sehen Sie hier noch zur Optimierung?
Der ÖPNV Muss alle Trümpfe ausspielen also angefangen vom Minibus als Dorfbus oder Landbus über den Orts- und Stadtbus mit Midibussen (beide Systeme im Taktverkehr mit gegenüber heute ca. 10 Mal mehr Haltestellen), dann die Regionalbusse im Integralen Taktfahrplan und als Premiumprodukt die Plusbusse oder Schnellbusse. Das alles in einem abgestimmten ITF- System und immer mindestens im 1/2 h Takt, in größeren Orten auch im 15 min Takt oder dichter. Dazu dann viele neue Straßenbahnsysteme und Überlandstraßenbahnen und viele neue S-Bahn-Systeme mit gegenüber heute ca. 6000 neuen Haltepunkten, auch das im Deutschlandtakt integriert.
Ergänzend dazu dann als Paratransit die Bürgerbusse und Bürgerautos sowie Mitnahmeverkehre auf intelligenter, app-basierter Fahrgemeinschaftsbasis, ebenfalls tarifiert und in das Generalabo integriert. Ein Großteil der Busse und Bahnen ist auch im Güterverkehr unterwegs, als KombiBUS und Cargo-Tram und bringt auf diese Weise die Güter wieder zurück auf die Scheine bzw. den Bus.
Welche Chancen sehen Sie in der Digitalisierung für den optimalen Verkehrsmix?
Alle Verkehrssysteme sind digital optimiert und gesteuert, das autonome Fahren wird zum Regelfall, wobei als Pendant zum intelligenten Fahrzeug die intelligente Straße (mit digitalen Signalen) den Verkehr emissionsmindernd und Gefahrvermeidend lenkt. Der Schilderwald ist weg, das regelt die digitale Steuerung. Natürlich auch die Maut und die Prämien für positives Verhalten (Radeln, Gehen).
So funktioniert intelligente Verkehrswende und es bleiben am Ende ca. 4 Mio. Kfz übrig, Stadt und Land atmen auf, werden intensiv begrünt, der Öffentliche Rau ist zurückerobert, man spart Milliarden Kosten, weil in die Infrastruktur des Autosystems nicht mehr investiert werden muss (Straßen, Parkraum).