Welche Aufgaben stehen generell zur Lösung an, um eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft in Deutschland bzw. Europa zu etablieren?
Der beste Abfall ist der, der erst gar nicht erzeugt wird. Die Stichworte sind hier: Abfallvermeidung, Wieder- und Weiterverwendbarkeit sowie Reparierbarkeit. Für alle anderen Erzeugnisse wäre es sinnvoll, wenn sie so hergestellt werden, dass sie für bestehende Recyclingtechnologien geeignet sind, also „Design for Recycling“. Für Abfälle im Allgemeinen gilt, dass sie in einer Qualität vorliegen müssen, mit der sie umweltgerecht verwertet werden können, bestenfalls kreislaufgeführt.
Zur Schließung der Kreisläufe gibt es viele Ansatzpunkte. Die Potentiale erstrecken sich dabei über eine Bandbreite von Handlungsfeldern: Um eine Auswahl an Beispielen zu nennen: Ressourceneffizienz in der Produktion, straffe rechtliche Grundlagen, innovative technische Lösungen, weiterentwickelte Sortiertechnik, fortschrittliche elektronische Handelsplattformen, verstärkte internationale Zusammenarbeit, praxisnahe Logistikkonzepte oder praktikable Abfallvermeidungsstrategien samt digitaler Messwerkzeuge.
Eine stärkere Digitalisierung kann in jedem der genannten Felder seinen Beitrag zur Lösung bestehender Probleme leisten. Aufgaben gibt es damit genug und zwar weit über die genannten Beispiele hinaus.
Ein besonderer Fokus muss dabei auf die Abfälle der Zukunft gerichtet sein. Neue Technologien sind auch mit neuen Werk- und Baustoffen verbunden. Nicht nur die Vielfalt nimmt zu, sondern auch die Mengen. Die prominentesten Beispiele sind Lithium-Ionen-Batterien und faserverstärkte Kunststoffe (z. B. Windkraftanlagen), Photovoltaik-Anlagen oder Indium-haltige LED- und Touch-Screens sowie kritische Metalle, die beispielsweise im Elektroschrott nur in Spuren vorliegen. Deshalb muss die Forschung im Bereich Kreislaufwirtschaft vorausschauend erfolgen, damit wir die Probleme mit unseren Abfällen der Zukunft schon heute lösen können. Das wissen wir bei bifa durch unsere tägliche Arbeit. Was wir auch wissen: „Umwelttechnik Made in Germany“ steht international schon heute hoch im Kurs. Dieser Schwung muss mitgenommen werden. Deshalb müssen Wirtschaft und Politik noch stärker in Umwelttechnik und -forschung investieren. Insbesondere in die Digitalisierung der Kreislaufwirtschaft.
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Kann die Digitalisierung der Informations- und Distributionswege allein schon die Recyclingwirtschaft effektiver und effizienter machen?
Das ist der Fall. Das beste Beispiel hierfür ist die Einführung des elektronischen Abfallnachweisverfahrens (eANV) im Jahr 2010. Das papiergeführte Nachweisverfahren ist mehrstufig und mit der Erstellung, Übermittlung, Prüfung und Aufbewahrung von deutschlandweit jährlich etwa 100.000 Entsorgungsnachweisen und 2 Millionen Begleitscheinen verbunden. Von den Registern ganz zu schweigen. Mindestens genauso aufwendig war der Verwaltungsaufwand der Behörden bei der Auswertung der Entsorgungsnachweise und Masse an Begleitscheine. Alles wurde händisch abgewickelt. Ein heute unvorstellbarer Personal- und Papieraufwand.
Die Einführung des Abfallüberwachungssystem der Länder (ASYS) hat sowohl für Behörden als auch für die nachweispflichtigen Akteure den Verwaltungsaufwand deutlich reduziert. Aber vor allem wissen wir heute auf die Tonne genau, welchen Weg gefährliche Abfälle gehen. Diese Daten schaffen die Transparenz, die wir benötigen, um ökologische, politische und wirtschaftliche Entscheidungen treffen zu können.
Es liegt auf der Hand, dass die Digitalisierung in der freien Wirtschaft und Verwaltung zur Effizienzsteigerung beiträgt. Also warum nicht auch die Digitalisierung in der Entsorgungswirtschaft stärken? Wichtig ist es dabei, die „lessons learned“ aus allen Bereichen mitzunehmen, um bereits begangene Fehler nicht zu wiederholen. Zu einer vollständig digitalisierten Kreislaufwirtschaft ist es noch ein weiter Weg, aber erste Schritte in Richtung Kreislaufwirtschaft 4.0 sind schon getan, weitere müssen folgen.
Inwiefern, wenn überhaupt, benötigt die Branche auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit den Druck bzw. die Unterstützung von Politik und Gesellschaft?
Die Geschichte hat gezeigt, dass die Freiwilligkeit zu mehr Umweltschutz in der Regel erst dann eintritt, wenn dadurch ein (wirtschaftlicher) Vorteil entsteht. Gäbe es keine Abfallgesetze, würden die meisten Unternehmen ihre Abfälle wohl heute noch auf wilden Deponien oder in die Gewässer kippen. Die Digitalisierung selbst schafft es deshalb nicht allein, die Kreislaufwirtschaft weiterzuentwickeln. Der Druck muss her.
Die Gesellschaft kann mit ihrer Konsumentenverantwortung sowohl Druck ausüben als auch die Branche unterstützen. Der Druck setzt beispielsweise bei der nachhaltigen Kaufentscheidung an. Für eine nachhaltige Kaufentscheidung muss aber zunächst mehr Transparenz geschaffen werden. Diese können nur die Produzenten schaffen. Ob das freiwillig passieren wird und wie diese Transparenz aussehen muss, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Die Unterstützung durch die Gesellschaft kann zum Beispiel bei einer ordnungsgemäßen Müllentsorgung ansetzen. An sich eine einfache Aufgabe, die aber noch zu oft vernachlässigt wird.
Die Politik muss an den richtigen Stellen (!) Druck aufbauen. Eine stärkere Vernetzung durch Digitalisierung könnte hier ansetzen und Markttransparenz schaffen und gleichzeitig den Wettbewerb ankurbeln. Auch kann dadurch die Informations- und Datenlage verbessert werden. Allerdings ist es mit Skepsis zu betrachten, wenn die Politik das ohnehin schon sehr komplexe Regelwerk des Abfallrechts einem weiteren „unkontrollierten Wachstum“ aussetzt.
Neben dem Druck braucht die Wirtschaft tatsächlich auch mehr Unterstützung. Beispielsweise durch gezielte Forschungs- und Investitionsförderung. Oder aber auf regulatorischer Ebene durch eine Vereinfachung des Abfallrechts an wesentlichen Stellen. Anstatt rechtliche Hürden aufzubauen, muss in den richtigen Bereichen der Weg zu einer umweltgerechten Kreislaufwirtschaft geebnet werden.
Wie bei allem, gilt es auch hier mit Maß und Pragmatismus zu vorzugehen und vor allem aber praxisnah. Etwas, was wir bei bifa über 30 Jahren Projekterfahrung verinnerlicht haben und unsere Kunden und Projektpartner schätzen.
Bekommen wir mit einem umfassenden Kreislaufwirtschaftssystem die Umweltprobleme, die sich aus dem Abfall ergeben, schon in den Griff?
Ein aktuelles globales Problem, das durch die Medien geht, ist der Kunststoffabfall in den Meeren. Ein Problem, das Deutschland oder die EU nicht alleine in den Griff kriegen wird, denn von den zehn größten Plastikmüll-emittierenden Flüssen liegt keiner in Europa. Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in Deutschland oder der EU reichen deshalb nicht aus, um diese globale Bedrohungen zu bekämpfen.
Leider haben einige der betroffenen Staaten oft „ganz andere Probleme“. Kreislaufwirtschaft hat keine Priorität, wenn Arbeitslosigkeit, politische Konflikte, Hunger oder sogar Krieg die Tagesordnung bestimmen. Deshalb besteht der Bedarf in finanzieller und technologischer Unterstützung in den betroffenen Ländern und stärkerer Kooperation. Das Ozonloch konnte auch nur durch internationale Zusammenarbeit wieder geschlossen werden.
Aber es gibt auch genug Umweltprobleme, wenn auch nicht offensichtliche, die wir hier in Europa verursachen und auch nur hier in den Griff kriegen können. Dazu ein paar Beispiele:
Beispielsweise die weiten Entsorgungswege für Abfälle, die mit einem hohen Transportaufwand verbunden sind, weil es vor Ort keine (günstigen) Entsorgungsmöglichkeiten gibt. Wichtiger wäre es, zumindest eine geeignete Verwertungsanlagen in Deutschland aufzubauen. Ein aktuelles Beispiel ist z. B. eine Verwertungsanlage für teerhaltigen Straßenaufbruch.
Weitere bekannte Umweltprobleme durch Abfall liegen vor allem in der Produkt- und Verpackungsentwicklung. Die Lösung wäre das „Design for Recycling“, vor allem im Verpackungsbereich. Hierbei ist bifa immer wieder an Projekten beteiligt.
Ein weiteres Beispiel ist die unsachgemäße Entsorgung von Abfällen, beispielsweise durch fehlende Mülltrennung, Littering oder illegale Ablagerungen. Was hier Abhilfe schaffen kann, sind eine bessere Aufklärung zum Littering und stärkere Kontrollen sowie abschreckende Strafen für schwere Umweltstraftaten.
Auch wird noch zu wenig für die Abfallvermeidung getan, z.B. bei Lebensmittelabfällen, in denen große Vermeidungspotentiale stecken. Dabei gibt es schon digitale Lösungen, z.B. den Resourcenmanager – Food der Universität Stuttgart, der sich im Bereich der Gastronomie bewiesen hat, aber bislang noch keine breite Anwendung finden konnte.
Deutschland bietet mit seinem technischen Knowhow, den finanziellen Mitteln, dem gesellschaftlichen Willen und dem vergleichsweise hohen Bildungsstandard beste Voraussetzungen für den Umbau zu einer umfassenden Kreislaufwirtschaft. Wirkliche Lösungen - global wie lokal - schaffen wir aber nur übergreifend und gemeinsam über Bundesländer- und Staatengrenzen hinweg.