Wie schätzen Sie die aktuelle Situation der Branche ein, und wie blicken Sie in die Zukunft?
Die Situation ist für die Branche herausfordernd: Neben der Bewältigung akuter Krisen sind wir zunehmend mit grundlegenden, teils drastischen Veränderungen konfrontiert: Der Dreiklang aus technologischem und demographischem Wandel sowie den einschneidenden geopolitischen Umbrüchen fordern der Branche inmitten ihrer größten Transformation enorme Kraftanstrengungen ab. Tatsächlich ist es bewundernswert, mit wie viel Anpassungsfähigkeit, Einsatz und Leidenschaft die vergangenen und akuten Herausforderungen angegangen und gemeistert wurden. Das entschlossene Commitment der Autoindustrie zu den Pariser Klimazielen und zur Erreichung der Klimaneutralität bleibt weiterhin Leitmotiv: Die Unternehmen der Automobilindustrie sind fest entschlossen, diesen Wandel zu einer Erfolgsgeschichte zu machen - und investieren dafür Rekordsummen: Zwischen 2023 und 2027 rund 250 Mrd. in Forschung und Entwicklung, insbesondere in die E-Mobilität, weitere rund 130 Mrd. u.a. in den Umbau von Werken.
Gleichzeitig gilt: Das allein reicht nicht. Erfolgreicher Wandel braucht maximale Wettbewerbsfähigkeit - durch Standortpolitik, übergreifende Strategien und Technologieoffenheit. Berlin und Brüssel setzen stattdessen zu oft auf Regulierung und schränken die Wirtschaft zunehmend ein. Eine besorgniserregende Entwicklung, die bereits Konsequenzen zeigt.
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Insbesondere die internationale Wettbewerbssituation wird als problematisch angesehen - wie sollte die Politik darauf reagieren?
Genau so ist es. Während der internationale Standortwettbewerb immer härter geführt wird, fehlt es in Berlin und Brüssel zu oft an Geschwindigkeit und praxisnahen Konzepten. Noch immer gibt es keine überzeugende Antwort auf den amerikanischen Inflation Reduction Act. Die Konsequenzen dieser Politik zeigen sich zunehmend in den täglichen Wirtschafts-Schlagzeilen. Kaum ein Tag vergeht, an dem keine neue Studie bestätigt, dass der Standort Deutschland international in Bezug auf die Standortbedingungen und die Wettbewerbsfähigkeit immer weiter zurückfällt. Umso mehr ist die Politik gefordert, den Ernst der Lage zu erkennen und mit aller Kraft gegenzusteuern. Uns droht eine schleichende Erosion, mit erheblichen Konsequenzen für Beschäftigung, Wachstum und Wohlstand in Deutschland. Um diesen Prozess zu stoppen, müssen Berlin und Brüssel endlich mit konkretem Maßnahmen die Ursachen – und nicht die Symptome – angehen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes wieder herstellen. Ganz konkret heißt das: Weniger Bürokratie, einfachere und schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren und - ganz wesentlich - eine abgesicherte Energie- und Rohstoffversorgung. Genauso notwendig: Eine technologieoffene Ordnungspolitik, die die Unternehmen und deren Innovationen entfesselt, statt sie durch Regulierungen auszubremsen. Letztlich also eine Politik, die die Stärken unserer Industrienation fördert, neue Märkte eröffnet, auf Innovationen setzt - und somit Wohlstand, Wachstum und auch den Klimaschutz sichert.
Nicht zuletzt viele Mittelständler investieren in experimentelle Konzepte, selbst bei der Gefahr einer Fehlinvestition - wie innovativ ist die Branche aus Ihrer Sicht?
Eines vorweg: Wir sind eine beeindruckende und innovative Branche, die Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammen denkt, Zukunftstechnologien entwickelt und den Wandel zur Klimaneutralität voranbringt. Doch auch hier sind Standort und Wettbewerbsfähigkeit zunehmend ein Problem: Während wir in Sachen Forschung und Entwicklung führend sind, erfolgt die Umsetzung der Innovationen, inklusive der Ansiedlung entsprechender Jobs, immer häufiger im europäischen Ausland oder in den USA. In aller Deutlichkeit: Eine Industrie, deren Arbeitsplätze zu 70 Prozent mit dem Export von Produkten verbunden ist, braucht dringend international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen. Sonst wird es zwar weiterhin innovative deutsche Autos geben, aber sie werden vielleicht immer weniger in Deutschland gebaut. Das müssen wir verhindern: Wir müssen endlich wieder dahin zurück, Mut zu belohnen, Rahmenbedingungen wettbewerbsfähig auszugestalten und Innovationsgeist zu fördern! Darin liegt auch die größte Chance bzw. unser größtmöglicher Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel: Es ist unsere Aufgabe, die Technologien zu entwickeln sowie die Innovationen hervorzubringen und zu exportieren, die insbesondere den wachsenden Regionen auf dieser Welt klimaneutrales Wachstum ermöglichen.
Als ein Problem gilt der Fachkräfte-Mangel. Wie lässt sich dieser abmildern?
Für unsere Mitglieder gehört das zu den größten Herausforderungen – übrigens nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Generell gilt: Alle Branchen kämpfen um eine kleiner werdende Zahl an Fachkräften. Doch eines hat sich geändert: Früher war selbstverständlich, dass Deutschland attraktiv für Fachkräfte aus dem Ausland ist. Das ist nicht mehr so.
Das neue Einwanderungsgesetzt ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.
Gleichzeitig muss die Politik die begleitenden Maßnahmen bedenken und dafür sorgen, dass sich die Menschen tatsächlich für Deutschland entscheiden. Wir konkurrieren mit den USA, Kanada und Co. Ob Bildung, Wohnraum, Bürokratie - im internationalen Vergleich muss Deutschland hier mithalten und anführen.
Natürlich sind wir als Industrie auch selbst gefordert: Im Bereich der Arbeitskräftesicherung gehen unsere Unternehmen mit großem Engagement voran. Sie bieten über die Berufsschulen und das duale Ausbildungssystem hinaus Fördermöglichkeiten und Nachhilfeprogramme für die Auszubildenen an. Da sich die Berufe wandeln, lernen die Auszubildenden in den Betrieben auch über die Ausbildung hinaus erforderliche Fertigkeiten. Die Betriebe bilden ausländische Fachkräfte aus und unterstützen sie beim Ankommen und bei der Integration vor Ort, zum Beispiel durch Sprach- und Grundlagenkurse.