Die Arbeits- und Lebenswelten verändern sich durch die Digitalisierung in hohem Maße - die Menschen sind nur teilweise darauf vorbereitet. Denn eine Studie des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation bescheinigt den Menschen in Europa diesbezüglich ganz unterschiedliche Kompetenzen. Vorn dabei sind Spitzenreiter Finnland aber auch Österreich, Deutschland liegt nur im Mittelfeld. Einen Hauptfaktor dafür sieht Alexander Rabe vom eco - Verband der Internetwirtschaft im deutschen Bildungssystem, das deutlich zu langsam auf technologische Veränderungen reagiere. So sei Digitale Bildung nicht ausreichend im Lehrplan verankert und viele in der Lehrerschaft seien nach wie vor nicht entsprechend geschult. Es fehle auch an vergleichbaren Weiterbildungsmöglichkeiten für Erwachsene. „Außerdem mangelt es in einigen Regionen immer noch an einer adäquaten digitalen Infrastruktur. Auch viele mittelständische Unternehmen haben noch Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung.“
Auf Kompetenztestdaten von Kindern und Jugendlichen verweist Friederike Hertweck vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung - diese zeigen für Deutschland außerdem, eine digitale Kluft zwischen Mädchen und Jungen schon in der Sekundarstufe II. „Stereotype Rollenbilder oder mangelnde Vorbilder im Alltag können Mädchen davon abhalten, sich verstärkt mit Computern und Technik auseinanderzusetzen. Derartige Stereotype sind in anderen Ländern teilweise weniger verankert, spielen allerdings auch dort bei der Berufswahl eine Rolle.“ Die soziale Herkunft und die Bildungsbiografie bestimmen vergleichsweise aus ihrer Sicht zudem stark die Lernwege im Erwachsenenalter und somit auch die digitalen Kompetenzen. „Gleichzeitig werden digitale Grundkompetenzen auf betrieblicher oder gesellschaftlicher Ebene nur wenig gefördert, sodass vulnerable Personengruppe (Ältere, Geringqualifizierte) nicht gleichermaßen von digitalen Innovationen profitieren können.“
Deswegen ist für Dr. Roland A. Stürz vom Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation, das die ober erwähnte Studie verantwortet, die Politik gefragt. Diese habe im formalen Bildungsbereich die größten Einflussmöglichkeiten und müsse dafür sorgen, dass bereits in frühen Phasen der formalen Bildung umfassend Digitalkompetenzen vermittelt werden. „Auch später müssen diese Kompetenzen unabhängig von der Spezialisierung von Schülerinnen und Schülern oder auch der Studierenden einen wesentlich größeren Stellenwert in den Lehr- und Studienplänen einnehmen.“ Deutlich schwieriger werde es für die Politik im Bereich des lebenslangen Lernens, wenn Menschen nach der formalen Ausbildung keine institutionalisierten Kontakte mehr zu Bildungseinrichtungen haben. Doch auch auch hier gebe es Best-Practice-Beispiele. So könnten einfachere und besser zugängliche Fördermöglichkeiten sowie darauf ausgerichtete Beratungsangebote die Weiterbildungsaktivitäten von Erwerbstätigen erhöhen. Niederschwellige Angebote für ältere Menschen könnten dazu beitragen auch in diesen Bevölkerungsschichten digitale Kompetenzen zu stärken.
Die Zahlen zeigen auch, dass fast drei Viertel der Deutschen glauben, dass sich die eigene berufliche Tätigkeit durch die Digitalisierung nicht verändert. Prof. Dr. Josef Schrader vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung betont, dass fast jede berufliche Tätigkeit sich im Zuge des technologischen Wandels verändert hat und sich auch insbesondere durch die fortschreitende Digitalisierung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) weiter verändern werde. So werden E-Mails statt Briefe (oder Faxe) verschickt, Apps unterstützen den (beruflichen) Alltag nicht nur im Büro, sondern auch in Handwerksbetrieben. Und auch im Bildungsbereich gebe es mittlerweile viele Möglichkeiten, sich beim Lernen durch z.B. adaptive Lernsysteme unterstützen zu lassen. „In vielen Sektoren verändert sich die berufliche Tätigkeit dadurch nach und nach, sodass die Digitalisierung nicht unbedingt als „Bedrohung“ wahrgenommen wird.“
Sandy Jahn von der Initiative D21 spricht in diesem Zusammenhang dagegen von einem „Vogel-Strauß-Effekt“. „Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass man versucht, ein Problem wie die mögliche Veränderung oder gar den Verlust des eigenen Arbeitsplatzes dadurch zu lösen, dass man sprichwörtlich den Kopf in den Sand steckt, um das Problem nicht sehen zu müssen.“ Dieses psychologische Phänomen trete häufig auf, wenn Herausforderungen zu groß oder zu komplex erscheinen, um bewältigt werden zu können. Doch dieses „Kopf in den Sand stecken“ sei die falsche Strategie, wenn man langfristig mit dem digitalen Wandel Schritt halten und von seinen Vorteilen profitieren will. Resilienz im digitalen Wandel bedeute, Veränderungen zu antizipieren, zu akzeptieren und sich anzupassen, bevor der Veränderungsdruck zu negativen Konsequenzen führt.
Auf die Lage in Österreich geht Mag. Julia Bock-Schappelwein vom Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung ein. „Im Jahr 2023 gaben nur 1,6% der Bevölkerung im Alter zwischen 25 und 64 Jahren in Österreich an, über keine digitalen Kompetenzen zu verfügen, weitere 3,3% hatten höchstens limitierte digitale Kompetenzen, d.h. zusammengefasst hatten 4,9% dieser Altersgruppe höchstens limitierte bzw. gar keine digitalen Kompetenzen, wobei keine nennenswerten geschlechtsspezifischen Unterschiede erkennbar erscheinen“ Sie fordert daher eine besseren Zugang zur beruflicher Weiterbildung - insbesondere für Gruppen von Arbeitskräften, die bisher wenig oder gar nicht an beruflicher Weiterbildung teilgenommen haben. „Dafür sind geeignete institutionelle Rahmenbedingungen, Weiterbildungsformate und Finanzierungsinstrumente unabdingbar, weshalb institutionelle Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, die es Menschen mit unterschiedlichen Lernbiographien und in verschiedenen Lebensphasen ermöglichen, an beruflicher Weiterbildung zu partizipieren.“
In Bezug auf die digitale Kluft nach der formalen Bildung hält Dr. Markus Vesely von der Digitaloffensive Österreich verschiedene Maßnahmen für notwendig. „Lebenslanges Lernen ist entscheidend, unterstützt durch praxisorientierte Weiterbildungskurse und flexible Online-Lernplattformen.“ Digitale Kompetenzen sollten zugleich frühzeitig gefördert und in allen Bildungsstufen integriert werden. Auch Berufliche Schulen und Hochschulen sollten ihre Lehrpläne erweitern, um digitale Fähigkeiten zu vermitteln.
Mag. Ulrike Domany-Funtan von "fit4internet" - Verein zur Steigerung der digitalen Kompetenzen in Österreich plädiert daher für Steuererleichterungen oder Bildungsprämien im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung, im Bereich der Arbeitsmarktqualifizierung (digitale re- und upskilling), aber auch der individuellen Lernreisen. „Ein Bildungskonto und jährliche Bildungsprämien für spezifische Bildungsmaßnahmen (z.B. KI) mit begleitender Wirkungsmessung wären eine sinnvolle, systemische Investition.“