Die Deutschen liegen bei digitalen Kompetenzen im europäischen Vergleich hinter der Spitzengruppe. Worin sehen Sie die wichtigsten Gründe dafür?
Tatsächlich stellen wir diesen Sachverhalt zunächst einmal so in den von uns selbst am Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation erhobenen Daten zu digitalen Kompetenzen der Bevölkerung in verschiedenen europäischen Ländern fest. Im Durchschnitt weisen die Menschen in manch anderen von uns untersuchten europäischen Ländern höhere digitale Kompetenzwerte auf als die Menschen in Deutschland. So sind im Durchschnitt vor allem die Menschen in Finnland und Österreich digital kompetenter als die Menschen in Deutschland. Ein genauerer Blick in die Daten zeigt dann aber auch den wichtigsten Grund dafür: Die große digitale Kluft in Deutschland. So sind nämlich die digital kompetenteren Bevölkerungsgruppen – wie beispielsweise junge Menschen, Menschen mit einem höheren Einkommen oder einer höheren formalen Bildung – in allen von uns untersuchten Ländern ähnlich kompetent. Bei diesen Bevölkerungsgruppen in Deutschland gibt es bei den digitalen Kompetenzen z. B. kaum Unterschiede zu den entsprechenden Bevölkerungsgruppen in Finnland oder Österreich. Anders sieht es bei den digital weniger kompetenten Bevölkerungsgruppen aus. Insbesondere ältere Menschen, Menschen mit geringem Einkommen und auch Menschen mit geringer formaler Bildung schneiden in Deutschland meist deutlich schlechter ab als die entsprechenden Gruppen in anderen Ländern. Beispielsweise sehen wir in Finnland keine digitale Kluft nach formaler Bildung und auch der Unterschied zwischen Jung und Alt ist dort nur etwa halb so groß wie in Deutschland. Es sind diese großen Unterschiede der digitalen Kompetenzen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen in Deutschland, die letztlich dafür verantwortlich sind, dass wir alles in allem hinter der Spitzengruppe zurückfallen.
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Es gibt eine erhebliche digitale Kompetenz-Kluft nach der formalen Bildung. Was kann dagegen getan werden?
Diese Art der digitalen Kluft betrifft in erster Linie den Bildungsbereich. Es bedarf hier mehr Digitalkompetenzen, die auch in den Curricula formal niedrigerer Bildungsabschlüsse vermittelt werden müssen. Blicken wir beispielsweise auf den Informatikunterricht in der Sekundarstufe 1, zeigt sich über die Bundesländer hinweg ein Flickenteppich. Während in manchen Bundesländern ein Pflichtfach Informatik in der Sekundarstufe 1 existiert, fristet Informatik in anderen Bundesländern ein Nischendasein im Wahlbereich. Damit gehört Deutschland zu nur wenigen europäischen Ländern, die keine flächendeckende informatische Grundbildung für Schülerinnen und Schüler anbieten. Hier ist eine wichtige Stellschraube, an der man ansetzen kann. Eine bessere Abstimmung zwischen den Bundesländern kann zudem dabei helfen, aus Best-Practice-Beispielen einzelner Bundesländer zu lernen. Daneben muss natürlich auch in die Ausstattung der Schulen und in die Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer, die die Digitalkompetenzen vermitteln sollen, weiter investiert werden. Wie man es besser machen kann, zeigt das Beispiel Finnland. Hohe Investitionen vor allem in die frühen Bildungsjahre, die fächerübergreifende Vermittlung von IKT-Kompetenzen ab der ersten Jahrgangsstufe und eine hohe Autonomie der Schulen sind sicherlich mit maßgeblich dafür, dass sich in Finnland kein klarer Zusammenhang zwischen den digitalen Kompetenzen der Menschen und ihrer formalen Bildung zeigt.
Fast drei Viertel der Deutschen glauben, dass sich die eigenen beruflichen Tätigkeiten durch die Digitalisierung nicht verändern. Wie bewerten Sie diesen Befund?
Hier sehen wir in den Daten ein klassisches Wahrnehmungsproblem von Menschen. Die Auswirkungen von gewissen, relativ globalen, also viele verschiedene Aspekte einschließenden Faktoren – wie hier der Digitalisierung – werden allgemein als groß und bedeutend wahrgenommen, während die konkreten Auswirkungen auf einen selbst und auf den eigenen Beruf als eher gering erachtet werden. Häufig liegt dies auch daran, dass diese Faktoren im Detail bei derartigen Befragungen gar nicht durchdacht werden. Es ist also davon auszugehen, dass hier die Auswirkungen auf die eigenen beruflichen Tätigkeiten tendenziell unterschätzt werden. Wir sehen das im Übrigen auch bei einer Folgebefragung, bei der wir konkreter nach den Auswirkungen generativer künstlicher Intelligenz auf die eigenen beruflichen Tätigkeiten gefragt haben und mithin hier nur einen Teilbereich der Digitalisierung erfasst hatten. Hier gaben dann nämlich nur noch 43 % der Erwerbstätigen an, dass sie keine Auswirkungen auf ihre eigenen beruflichen Tätigkeiten er warten würden.
Was sollte die Politik zur Verbesserung der digitalen Kompetenz der Bürger leisten?
Im formalen Bildungsbereich hat die Politik sicherlich die größten Einflussmöglichkeiten und muss hier, wie zuvor schon angesprochen, dafür sorgen, dass bereits in frühen Phasen der formalen Bildung umfassend Digitalkompetenzen vermittelt werden. Auch später müssen diese Kompetenzen unabhängig von der Spezialisierung von Schülerinnen und Schülern oder auch der Studierenden einen wesentlich größeren Stellenwert in den Lehr- und Studienplänen einnehmen. Deutlich schwieriger wird es für die Politik im Bereich des lebenslangen Lernens, wenn Menschen nach der formalen Ausbildung keine institutionalisierten Kontakte mehr zu Bildungseinrichtungen haben. Aber auch hier gibt es Best-Practice-Beispiele. So könnten einfachere und besser zugängliche Fördermöglichkeiten sowie darauf ausgerichtete Beratungsangebote die Weiterbildungsaktivitäten von Erwerbstätigen erhöhen. Niederschwellige Angebote für ältere Menschen können dazu beitragen auch in diesen Bevölkerungsschichten digitale Kompetenzen zu stärken. Gute Ideen und Maßnahmen, wie „Mein Bildungsraum“ (ursprünglich die Nationale Bildungsplattform) oder auch den DigitalPakt Alter, gibt es bereits. Häufig mangelt es dann aber an einer sinnvollen, zeitnahen und flächendeckenden Implementierung oder einer konsequenten Weiterentwicklung der Programme und Maßnahmen.