Die Zahlen klingen gut: Fast 90 Prozent der deutschen Handwerks-Betriebe setzten bereits digitale Lösungen ein. Verwaltung und Marketing stehen dabei im Vordergrund. Stephan Blank vom Zentralverband des Deutschen Handwerks sieht das Handwerk in der Fachdebatte auf Meinungsbarometer.info bei der Digitalisierung auf einem guten Weg. Er leitet das Projekt Mittelstand-Digital beim Zentrum Handwerk und vergleicht seine Branche mit anderen, da liege man im Mittelfeld. „Nach dem Digitalisierungsindex der Telekom erreichen wir von den 100 Prozentpunkten in den letzten Jahren 55 bis 56. Zum Vergleich: Die Industrie kommt auf 58 Prozentpunkte und ist somit auf einem ähnlichen Level wie wir.“ Dabei seien die Voraussetzungen und zur Verfügung stehenden Ressourcen für die Digitalisierung der Unternehmen nicht vergleichbar. Das Handwerk sei gegenüber der Industrie von einer wesentlich kleinteiligeren Organisationsstruktur geprägt. Es gebe zwar größere Handwerksunternehmen, wie etwa den Optiker Fielmann. Dem gegenüber stünden jedoch viele Solo-Selbstständige.
Tatjana Lanvermann, Bundesvorsitzende des Bundesverbandes UnternehmerFrauen im Handwerk, ergänzt interessante Zahlen aus einer Befragung ihrer Mitglieder. Danach haben 63 Prozent der UnternehmerFrauen im Handwerk in die Digitalisierung der Buchhaltung investiert, 44 Prozent in die Baustellen-Kommunikation, 61 Prozent in Auftragsabwicklung, 19 Prozent in Kundenbindung, 41 Prozent in Kundenkommunikation, 13 Prozent in Online-Shops, 52 Prozent in Homepages und 38 Prozent in Social Media. Sie betont darüber hinaus: „Durch die Digitalisierung können auch mehr Frauen für das Handwerk gewonnen werden.“ Es gebe deutliche Erleichterungen im körperlichen Bereich. Das bringe natürlich nicht nur für Frauen, sondern für alle, in gesundheitlicher Sicht große Vorteile.
Daten aus Österreich bringt Prof. Dr. Reinhard Kainz, Geschäftsführer der Bundessparte Gewerbe und Handwerk der Wirtschaftskammer Österreich, in die Fachdebatte ein. Zunächst hält fesr: „Die aktuelle Covid-19-Pandemie hat den digitalen Anwendungen zusätzlich einen „Booster“ verliehen.“ Nach der IKT-Erhebung in Unternehmen 2021 verfügen demnach 99,2 Prozent der Unternehmen mit 10 bis 49 Beschäftigten in Österreich über einen Internetzugang und 90,2 Prozent über eine Website. 62,3 Prozent nutzen Social Media und 37 Prozent bedienen sich kostenpflichtiger Cloud-Services für IKT-Dienste wie Speicherplatz, Software oder Rechnerkapazitäten. Im gesamten produzierenden Bereich machen 20,9 Prozent Verkaufsumsätze über E-Commerce.
Auch in der Schweiz gibt es nach Einschätzung von Mario Fellner, Direktor des Verbandes Schweizerischer Schreinermeister, nur noch sehr wenige Betriebe, welche sich komplett der Digitalisierung verschließen. Eine Basis-Digitalisierung sieht er bei 95 Prozent der Betriebe. Zur Abwicklung der Geschäftsprozesse stehe in den meisten Betrieben eine Branchenlösung zur Verfügung. „Genutzt werden darin insbesondere die Verwaltung der Kontakte und Adressen, die Erfassung der Aufträge sowie die Erstellung von Werkstofflisten.“ Daneben nennt er die Zahl von ca. 75 Prozent der Betriebe, bei denen die Leistungserfassung sowie auch die Erstellung von Auftragsbestätigungen und die Auftragsabrechnung aus der Branchenlösung heraus gelöst werden.
Auf die Vielfalt der Digitalisierungs-Potenziale im Handwerk geht Sebastian Egelhof vom Baden-Württembergischer Handwerkstag ein. „Auch in Deutschland werden mittlerweile erste Häuser aus dem 3D-Drucker produziert. Die BWHM hat in einer Digitalisierungswerkstatt Bäcker begleitet, welche eine Künstliche Intelligenz eingeführt haben.“ Obendrein werde „Predictive Maintenance“ („vorausschauende Wartung“) durch Sensortechnik und automatisierte Datenauswertung zu einem Massenphänomen – egal, ob im KFZ-Handwerk, Sanitär- und Heizungsbau oder für Dachdecker.
Simon Nentwich vom Deutschen Mittelstands-Bund (DMB) unterstreicht die den Ausbau der Hilfestellungen für Betriebe zur Bewältigung der digitalen Transformation. "Das umfasst passgenaue Förderprogramme, auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittene Beratungsangebote, Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen sowie Bildungs- und Qualifizierungsangebote." Besonders wichtig sei zudem, dass ein erleichterter Zugang zu günstigen Krediten sichergestellt werde. Auch Fördermöglichkeiten zur Finanzierung von Investitionen spielen aus seiner Sicht eine große Rolle. „Die Nachfrage nach diesen Mitteln ist groß, sodass eine finanzielle und personelle Aufstockung der Förder- und Beratungsprogramme notwendig ist.“
Bei allen spezifischen Besonderheiten im Handwerk ist es für Zafer Bakir vom Schweizerischer Baumeisterverband egal, ob KMU oder Konzern: „Die Digitalisierung ist keine Frage der Unternehmensgrösse - sondern eine Frage der Unternehmensvision und der Unternehmenskultur sowie der Fähigkeit, die richtigen Digitalisierungsmassnahmen für das eigene Geschäftsmodell ableiten zu können und umzusetzen.“