Die Bundesregierung hat es getan - die Digitalstrategie ist beschlossen. Ziel der Digitalstrategie ist es nach Angaben des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) , die Rahmenbedingungen für das Vorankommen der Digitalisierung in allen Bereichen zu verbessern. Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft sollen demnach noch besser und einfacher die Chancen der Digitalisierung und die Gestaltungsmöglichkeiten des digitalen Wandels im Sinne der Menschen nutzen können.
Im Vorfeld des Beschlusses haben Experten in einer Fachdebatte auf Meinungsbarometer.info einen kursierenden Entwurf bewertet. Zunächst ging es dabei um eine Bestandsaufnahme. „Wir in Deutschland und Europa sind, dabei endgültig den Anschluss an die Digitalisierung zu verlieren“, meint etwa Dirk Freytag, Präsident, des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW). Die zentrale Frage ist aus seiner Sicht, wie wir mit Daten in Zukunft umgehen. Die Bundesregierung müsse viel aufholen, was über Jahre versäumt wurde. Die aktuelle Regierung sei insgesamt viel mutiger als ihre Vorgänger und bewege sich. „Die Bewegung braucht allerdings einen ordentlichen Ruck, um uns aus dem Mittelfeld herauszubringen.“
eco-Geschäftsführer Alexander Rabe verweist darauf, dass insbesondere Betreiber digitaler Infrastrukturen, die aus seiner Sicht das eigentliche Rückgrat der Digitalisierung bildet, unter Beweis gestellt haben, dass sie nicht nur die Wirtschaft und Gesellschaft dieses Landes am Laufen halten, sondern auch innovative Lösungen anbieten, um die Klimaziele in Deutschland und Europa zu erreichen. „Doch um die digitale Transformation – wie sie im Koalitionsvertrag der Ampel festgeschrieben ist – vollumfänglich deutschlandweit umsetzen, braucht es auch den Staat“, betont der Vertreter des Verbandes der Internetwirtschaft.
Dr. Günther W. Diekhöner von DD Die Denkfabrik sieht wichtige Elemente, die für die Zukunft für Deutschland wettbewerbsentscheidend sind, als nicht gegeben an. Ihm fehlt auch die Bereitschaft, seitens der Politiker, sich wirklichem Sach- und Fachverstand zu öffnen. „Niemand erwartet von einem Verkehrsminister, dass er Digitalexperte ist, dafür gibt es genügend neutrale Fachleute, die aber auch in entsprechender Form parteiübergreifend in die Vorgaben und Richtlinien einzubinden sind.“ Für Prof. Dr. Jürgen Wunderlich von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Landshut wurde jahrelang viel zu wenig in die digitale Infrastruktur, die technische Ausstattung und das Personal investiert. Allein zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) würden ca. 33.300 IT-Fachkräfte im öffentlichen Sektor benötigt. Diese seien in Anbetracht des Fachkräftemangels kaum zu bekommen. „Eine effektive Verwaltung ist aber nicht nur ein wichtiger Standortfaktor, sondern erfolgsentscheidend für die ökonomische Entwicklung, wie gerade die baltischen Staaten oder auch Polen zeigen.“
Jutta Croll von der Stiftung Digitale Chancen warnt indes vor Vergleichen mit anderen Ländern, den diese machen für machen aber nur Sinn, wenn man diese anhand der jeweiligen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen kontextualisiert. „So hinkt der Vergleich mit dem gern als Musterknaben der Digitalisierung angeführten Staat Estland schon deshalb, weil die Einwohnerzahl des Landes mit 1,33 Mio nur rd. ein Drittel der Bevölkerung allein des Bundeslands Berlin (3,82 Mio) ausmacht.“ Die Herausforderungen für Deutschland seien deutlich größer.
Für Alicia Sophia Hinon von D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt lenkt der primäre Fokus auf Gigabit und 5G doch nur von den eigentlichen Herausforderungen ab. Nach wie vor gebe es riesengroße Funklöcher in weiten Teilen des ländlichen Raums, noch immer kein flächendeckendes WLAN in öffentlichen Verkehrsmitteln, vom fehlenden Wettbewerb der Telekommunikationsanbieter ganz zu schweigen. „Hinzu kommen Probleme wie eine lückenhafte Datenlage zum aktuellen Stand des Ausbaus und ein überkomplexes Fördersystem.“
Prof. Dr. Oliver Falck, Leiter des ifo Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien verweist auf den vergleichsweise kleinen hiesigen IT-Sektor, der vor allem auf mangelnde Gründungsaktivitäten zurückzuführen sei. Deutschland mache insbesondere zu wenig aus seinen Daten. „Datenbasierte Geschäftsmodelle werden in Zukunft aber viel zur Wertschöpfung eines Landes beitragen. Die großen Plattform-basierten Geschäftsmodelle sind fest in amerikanischer Hand.“ Deutschland belege aber erfolgreich Nischen, insbesondere bei den industriellen Internet-of-Things-Plattformen. Insgesamt stehe das Verarbeitenden Gewerbe bei den digitalen Kompetenzen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im internationalen Vergleich sehr gut dar. Nachholbedarf bestehe da vor allem bei den Dienstleistern. Die digitale Infrastruktur sei für ein Flächenland wie Deutschland besser als ihr Ruf. Erheblicher Nachholbedarf besteht bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, der Schulen und des Gesundheitssystems.
Mit Blick auf die Verwaltung ist für Barbara Engels vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln eine sichere digitale Identität das A und O einer digitalen Gesellschaft. Nur seien wir leider noch weit von ihr entfernt. Die Digitalisierung der Verwaltung verläuft unfassbar schwergängig. „Wir sind weit davon entfernt, Verwaltungsdienstleistungen digital zugänglich zu machen: Die Ziele des OZG werden verfehlt. Wir sind noch weiter davon entfernt, Verwaltungsprozesse durchgängig zu digitalisieren.“ Es gebe derart viele Baustellen, dass es schwierig sei, eine abzuschließen, weil jede Baustelle von vielen anderen Baustellen abhängig sei.
Dabei, so Prof. Dr. Key Pousttchi Direktor, wi-mobile Insitut für Digitale Transformation brauche es einen funktionierenden Staat und eine funktionierende Verwaltung. Deshalb gehe es nicht um die Anpassung neuer IT an die bestehenden Gegebenheiten. Die Wirtschaftsinformatik habe schon vor 30 Jahren gelernt, dass die Einführung neuartiger Technologie einen kompletten Neuentwurf der Prozesse erfordere, sonst gehe die Sache schief. „Aber in Schulen, Behörden und Ministerien ist man nicht bereit, die alten und längst dysfunktionalen Abläufe zu hinterfragen: Warum tun wir das überhaupt? Was sind die Ziele? Wie können wir diese Ziele mit modernen Mitteln erreichen?“ Stattdessen pfropfe man den alten Prozessen moderne Technologie auf und wundere sich, dass keine Fortschritte entstehen.
Jörg Bienert – Vorstandsvorsitzender des KI Bundesverbandes wird den Blick auf die konkrete Umsetzung von strategischen Zielen. „Die Umsetzung der Strategie und der Moonshot-Projekte muss über ein mit entsprechenden Befugnissen ausgestattetes Gremium auf höchster Ebene sichergestellt werden“, fordert er. Nur so könne die überfällige Digitalisierung des Landes Fahrt aufnehmen, und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität sichergestellt werden.