Bücher, Zeitschriften, Gesetzestexte, amtliche Schriftstücke – schon im gedruckten Bereich werden Jahr für Jahr unglaubliche Mengen an Material publiziert und da kommt die rasant steigende Zahl an elektronischen Medien noch hinzu. Die Archive stehen vor der Mammut-Aufgabe, das Erhaltenswerte nicht nur zu sichern, sondern die Informationen auch zugänglich und auffindbar zu halten.
Das deutsche Bundesarchiv bewertet das veröffentlichte Material auf Grundlage des Bundesarchivgesetzes. Dr. Tobias Herrmann, Leiter Strategische Planung, Leitungsunterstützung, Pressestelle, Internationale Beziehungen beim Bundesarchiv, erklärt in unserer Fachdebatte welche Kriterien aufzubewahrende Unterlagen von bleibendem Wert danach aufweisen müssen. Das Bundesarchiv sammelt danach “a) Unterlagen mit besonderer Bedeutung für die Erforschung und das Verständnis von Geschichte und Gegenwart, für die Sicherung berechtigter Bürgerbelange oder für Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung sowie b) Unterlagen, die aufgrund besonderer Rechtsvorschriften dauerhaft aufzubewahren sind“.
Auch Dr. Dorothee Platz, Leiterin des Liechtensteinischen Landesarchivs berichtet von definierten Überlieferungszielen. „Um diese abbilden zu können, müssen sie das in Frage kommende Archivgut bewerten.“ Dies geschehe mittels Bewertungsmodellen, die transparent Auskunft geben, was und in welchen Mengen archiviert werden soll. Dabei wird indes „nicht nur die Archivwürdigkeit berücksichtigt, sondern auch die Archivfähigkeit“.
Viele große Archive und Bibliotheken stehen nun vor der Herausforderung ihr umfangreiches Material auch digital zur Verfügung zu stellen und dabei die wertvolle Originale in Dateien zu überführen. Die berühmte Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar digitalisiert nach Aussagen von Direktor Dr. Reinhard Laub ausgewählte Sammlungen und herausragende Objekte, die von besonderem öffentlichen und forschungsbezogenen Interesse sind „In den Digitalen Sammlungen der Bibliothek werden derzeit über 23.000 Titel netzbasiert angeboten, ein Angebot, das laufend ausgebaut wird“. Die Digitalisierung mit Kameratechnik erfolge auf hohem technischen Niveau, um eine bestmögliche Reproduzierbarkeit zu gewährleisten. Die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz digitalisieren in ihren historischen Archiven nach Aussagen von Archivarin Ute Winkelmann derzeit komplett-inhaltlich nur Archivakten, “wenn diese ausdrücklich zu Ausstellungszwecken bzw. besonderen Anlässen gebraucht werden“.
In Sachen Auffindbarkeit von Informationen in den ständig wachsenden Sammlungen mit einer zunehmenden Anzahl von Digitalisaten nennt Karin Sperl, Präsidentin des Verbandes Österreichischer Archivarinnen und Archivare, die Regel: „Kontext, Kontext und noch einmal Kontext“. Man brauche auch die Informationen darüber, wo das Material entstanden sei, wer es produziert habe, welche Stellen beim Entstehen der Unterlagen noch involviert gewesen seien u.v.m., Änderungen in den Zuständigkeiten, wie sieht die Datenstruktur aus, welche Funktion haben die Daten etc.
Ihr deutscher Kollege Ralf Jacob, Vorsitzender des VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare, ergänzt, dass die oft zu Unrecht gepriesene Volltextrecherche nach dem Google-Prinzip fördert unstrukturierte und zahlenmäßig große Treffermengen bringe, deren Auswertung nicht effizient sein könne. „Ein normiert sachsystematischer Thesaurus in der Gestalt eines Aktenplans hilft, die unterschiedlichen Teile von Akten gleichsam sachlogisch miteinander zu verknüpfen und unterschiedliche Informationseinheiten zu einem Vorgang oder einer Akte zu verbinden, die dann auch nach normierten Deskriptoren recherchiert werden können.“
Doch eines bliebt für den Archivar Dr. Philipp Tolloi vom Südtiroler Landesarchiv in Bozen klar: „Es empfiehlt sich nach wie vor, bereits vor der Benutzung eines Archivs über dessen Geschichte bzw. die Verwaltungsgeschichte seines Sprengels rudimentär Bescheid zu wissen.“ Auch die Beratung durch Archivarinnen und Archivare, die wie kein zweiter „ihre“ Bestände kennen, empfiehlt er dringend.
Bleibt die Frage, wie haltbar digitale Archivdaten sind. „Archivare und Archivarinnen denken in Jahrtausenden“, erklärt Dr. Bettina Wischhöfer - Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche. Nachhaltigkeit sieht sie dann gegeben, wenn der Schutz vor Verlust von Daten und Informationen, der Schutz vor Veränderung von Primär- und Metadaten und der Schutz vor unberechtigtem Zugriff garantiert ist.
Dr. Julia Spohr, Leiterin der Geschäftsstelle der Deutschen Digitalen Bibliothek, verweist darauf, dass die Erhaltung von digitalen Dokumenten nicht von selbst passiert, sondern kontinuierliche Arbeit erfordert. „Wenn diese Arbeit jedoch konsequent und dauerhaft geleistet wird, besteht auch für digitale Daten prinzipiell die Möglichkeit, sie für die Ewigkeit zu erhalten.“ Mit verschiedenen organisatorischen und technischen Strategien und Standards können die Daten einerseits langfristig gesichert und optimal bereitgestellt werden. Das verursache natürlich auf die Jahrzehnte und Jahrhunderte gerechnet deutlich mehr Arbeit und Kosten, als das bloße Ablegen einer Tontafel, eines Pergaments oder Papiers in einem klimatisierten Magazinraum. „Das sollte es uns aber wert sein, wenn wir wollen, dass Menschen auch später noch nachvollziehen können, wer wir waren und was unsere Zeit geprägt hat.“