Voice-Cloning, automatisierte Spot-Produktion, optimierte Programm-Planung - wie wird KI das Radio in den nächsten fünf Jahren ganz grundsätzlich verändern?
Zunächst einmal gehen ich davon aus, dass wir in den nächsten Jahren Effizienzgewinne hinter den Kulissen sehen werden. Zum Beispiel in Abläufen, Prozessen oder Workflows. Eigene Studien zeigen, dass die Steigerung von Effizienz und dadurch langfristig entweder die Erhöhung des Angebots oder die Senkung von Kosten die maßgeblichen Treiber für den Einsatz oder die Entwicklung von KI-Anwendungen darstellen. Viele Redaktionen und Medienunternehmen arbeiten daran. Erste Erfolge stellen sich zum Teil schon ein, bei vielen wird sich die heutige Arbeit in den nächsten Jahren bemerkbar machen. Zudem werden wir mehr regionalisierte und personalisierte Radio-Inhalte in den nächsten Jahren durch die Unterstützung von KI sehen.
Der Audio-Bereich ist meiner Beobachtung nach ein Bereich, der sich im Medienkosmos seit Einführung von ChatGPT am schnellsten entwickelt hat. Wir haben ja schon seit längerer Zeit KI-Radios. Nach wie vor herrscht im Publikum dazu aber Skepsis, auch das zeigen Befragungen. Deshalb nehme ich in Redaktionen Tendenzen wahr, noch mehr und gezielt auf den Faktor Mensch zu setzen. Insgesamt glaube ich also an mehr KI hinter den Kulissen, aber einer Stärkung des Menschlichen am Mikrofon.
Welche Potenziale sehen Sie in KI generierten personalisierten Radioprogrammen?
Erst einmal sehe ich in personalisierten Inhalten generell ein sehr großes Potential für Journalismus und Medien. Studien zeigen uns, dass auch viele Medienentscheider und -entscheiderinnen dieses Potential erkannt haben. Personalisierung mit Hilfe von KI lässt sich dabei in vielen Bereichen der Wertschöpfung denken. Ein besonderes Augenmerk sehen wir aktuell auf dem Bereich der Distribution: Dort finden viele Experimente im Hinblick auf individuelle bzw. personalisierte Abonnement-Angebote und Paywalls, zugeschnitten auf die Rezeptionsvorlieben und finanzielle Potenz der jeweiligen Person, statt.
Der zweite Bereich, und das betrifft dann eben auch sehr stark das Radio bzw. das Radioprogramm, ist ein individuelles Angebot für die einzelnen Rezipierenden. Wir Menschen sind es mittlerweile gewohnt, unsere Angebote personalisiert zu nutzen. Denken Sie an Social-Media-Feeds, die bei jedem von uns (wenn auch nicht immer ganz freiwillig) unterschiedlich nach unserer Nutzung aussehen. Oder die Mediennutzung vor allem junger Menschen, die sich Ihre Playlists oder Streaming-Angebote ganz individuell zusammenstellen. Die Nutzungszahlen zeigen, dass dieser Trend weiter anhält. Warum also nicht ein personalisiertes Radioprogramm anbieten?
Für Journalismus kann das aber auch eine Herausforderung sein: Als sogenannte vierte Säule der Demokratie mit seiner Kritik- und Kontrollfunktion wählt er Inhalte nicht nur nach den Vorlieben seines Publikums aus, sondern eben auch nach Relevanz. Wie wir dies mit einer möglichen Personalisierung zusammenbringen, das ist in der Diskussion noch offen.
In einer aktuellen Studie stehen viele Befragte KI namentlich im journalistischen Bereich kritisch gegenüber - wie bewerten Sie das?
Dieses Ergebnis ist für mich wenig überraschend. Denn KI-erstellte Inhalte vermitteln eigentlich genau das Gegenteil von dem, was die Menschen derzeit von Journalismus erwarten und was er auch benötigt: Mehr Transparenz. Woher stammen Fakten und Informationen? Wie wurde recherchiert, wer wurde befragt? In mehr Offenheit und Transparenz sehe ich einen ganz zentralen Baustein für Journalismus und Medien in der Zukunft, um Vertrauen aufrechtzuerhalten und zurückzugewinnen.
Und bei KI-erstellten Inhalten sprechen wir nicht umsonst häufig von den sogenannten „Blackboxen“. Die Prozesse und Daten, die zu einem bestimmten Ergebnis der KI führen, sind oft nicht mehr nachvollziehbar. Wenn schon nicht allen Beteiligten in der Redaktion die Prozesse hinter der KI-Anwendung verständlich sind, wie sollen sie das erst den Rezipierenden sein? Das läuft dem Wunsch nach mehr Transparenz entgegen. Viele Medienunternehmen entwickeln deshalb im ersten Schritt ihre eigenen KI-Lösungen auf Basis von ChatGPT, um alle Daten bei sich um Haus behalten zu können.
Welchen Regulierungsbedarf aus der Politik sehen Sie in diesem Bereich?
Das ist keine leichte Frage, die ja selbst für Medienrechtler sehr komplex ist. Der AI Act der EU ist aus meiner Sicht ein guter Anfang, den die Politik nun auf unser Mediensystem in Deutschland gezielt übersetzen sollte. Gleichzeitig sehe ich aber vor allem den Bedarf an die Politik, für mehr Innovationsförderung zu sorgen. Bestenfalls möglichst unbürokratisch und mit der Chance verbunden, neue KI-gestützte Medienangebot zu entwickeln, über einen längeren Zeitraum auszuprobieren und zu evaluieren. In diesem Zusammenhang könnte man in der Förderungsausschreibung gewisse verpflichtende ethische Leitplanken setzen, z.B. im Hinblick auf den transparenten Umgang mit Daten.