Ihre aktuelle Studie besagt, dass die große Mehrheit der erfolgreichen Youtube-Kanäle inhaltlich von anspruchsloser, oft sogar platter und stark emotionalisierter Unterhaltung geprägt und zudem von Produktwerbung durchzogen ist. Warum tun sich das zwei Drittel der 14 bis 29-Jährigen täglich an?
Sie tun sich das ja nicht an, sondern glauben vielmehr, das sei die Normalität, ja sogar das Coole, was sie sich auf YouTube reinziehen. Ich hoffe allerdings auch, dass die Jugendlichen über den Influencer-Klamauk hinaus die unglaubliche Vielfalt nutzen, die es an YouTube-Inhalten gibt. Musik, Dokus, längere Filme. Warum die meisten dennoch platte Unterhaltung bevorzugen? Eine wichtige Rolle spielen unter den Top-100-Kanälen in Deutschland Influencer. Diese digitalen Meinungsmacher wirken als Identifikationsfiguren für viele Kinder und jüngere Jugendliche, selbst wenn ihnen dabei Produktwerbung untergejubelt wird.
Außerdem fördern die YouTube-Algorithmen ganz offensichtlich emotionalisierende und polarisierende Inhalte. Auf YouTube sind zahllose ethische Grenzüberschreitungen zu sehen, die bei anderen Medienplattformen nicht durchkämen. So wird zum Beispiel ein stark behaarter junger Mann nach einer verlorenen Challenge damit ’bestraft‘, dass ihm unter großen Schmerzen Wachsstreifen von seiner Haut gezogen werden. Sein Folterknecht hält dann die Streifen mit den Worten in die Kamera: „Oh, klasse, die Haarwurzeln sind gleich mit ausgerissen!“ Da wirkt wohl die Anziehungskraft des Schrecklichen auf viele junge Zuschauer.
Im Ergebnis fordern Sie klarere Kennzeichnung von Werbung und härtere Sanktionen bei Verstößen. Welche neuen Regeln braucht es dafür?
Ich halte es für notwendig, dass die Vorgaben für werbetreibende Videomacher noch deutlicher ausfallen, wenn es z.B. darum geht, wie groß und wie lange eine Werbekennzeichnung eingeblendet werden muss. Insgesamt sind die Regeln, die die zuständigen Landesmedienanstalten den Influencern an die Hand geben, inzwischen relativ klar. Die Medienanstalten haben allerdings immer nur dann ’nachgeschärft‘, wenn ein neues Gerichtsurteil wegen Schleichwerbung dies erforderlich gemacht hat. Vor allem würde ich mir wünschen, dass die Medienanstalten transparenter arbeiten und härter gegen Schleichwerbervorgehen. Andernfalls drängt sich der Eindruck auf, dass sie ihre schützende Hand über die Influencer-Branche halten. Sie sollen aber in erster Linie die Verbraucher schützen, nicht die Werbeindustrie.
Sie fordern darüber hinaus, frühzeitig die Werbekompetenz der (jungen) Nutzer zu stärken. Wer sollte das wie tun?
Mein Eindruck ist, dass medienkundliche Lehrinhalte an den Schulen immer noch eher stiefmütterlich behandelt werden – trotz gegenteiliger Bekundungen. Viele Lehrer und nicht zuletzt auch Eltern haben bestenfalls eine vage Ahnung davon, was ihre Kinder an Medieninhalten konsumieren. Umso dringlicher erscheint es mir, dass Kinder bereits in der Grundschule eine klare Botschaft vermittelt bekommen: Influencer sind eben nicht nur virtuelle Freunde, sondern auch, wenn nicht gar noch mehr ’Verkäufer‘. Das kann nicht früh genug losgehen, denn die meisten und größten Influencer-Fans scheinen Kinder zwischen 8 und 12 Jahren zu sein. Auch das ein nachdenklich stimmendes Ergebnis unserer Studie.
Die Studie erwähnt eine öffentlich-rechtliche Gegenoffensive mit Infotainment auf den Jugendangeboten von Funk und den ARD-Plänen einer eigenen Plattform. Wie bewerten Sie die öffentlich-rechtlichen Aktivitäten für eine Youtube-Alternative?
Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks und amtierender ARD-Vorsitzender, hat im Spätsommer vorigen Jahres einen Vorschlag für das gemacht, was ich „EU-Tube“ nenne: Für eine gesamteuropäische Videoplattform, die mit den ’Algorithmen der Aufklärung‘ operiert. Ich halte das Konzept für richtig und die Idee für gut, nicht-kommerzielle Anbieter wie Museen oder Nichtregierungsorganisationen mit ins Boot zu holen. Weniger glücklich finde ich dagegen, privatwirtschaftliche Anbieter mit auf eine solche Plattform zu lassen, weil dann natürlich auch wieder werbefreundliche Inhalte hochgeladen würden. Im Moment scheint das Projekt, das eh schon sehr spät angeschoben worden ist, etwas ins Stocken geraten zu sein. Im Vordergrund steht derzeit eher, die Mediatheken von ARD und ZDF stärker miteinander zu verzahnen. Es ist ein erster Schritt, es darf aber nicht der letzte sein. Wir brauchen dringend eine Gegenmacht zu YouTube.
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