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Jugendliche oft weniger naiv, als angenommen wird

Wie Youtube reguliert werden sollte

Dr. Friederike von Gross - Geschäftsführerin der GMK e.V. Quelle: GMK Dr. Friederike von Gross Geschäftsführerin GMK e.V. 09.05.2019
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Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Jugendliche suchen und finden auf YouTube Orientierung", betont Dr. Friederike von Gross - Geschäftsführerin der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK). Deswegen brauchen die Nutzer vor allem Medienkompetenz. Leider gebe es bislang trotz guter pädagogischer Methoden zu wenige geschulte Fachkräfte für bestimmte Bereiche der Medienpädagogik.







Eine aktuelle Studie besagt, dass die große Mehrheit der erfolgreichen Youtube-Kanäle inhaltlich von anspruchsloser, oft sogar platter und stark emotionalisierter Unterhaltung geprägt und zudem von Produktwerbung durchzogen ist. Warum tun sich das zwei Drittel der 14-­ bis 29­-Jährigen täglich an?
Zunächst einmal wollen Rezipient*innen unterhalten werden. Das gilt nicht nur für Jugendliche sondern für Zuschauer*innen aller Altersgruppen. Auch TV-Formate für ältere Zielgruppen sind oftmals anspruchslos, platt und emotionalisiert. Das Schauen solcher Formate wird zum Entspannen, Abschalten und zum Zeitvertreib genutzt. Auch da unterscheiden sich die Motive der Rezipient*innen verschiedener Altersgruppen nicht sonderlich. Worin sich YouTube-Videos im Vergleich zu TV-Sendungen unterscheiden, sind die Formate, der gestalterische Aufbau der Videos, die Länge und Dramaturgie der Clips sowie die Ansprache an das Publikum und damit die Bindung an die Zuschauer*innen. Die direkte Ansprache, die Aufforderung sich in den Kommentaren einzubringen, die hohe Glaubwürdigkeit, die vermeintliche Authentizität und das gefühlte Miterleben des Alltags der YouTuber*innen erhöhen die parasoziale Interaktion zwischen Influencer*in und Zuschauer*in.

Jugendliche suchen und finden auf YouTube Orientierung. In der Jugendphase geht es darum, sich von den Eltern abzugrenzen, die eigene Identität zu finden, auszutesten, wie man selbst sein und wahrgenommen werden möchte. YouTube bietet dabei eine Masse an Vorlagen, die prinzipiell passgenaue Inhalte für die jeweiligen Fragen, Wünsche und Bedürfnisse bieten können. Dabei stoßen jugendliche Rezipient*innen selbstverständlich auch auf herausfordernde Inhalte wie tradierte Geschlechterrollen, nicht gekennzeichnete Konsumaufforderungen, fragwürdiges oder grenzüberschreitendes Verhalten, Fake News und Meinungsmache. Hier gilt es Kindern und Heranwachsenden Medienkompetenz zu vermitteln, die ihnen hilft, Inhalte zu reflektieren, zu durchschauen und für sich medienkritisch einzuordnen. Dies gelingt beispielsweise indem man mit ihnen ins Gespräch kommt, sich über ihre Vorbilder aber auch über persönliche Grenzen unterhält und die Empathiefähigkeit fördert. Handlungsorientierte Ansätze der Medienpädagogik, steigern die Medienkritikfähigkeit und fördern zugleich Möglichkeiten der eigenen Teilhabe: z.B. durch das Besprechen und Decodieren von bekannten Clips und dem Konzipieren und Drehen eigener Videos, bspw. auch durch Ironisierung und Überzeichnung von zuvor herausgearbeiteten Stereotypen.

Im Ergebnis fordern die Forscher klarere Kennzeichnung von Werbung und härtere Sanktionen bei Verstößen. Welche neuen Regeln braucht es dafür?
Der Jugendmedienschutz im Social Media-Bereich stellt eine neue Herausforderung dar, die durch die bisherigen Regelungen nicht zeitgemäß beantwortet wird. Hier sind neben YouTube selbst, der Gesetzgeber aber auch die Influencer-Marketingagenturen gefordert. In Zusammenarbeit mit medienpädagogischen Expert*innen könnten Checklisten, Richtlinien und Selbstverpflichtungsgebote entwickelt werden. Dies gilt v.a. auch für das noch recht neue Phänomen der Kinder-Influencer*innen, die von ihren Eltern zu Marken aufgebaut werden. Ihnen fehlt in ihrem jungen Alter die Fähigkeit zur Folgenabschätzung und sie verfügen kaum über die Kompetenz selbst für sich entscheiden zu können. Hier sind neben den Plattformen und Agenturen vor allem die Eltern Zielgruppe medienpädagogischen Engagements: sie müssen über sozial-emotionale Folgen informiert und in ihrer Schutzverantwortlichkeit klar adressiert werden.

Für die Kennzeichnung von Werbung sind zeitgemäße, einheitliche und verbindliche Vorgaben für deutsche Kanäle zu entwickeln. Hier haben die Medienanstalten einen Leitfaden für YouTube-Videos veröffentlicht, der auch bereits mehrfach angepasst wurde. Dennoch bleiben die Kennzeichnungen oftmals für Rezipient*innen schwer zu durchschauen. Nachdem einige Influencer*innen abgemahnt und verurteilt wurden, kam es in Folge auf manchen Kanälen zu einer wahren Flut von Kennzeichnungen, wodurch es für Zuschauer*innen nun manchmal noch weniger durchschaubar ist, für welches Produkt im Video nun genau geworben wird und in welchem Rahmen Gelder geflossen sein mögen.

Die Forscher fordern darüber hinaus, frühzeitig die Werbekompetenz der (jungen) Nutzer zu stärken. Wer sollte das wie tun?
Kinder und Jugendliche in ihrer Kritikfähigkeit für Werbung und Marketing unterschiedlicher Kanäle und Formate zu sensibilisieren und zu schulen ist seit Jahren ein wichtiges Ziel der Medienpädagogik. Seit Beginn der Online-Werbung hat diese Aufgabe an Komplexität zugenommen. Bisher sind zu wenige Fachkräfte darin geschult, obwohl es gute pädagogische Methoden gibt. Als erfolgversprechend hat sich auch hier handlungsorientierte medienpädagogische Projektarbeit erwiesen, die dazu anregt, sich kreativ und kritisch mit Werbeformaten auseinanderzusetzen. Mit Broschüren oder Listen alleine erreicht man Jugendliche selbst nicht.

Interessant ist, dass Jugendliche oftmals bereits über eine gewisse Werbekompetenz verfügen und weniger naiv sind, als das angenommen wird. Erste explorative qualitative Studien zeigen, dass sie die Werbung durchaus wahrnehmen, sie ihnen aber gewissermaßen egal ist. Aussagen wie „ich schaue das Video kostenlos, der YouTuber hatte viel Arbeit damit, dafür soll er auch gerne be- oder entlohnt werden“ verdeutlichen die Sichtweise vieler Jugendlicher.

Die Studie erwähnt eine öffentlich-rechtliche Gegenoffensive mit Infotainment auf den Jugendangeboten von Funk und den ARD-Plänen einer eigenen Plattform. Wie bewerten Sie die öffentlich-rechtlichen Aktivitäten für eine YouTube-Alternative? 
Positiven Content zu fördern und bekannt zu machen ist richtig und wichtig, denn Positivbeispiele haben das Potential, das Spektrum der angesagten TOP 100-Kanäle deutlich zu erweitern. Sie können dazu beitragen Klischees zu entlarven, Perspektiven zu erweitern, auch gesellschaftlich relevante Inhalte jugendaffin zu vermitteln. Inwieweit eine eigene öffentlich-rechtliche Plattform bei den Jugendlichen angenommen und geschaut wird, muss sich zeigen. Deshalb ist es vorteilhaft, dass die Funk-Videos auch bei YouTube selbst anzuschauen sind, denn Jugendliche sollten da abgeholt werden, wo sie sich aufhalten.

Auch neben Funk existiert viel positiver Content auf YouTube, der nur manchmal – algorithmusabhängig – etwas schwerer zu finden ist. In medienpädagogischen Projekten mit Kindern und Jugendlichen sollte deshalb stets auch auf qualitativ hochwertige Kanäle und Clips hingewiesen und diese mitunter gemeinsam geschaut und besprochen werden.

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