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Interview11.10.2024

Wie Wertschöpfung in Europa bleibt

Und wie sich Europa als attraktiver Standort positionieren kann

Prof. Dr. Mario Liebensteiner, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Quelle: Giulia Iannicelli Prof. Dr. Mario Liebensteiner Forscher Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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Dipl.- Journ. Nikola Marquardt
Founder & Herausgeberin
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Prof. Dr. Mario Liebensteiner von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sieht Europas "Industrie vor enormen Herausforderungen". Aus seiner Sicht sollte die EU dringend die institutionellen Rahmenbedingungen verbessern. Der Experte für Wirtschaftswissenschaften, insbesondere Energiemärkte und Energiesystemanalyse, nennt dafür eine ganze Reihe von Möglichkeiten.





Die energieintensiven Unternehmen fordern einen neuen Industrievertrag in Europa und Unterstützung. Welche Rahmenbedingungen brauchen die Unternehmen konkret?
Tatsächlich steht die Industrie vor enormen Herausforderungen. In Zukunft sollen immer mehr Wirtschaftszweige elektrifiziert oder industrielle Prozesse mithilfe von Wasserstoff, der mit erneuerbaren Energien hergestellt wird, umgesetzt werden. Dabei soll natürlich verhindert werden, dass die Industrie aufgrund des enormen Transformationsdrucks in Länder abwandert, die weniger strenge Vorgaben haben. Es ist daher nicht überraschend, dass energieintensive Unternehmen einen Industrievertrag inklusive Förderungen fordern.

Das hat auch damit zu tun, dass der Wettstreit um Förderungen zwischen den USA, China und Europa bereits in vollem Gange ist. Diesen Subventionswettlauf kann man nur schwer unterbinden, denn Länder, die großzügige Pakete schnüren, werden Investitionen anziehen. Die EU soll und kann nicht im großen Stil weiterfördern und dieses Spiel blind mitspielen. Die Förderungen für Grünstrom sind auch bereits jetzt generös. Alternativ kann die EU versuchen, den Standort Europa attraktiver zu machen, um dem Subventionsdruck entgegenwirken. Beispielsweise könnte man dazu die institutionellen Rahmenbedingungen verbessern, Innovationen fördern, die Effizienz der Märkte steigern, regulatorische Komplexität verringern, Bürokratie abbauen, Genehmigungsverfahren beschleunigen und die Rechtssicherheit stärken.

Gefordert wird auch ein schnellerer Ausbau der Windenergie - wie sehen Sie diese Forderung?
Die Transformation zu einem nachhaltigen, klimafreundlichen Energiesystem ist notwendig und erfordert einen massiven Ausbau erneuerbarer Energien. In Europa ist das Potenzial wetterunabhängiger erneuerbarer Energien wie Bioenergie und Wasserkraft jedoch begrenzt. Daher ist der Ausbau von Wind- und Solarenergie entscheidend, auch wenn diese stark wetterabhängig sind. Dies macht zusätzliche Flexibilitätsmaßnahmen erforderlich, die bisher vernachlässigt wurden.

Derzeit können in Deutschland nur etwa 2 % des erzeugten Stroms gespeichert und bei Bedarf kurzfristig genutzt werden. Der Netzausbau hinkt seit Jahren hinterher. Das führt dazu, dass bei starkem Wind im Norden Windräder abgestellt werden müssen, wofür es Kompensationszahlungen gibt, während im Süden Gas- und Kohlekraftwerke laufen, um Netzengpässe auszugleichen. Eine flexiblere Stromnachfrage wäre ebenfalls entscheidend, erfordert jedoch den längst überfälligen Rollout von Smart Metern. Grüner Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger, ist in Europa aber bislang kaum Realität. Ich bin skeptisch, ob ein signifikanter Hochlauf in wenigen Jahren tatsächlich umsetzbar ist. Mehr Windstrom ist nötig, aber es braucht noch mehr. Letztlich brauchen wir ein digitales, flexibles und smartes Energienetz. Mit der geplanten Elektrifizierung weiterer Wirtschaftssektoren wird die Stromnachfrage stark ansteigen, was die Herausforderungen zusätzlich verschärft.

Gefordert wird auch, beim Ausbau der Windenergie möglichst viel Wertschöpfung in Europa zu behalten - was muss dafür geschehen?
Es wäre wünschenswert, möglichst viel Wertschöpfung in Europa zu halten. Ob dies jedoch allein durch staatliche Zuschüsse erreicht werden kann, bezweifle ich. Was dem Ausbau der Windenergie helfen könnte – und das hat die Regierung erkannt – sind der Abbau von Bürokratie, die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und die Überwindung des Fachkräftemangels. Angesichts des internationalen Subventionswettlaufs ist es entscheidend, Europa als attraktiven Standort zu positionieren. Drohungen mit Übergewinnabschöpfungen und extremen Markteingriffen während der Energiekrise haben der Attraktivität des Standorts allerdings geschadet.

Das Emissionshandelssystem (EU ETS) als Herzstück der europäischen Klimapolitik sorgt dafür, dass Emissionszertifikate und CO2-Ausstoß stetig Richtung null sinken, was den Ausbau grüner Technologien notwendigerweise vorantreibt. Wichtig ist jedoch, keine Überregulierung durch unkoordinierte politische Maßnahmen zu riskieren, die sich sogar gegenseitig behindern könnten. Zu viele Vorschriften und ordnungspolitische Vorgaben schrecken Unternehmen ab. Besser wäre es, sich vollumfänglich auf ein marktbasiertes klimapolitisches Instrument zu verlassen. Da das EU ETS bereits etabliert ist und bestehen bleibt, sollte es auf alle Wirtschaftssektoren ausgeweitet und der Zertifikatebestand kontinuierlich reduziert werden. Eine CO2-Steuer wäre noch besser gewesen, da sie freiwillige Emissionsreduktionen nicht unterlaufen würde.

Energieintensive Unternehmen müssen nach der EU-Energieeffizienz-Richtlinie in Kürze Maßnahmen ergreifen - welche Potenziale und Herausforderungen sehen Sie hier?
Ich stehe der ordnungspolitischen Vorgabe, dass Unternehmen jährlich um einen festen Prozentsatz energieeffizienter werden müssen, skeptisch gegenüber. Der Emissionshandel allein würde dafür sorgen, dass sich Unternehmen langfristig auf eine Verringerung ihrer Energienachfrage einstellen. Wenn CO2-intensive Produktionsfaktoren durch den knapper werdenden Bestand an Emissionszertifikaten teurer werden, werden Produktionsprozesse zwangsläufig angepasst. Es gibt ausreichend Potenzial für Energieeinsparungen, und sobald Unternehmen die Kosten für klimaschädliche Emissionen tragen müssen, werden diese Potenziale auch genutzt.

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