Die energieintensiven Unternehmen fordern einen neuen Industrievertrag in Europa und Unterstützung. Welche Rahmenbedingungen brauchen die Unternehmen in Ihrer Branche konkret?
Der produzierende Sektor ist der Schlüsselbereich für das Gelingen der Energiewende. Klimaschutz ohne Chemie gibt es nicht, denn für 100 Prozent aller Green Deal-Technologien braucht es Vorprodukte aus der Chemie – weshalb ein starker EU-Chemiestandort entscheidend für das Gelingen der Transformation ist. Europa kann es sich nicht leisten, von Grundgütern und Chemikalien außerhalb der EU abhängig zu werden. Der Produktionsrückgang der letzten Jahre zeigt, wie dringlich die Situation ist. Wenn wir nicht schleunigst gegensteuern, droht eine Deindustrialisierung in der chemischen Industrie.
Um diese Gefahr abzuwenden, brauchen wir endlich eine gezielte Industriepolitik, wie sie auch Mario Draghi in seinem aktuellen Report fordert. Damit die Firmen im harten globalen Wettbewerb gegen die Konkurrenz aus den USA und China bestehen können, muss ergänzend zum „Green Deal“ ein "Industrial Deal der EU" entwickelt und umgesetzt werden. Wir benötigen geringere Energiekosten, ein innovationsfreundliches Umfeld und Planungssicherheit zur Stärkung des Vertrauens in Europa.
Dieser "Industrial Deal“ muss im Zentrum der europäischen Wirtschaftspolitik der kommenden fünf Jahre stehen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ist dabei oberste Priorität. Dafür brauchen wir rasch die entsprechenden Rahmenbedingungen. Nur so können wir wieder ein konkurrenzfähiges Geschäftsmodell in Europa aufbauen. Eine zügige Umsetzung ist dabei entscheidend. Weitere Jahre mit Diskussionen um Grundsatzpositionen wären wirtschaftlich höchst problematisch.
Es muss schnell ein konkreter Aktionsplan her, der Maßnahmen zur Beseitigung von Überregulierung und überschießenden Berichtspflichten für die Unternehmen enthält. Für alle relevanten EU-Verordnungen sollen dazu Korrekturmaßnahmen vorgeschlagen werden. Gleichzeitig brauchen wir auch rasch konkrete energiepolitische Weichenstellungen und Maßnahmen. Nur mit ausreichend erneuerbarer Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen kann der Produktionsstandort Europa gehalten werden.
Gefordert wird auch ein schnellerer Ausbau der Windenergie - welche erneuerbaren Energiequellen sind für Ihre Branche besonders bedeutsam?
Wir werden alle Quellen brauchen, um ausreichend Energie für die Transformation bereitstellen zu können. Allein für die chemische Industrie in Österreich werden dazu mehr als 60 TWh erneuerbarer Strom benötigt. Zum Vergleich: 2021 lag die Gesamtproduktion von elektrischer Energie in unserem Land bei knapp über 70 TWh.
Dabei gibt es auch keine „One-Size-Fits-All“-Lösung. Dort wo der Wind weht, brauchen wir Windräder, wo viel Sonne scheint Solarenergie, Biomasse in waldreichen Regionen und in Österreich sehen wir, wie bedeutend Wasserkraft für eine nachhaltige Stromproduktion ist. Auch innovative Technologien, die noch nicht in der Breite eingesetzt werden, wie Geothermie, werden eine wichtige Rolle spielen.
Neben der Stromproduktion dürfen wir aber nicht vergessen, dass fossile Energieträger auch als Rohstoffe eingesetzt werden. In der chemischen Industrie benötigen wir Erdgas und Erdöl, um viele Basisprodukte herzustellen. Auch hier benötigen wir eine Transformation. Wasserstoff ist hier der Schlüsselbegriff. Um diesen nachhaltig zu erzeugen, werden wir große Mengen an Energie benötigen und aus heutiger Sicht auf Importe angewiesen sein.
Gefordert wird auch, beim Ausbau der Windenergie möglichst viel Wertschöpfung in Europa zu behalten - was muss dafür geschehen?
Viele Komponenten für die Herstellung von Windenergie werden von europäischen Unternehmen produziert. Aus der Lackindustrie kommen etwa Spezialbeschichtungen, die Rotorblätter der Windräder widerstandsfähiger gegen extreme Wetterschwankungen machen. Die Rotorblätter selbst werden aus faserverstärkten Kunststoffen hergestellt. Gleichzeitig gibt es Konkurrenz in aller Welt, die häufig wegen geringerer Umwelt- und Arbeitsschutzauflagen günstiger produzieren kann. Bei der Errichtung von neuen Windparks könnten Vorgaben, Komponenten und Vorprodukte aus Europa – zumindest zu einem bestimmten Grad – zu beziehen, sinnvoll sein, um Zulieferindustrien in Europa zu halten. Entsprechende Regelungen sieht der Net Zero Industry Act der EU vor. Das macht auch aus ökologischer Sicht Sinn. Produkte, die in Österreich hergestellt werden, weisen im Schnitt deutlich geringere CO2-Emissionen bei der Produktion auf als in den USA, Indien oder China.
Energieintensive Unternehmen müssen nach der EU-Energieeffizienz-Richtlinie in Kürze Maßnahmen ergreifen - welche Potenziale und Herausforderungen sehen Sie hier?
Das Setzen von Energieeffizienzmaßnahmen, insbesondere bei energieintensiven Prozessen, war schon immer aus betriebswirtschaftlichen Gründen ein wesentlicher Teil der jeweiligen Unternehmensstrategien in der chemischen Industrie. Es wird allerdings immer schwieriger und kostenintensiver, die verbleibendenden Energieeffizienzpotentiale zu heben. Die weitere Transformation kostet viel Geld. Unternehmen dürfen dabei nicht allein gelassen werden. Wir stehen im internationalen Wettbewerb. Jede zusätzliche Belastung verschlechtert die internationale Konkurrenzfähigkeit unserer Betriebe, die ohnehin schon in einer schwierigen Lage auf den Weltmärkten stehen. Hier braucht es nicht nur klare Vorgaben, sondern auch finanzielle Unterstützung, um die Ziele erreichen zu können. Zudem benötigen wir ausreichend Zeit, um die verbleibenden Energieeffizienz-Maßnahmen umzusetzen. Das funktioniert nicht einfach über Nacht. Dabei spielt die Reduktion von bürokratischen Hürden eine wichtige Rolle. Wenn wir in der Industrie zügig umrüsten sollen, dann müssen Genehmigungen auch schnell erteilt werden und dürfen sich nicht über Jahre hinziehen.