Was bedeutet für Menschen mit einer körperlichen, sozialen oder geistigen Einschränkung gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben?
Es ist wichtig, sicherzustellen, dass Menschen mit Einschränkungen genauso am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, wie diejenigen ohne Einschränkungen. Essentiell ist es bei der Wahrnehmung von Bürgerrechten und –pflichten: Wenn man bei Verträgen oder rechtlich relevanten Dokumenten aufgrund einer Sehbehinderung das Kleingedruckte nicht lesen kann, ist diese Wahrnehmung eingeschränkt. Genauso verhält es sich, wenn diese Dokumente nicht in einfacher Sprache gehalten sind, oder für Menschen mit geistigen Einschränkungen nicht verständlich sind.
Gerade Menschen mit Einschränkungen bereichern die Gesellschaft und können zu Solidarität und Zusammenhalt beitragen. Sie müssen die Gelegenheit erhalten, z. B. in zivilgesellschaftlichen Gruppen und Interessenvertretungen Eingang zu finden und deren Arbeit mit ihrem speziellen Know-How mitzugestalten.
Illustrierend dazu ein Zitat aus der Aktuellmeldung vom 7.2.2018: „Für die Interessen pflegebedürftiger und behinderter Menschen setzen sich bundesweit zahlreiche Verbände ein. Gemeinsam kritisieren diese Organisationen, dass sie die Rechte von Pflegebedürftigen, Behinderten und ihren Familien nicht ausreichend vertreten können, weil sie in den wichtigen Gremien der Pflege nur eine eingeschränkte Mitbestimmung haben. Die Verbände fordern Nachbesserungen von der Politik.
In Deutschland leben 7,5 Millionen Menschen mit schweren Behinderungen, 2,9 Millionen sind pflegebedürftig; mit der Lebenserwartung steigt ihre Zahl weiter. Es ist wichtig, aber bisher nicht hinreichend gewährleistet, dass deren Interessen zur Finanzierung und Gestaltung ihrer Pflege bedarfsgerecht gesichert werden. Die BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen – und weitere Interessensverbände dieses Bereichs fordern mehr Mitbestimmung im Qualitätsausschuss Pflege, dem wichtigsten diesbezüglichen Gremium. Es ist dringend erforderlich – wie im Bereich Patientenvertretung im Gesundheitsbereich generell üblich –, auch für den Bereich Behinderung und Pflege angemessene Bedingungen für eine qualifizierte Interessenvertretung zu schaffen.“*
Zitat aus dem BAGSO-Positionspapier ‚Miteintscheiden und Mitgestalten‘: „Eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und eine mitverantwortliche Teilnahme an der Gestaltung des Gemeinwesens sind für Menschen aller Generationen wichtig und für die Gesellschaft als Ganzes essenziell. Eine solidarische Gesellschaft lebt von der Teilhabe, aber vor allem auch von der Teilnahme, d.h. von dem ganz praktischen Mitmachen und der Übernahme von Verantwortung der Menschen zum Wohle aller. Das gilt auch für die Älteren, die einen großen und wachsenden Teil der Gesellschaft ausmachen. Ihr Engagement ist für die Gesellschaft unverzichtbar.
Die Älteren leben vor, dass das Älterwerden mit Sinnerfüllung, Aktivität und neuen Herausforderungen einhergehen kann. Sie sind Botschafterinnen und Botschafter eines neuen realistischen Altersbildes. In ihrem Tun ermutigen sie auch andere, aktiv zu werden. Auf der anderen Seite geht eine älter werdende Gesellschaft auch mit einem steigenden Hilfebedarf einher. Füreinander zu sorgen und miteinander Leben zu gestalten, sich gegenseitig zu helfen und sich helfen zu lassen, werden wichtige Aufgaben der Zukunft. Das freiwillige Engagement von Älteren für Ältere ist ein wesentlicher Beitrag für ein gutes Leben im Alter. Engagement und Partizipation sind entscheidend für die Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse überall und für alle Generationen. Mit der Übernahme von Verantwortung tragen die älteren Generationen aktiv zu einem guten Leben in der Stadt und auf dem Land bei. Sie tun dies, weil sie Verantwortung übernehmen und die Gesellschaft im Kleinen wie im Großen mitgestalten wollen. Sie tun dies aber auch für sich selbst: Sie wollen etwas an die Gesellschaft zurückgeben, mithelfen, etwas Sinnvolles tun, Wissen weitergeben, mit anderen Menschen Kontakt haben und erfahren, dass ihre Lebenserfahrung, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen gebraucht werden. Jeder ältere Mensch braucht eine Aufgabe. Viele Ältere wollen zudem auch an politischen Entscheidungen partizipieren und vor Ort das gesellschaftliche Leben mitgestalten. Das Engagement älterer Menschen ist so bunt und vielfältig wie die Älteren selbst. Ältere Menschen engagieren sich im Sport, übernehmen Patenschaften für Schulkinder, organisieren Erzähl-Cafés, vermitteln Kunst und Kultur, helfen in der Stadtteil-Initiative mit, begleiten Menschen mit Demenz oder engagieren sich in der Hospizarbeit. Sie gründen aber auch Vereine, sind aktiv in der lokalen Netzwerkarbeit oder engagieren sich in einer sozialen Bewegung. Auch das digitale Engagement gewinnt an Bedeutung. Zeitaufwendige Tätigkeiten mit einer hohen Verbindlichkeit existieren ganz selbstverständlich neben projektbezogenen kurzfristigen Einsätzen. Umso wichtiger sind die Ermöglichung und Förderung dieses Engagements sowie die kontinuierliche Weiterentwicklung von Engagementfeldern, Rahmenbedingungen und Partizipationsmöglichkeiten.“
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Sind technische Neuerungen der Königsweg in Sachen Teilhabe? Oder können sich technische Lösungen auch als Inklusionshindernis erweisen?
Um beim Beispiel der Sehbehinderung zu bleiben: Gut ist, dass z. B. in Apotheken Beipackzettel im Großdruck ausgehändigt werden können. Genauso ist von Vorteil, wenn die Schrift auf digitalen Geräten, wie Smartphones, Tablets und PCs, vergrößert oder Kontraste verändert werden können.
Digitale Lösungen sollten nach dem so genannten „Mehr-Sinne-Prinzip“ funktionieren. Auszug aus dem Positionspapier der AG Barrierefreie Haushaltsgeräte: „Mehr-Sinne-Prinzip, technisch einfach und kostengünstig umsetzbar. Die technische Gestaltung von Haushaltsgeräten muss sich konsequent am Mehr-Sinne-Prinzip orientieren: das bedeutet, dass in der Interaktion mit dem Gerät von den drei Sinnen Hören, Sehen und Tasten immer mindestens zwei angesprochen werden müssen. Die Digitalisierung bietet die Chance, dieses wichtige Gestaltungsprinzip kostengünstig und in attraktivem Design umzusetzen.“
Was kann getan werden, dass es in diesem Bereich mehr Innovationen gibt?
Aus demselben Papier: Beispiele für gelungene Umsetzung des Mehr-Sinne-Prinzips bei modernen Geräten:
• Smartphones: Die Betriebssysteme iOS und Android bieten zusätzliche Bedienhilfen, wie eine Sprachausgabe und eine Bildschirmlupe. Auch lassen sich die Gesten an die individuelle Motorik anpassen.
• Fernseher und Kaffeemaschine mit Sprachausgabe: Es gibt bereits von mehreren Herstellern Haushaltsgeräte, die moderne Sprachtechnologie nutzen, um die Menüpunkte oder Warnhinweise vorlesen zu lassen.
• PC Tastatur: Die PC Tastatur orientiert sich immer noch an der Schreibmaschinentastatur. Text kann mit mechanischen Tasten viel schneller und fehlerfreier eingegeben werden als auf einer Bildschirm-Tastatur.
Wie lässt sich das Zusammenspiel von neuer Technik und gesellschaftlicher Akzeptanz in Sachen Inklusion/Teilhabe optimal organisieren?
Die Akzeptanz ist oft gar nicht das Problem. Produkte, die inklusiv und barrierefrei sind, sind einfach nicht bekannt und es wird oft nicht genug Geld in die Weiterentwicklung von passenden Lösungen gesteckt. Der Achte Altersbericht (https://www.achter-altersbericht.de/, besonders der Bereich Wohnen) macht deutlich, dass viele Menschen bereit sind, ihre Wohnung mit Smart-Home-Technik auszustatten. Da ein großer Teil der Menschen in Deutschland aber zur Miete wohnt, hakt es oft beim Vermieter und bei der Finanzierung. Auch gibt es noch zu wenig gekoppelte Lösungen und man hat unter Umständen fünf Fernbedienungen, oder Apps für fünf verschiedene Geräte.
Die Unternehmen, die den Markt beherrschen, sind nicht unbedingt die, die inklusiv bedienbare Technik anbieten. Neue und gute Lösungen schaffen es nicht, am Markt zu bestehen. Unternehmen könnten durch rechtliche Rahmung verpflichtet werden, Barrierefreiheit und Inklusion „mitzudenken“ und Menschen mit Einschränkungen in die Entwicklung von Hard- und Software einzubeziehen. Zudem sollten die Vergabe öffentlicher Forschungsmittel an die Beteiligung der Menschen mit Einschränkungen und der Menschen, die sie am Ende auch verwenden sollen geknüpft werden. Das Gleiche sollte für die Berücksichtigung von Inklusiver Bedienbarkeit/Design for All gelten.
Ca. 8,3 Millionen Menschen in Deutschland – der größte Teil ist über 60 Jahre alt – nutzen keinerlei digitale Geräte. Diese sehen oft den Nutzen und Vorteil nicht, haben Bedenken, dass sie die Anwendung digitaler Techniken erlernen können und haben Ängste bezüglich Datenschutz und Datensicherheit. Wenn man aber einen Menschen, der noch nicht digital unterwegs ist, eine Anwendung zeigt (für den, der gerne reist z. B. Google Earth) und ihm die Freude, die man neben dem Nutzen daran haben kann, vor Augen führt, wird er sich dem Thema bereitwilliger nähern. Man sollte also nicht mit Kursen zu Gerätekompetenz aufwarten, sondern in niedrigschwelligen Runden die Vorteile der Digitalisierung verdeutlichen, ohne die Risiken nicht auch zu benennen. Menschen ohne digitale Kompetenzen brauchen eine langfristige, seriöse Begleitung in die digitale Welt. Hieran arbeiten wir in unseren Projekten: Servicestelle Digitalisierung und Bildung für ältere Menschen: wissensdurstig.de, digital-kompass.de und digitalpakt-alter.de.
* https://www.bagso.de/spezial/aktuelles/detailansicht/verbaende-fordern-mehr-mitbestimmung-in-der-pflege/: