Die Prozesse in der Versicherungswirtschaft werden durch die Digitalisierung verändert. Wo steht die Branche in der Schweiz aus Ihrer Sicht auf dem Weg der digitalen Transformation?
Die Schweizer Assekuranz befindet sich in einer digitalen Transformation. Ausgelöst wurde dieser Wandel vor allem dadurch, dass immer mehr innovative Startups – sogenannte Insurtechs – mit digitalen Geschäftsmodellen in den Versicherungsmarkt eindrangen. Durch die zunehmende Bedeutung von Insurtechs waren etablierte Versicherer gezwungen, sich eingehend mit ihrer Digitalstrategie zu beschäftigen. Als zentrale Herausforderung wurde dabei vor allem das Modernisieren der IT-Systeme identifiziert. Denn ohne eine moderne IT-Infrastruktur lassen sich digitale Geschäftsmodelle nicht realisieren. Angesichts der seit Jahren gewachsenen Strukturen nahm die Modernisierung der IT-Systeme viele Ressourcen in Anspruch und wurde bei zahlreichen Versicherern erst vor kurzem abgeschlossen oder dauert immer noch an.
Ein weiterer Aspekt, der für den Erfolg von Digitalisierungsprojekten eine wichtige Rolle spielt, ist die Frage, inwiefern der Kulturwandel zu einem digitalen Mindset in der eigenen Belegschaft gelingt. Hier versuchen Versicherer durch verschiedene Projekte, die Offenheit für Innovationen bei den Mitarbeitenden zu fördern.
Insgesamt kann man festhalten, dass die Schweizer Assekuranz bereits einige Hürden auf dem Weg der digitalen Transformation genommen hat, aber noch viele Herausforderungen auf sie warten. Insbesondere die Covid-19-Pandemie könnte den Digitalisierungsdruck dabei noch einmal erhöhen, da sich nun mehr Kunden digitale Dienstleistungen wünschen. Von Vorteil könnte sein, dass grosse Teile der Belegschaft von Versicherungsunternehmen während des Lockdowns positive Erfahrungen mit digitalen Technologien machen konnten und so dem digitalen Wandel im eigenen Unternehmen offener gegenüberstehen.
Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich für die Produkte der Branche aus datengetrieben Anwendungen wie etwa «Predictive Analytics»?
Datengetriebene Anwendungen bieten für Versicherer zahlreiche Möglichkeiten. Auf Ebene der Kundenbeziehung kann man mit Hilfe der bereitgestellten Daten Produkte stärker individualisieren. Ausserdem kann man die Customer Experience verbessern, indem man an ausgewählten Stellen automatisierte Kommunikationskanäle anbietet. Aus interner Sicht bieten datengetriebene Anwendungen ausserdem viele Möglichkeiten, Kosten zu senken. So kann man beispielsweise die Schadenbearbeitung teilweise automatisieren oder die Betrugserkennung mit Hilfe neuer Software verbessern.
Will man die oben beschriebenen Geschäftsmöglichkeiten realisieren, muss man einige Herausforderungen meistern. Hierzu zählen zum einen die Modernisierung der IT-Infrastruktur und ein Kulturwandel in der Belegschaft, worauf bereits eingegangen wurde. Weiterhin ist zu beachten, dass datengetriebene Anwendungen nur so gut wie die Daten sind, auf denen ihre Entscheidungen basieren. Nur wenn man genau festlegt, wie man eine hohe Datenqualität sichern will, lassen sich Technologien wie «Predictive Analytics» sinnvoll implementieren und nutzen.
Welche Möglichkeiten und Gefahren sehen Sie, wenn Algorithmen und KI-Anwendungen mit Kundendaten arbeiten?
Zunächst bieten KI-Anwendungen die Möglichkeit, die asymmetrische Informationslage zwischen Versicherer und Versicherten abzubauen. Dadurch können Versicherungsleistungen effizienter bereitgestellt werden. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass die Gesamtheit der Versicherten hiervon in aller Regel profitiert, dies aber nicht für jeden einzelnen Versicherungsnehmer gilt.
Demgegenüber stehen Gefahren, die im Zusammenhang mit KI-basierten Entscheidungen stehen. Eine Gefahr, die in diesem Kontext von besonders hoher Bedeutung ist, ist, dass Regulierungsbehörden, Kunden sowie die Öffentlichkeit nicht transparent nachvollziehen können, wie ein Algorithmus zu einer Entscheidung kommt. Hier müssen Versicherer Wege finden, die Entscheidungsfindung adäquat zu kommunizieren.
Welche rechtlichen Rahmenbedingungen müssten eventuell angepasst werden, um die digitale Transformation der Versicherungsbranche zu unterstützen?
Hier gibt es vor allem zwei Felder, die für die Assekuranz von grosser Bedeutung sind. Ein Feld resultiert aus der zunehmenden Tendenz zur Kopplung von Versicherungsprämien und Datenüberlassung, die man zum Beispiel bei Pay-As-You-Drive-Konzepten in der Motorfahrzeugversicherung findet. Hier bezahlt der Versicherte die erhaltenen Leistungen nicht nur durch Geld, sondern auch durch die Daten, die er im Rahmen des Versicherungsvertrags dem Versicherer überlässt. Da diese Art von Verträgen relativ neu ist, besteht dahingehend Klärungsbedarf, wie eine solche Datenüberlassung als entgeltliche Leistungen aus rechtlicher Sicht ausgestaltet werden sollte.
Ein zweites Feld, in dem rechtliche Rahmenbedingungen eventuell angepasst werden sollten, umfasst die Regulierung von Insurtechs. Diese sehen sich häufig mit hohen aufsichtsrechtlichen Anforderungen konfrontiert, was mitunter dazu führen kann, dass innovative Geschäftsmodelle nicht realisiert werden. Hier stellt sich die Frage, wie man Insurtechs teilweise von regulatorischen Anforderungen befreien kann, ohne Kundenansprüche unverhältnismässig zu gefährden – insgesamt keine leichte Aufgabe.