Unsere Welt ist zunehmend digitalisiert. Hierdurch ergibt sich die Möglichkeit nahezu ununterbrochen und von jedem Ort aus zu arbeiten, sich auszutauschen und sich zu informieren. Und obwohl dies augenscheinlich viele Potenziale und Möglichkeiten bietet, empfinden viele Menschen auch einen großen emotionalen und psychischen Druck durch die Digitalisierung. Hierzu zählen beispielsweise eine höhere kognitive Belastung, eine höhere Arbeitsbelastung – gerade durch die Schnelllebigkeit, fehlende Bewegung und Konflikte in der Work-Life Balance (Dragano & Lunau, 2020).
Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie digitale Arbeitsumgebungen gestaltet werden müssen, damit diese nicht zu einem psychosozialen Stressor werden. Hierfür erläutern wir zuerst anhand des Job-Demands-Resources-Modells, wie Belastungen im und durchs Arbeitsleben überhaupt entstehen und welche Auswirkungen dies auf das individuelle und organisationale Wohlbefinden haben (Bakker & Demerouti, 2007; Lesener et al., 2019).
Das Job-Demands-Resources-Modell geht davon aus, dass es keine allgemein gültigen schützenden Faktoren oder Risikofaktoren in der Arbeitswelt gibt, sondern dass jede Personen unterschiedliche Aspekte als Anforderungen und als Ressourcen empfindet und dass diese miteinander interagieren.
Unter Anforderungen werden physische, psychische, soziale oder organisationale Faktoren gefasst, die sich auf die Arbeitsaufgabe und die Arbeitssituation beziehen. Dies können beispielsweise zu viel oder zu wenig Arbeit, Arbeit, die einen inhaltlich überfordert oder nicht reizt, ein schlechtes Arbeitsklima oder eine sonstige Belastung, sein. In einer digitalisierten Arbeitswelt können dies beispielsweise das Gefühl, permanenter Erreichbarkeit, neue technologische Herausforderungen oder eine schlechte Internetverbindung sein. Ebenso kann es aber die fehlende Möglichkeit sein, flexibel zu arbeiten oder eine schlechte Kommunikationskultur im Unternehmen. Diese Anordnungen bieten das Potenzial, sich negativ auf das Individuum und dessen Wohlbefinden auszuwirken, wenn sie eine langfristige Belastung darstellen.
Unter Ressourcen werden ebenfalls physische, psychische, soziale oder organisationale Faktoren der Arbeitsumgebung verstanden. Diese Faktoren haben das Potenzial, einen positiven Einfluss auf das Individuum zu haben, indem sie die Motivation des Individuums steigern. Ressourcen können beispielsweise durch eine gute und wertschätzende Teamstruktur, durch die Möglichkeit autonome Entscheidung zu treffen, eine wertschätzende Führungskraft oder durch einen sicheren Arbeitsplatz entstehen. In einer digitalisierten Arbeitswelt kann dies beispielsweise eine freie Zeiteinteilung, eine klare Kommunikationsstruktur im Team oder informelle Begegnungsstätten im Home-Office sein. Durch Ressourcen besteht das Potenzial, dass ein Individuum seine Fähigkeiten ausbaut und sich persönlich weiterentwickelt.
Anforderungen und Ressourcen entstehen unabhängig voneinander und sind somit zwei getrennte Prozesse, jedoch können sie sich bis zu einem gewissen Maße verstärken oder negieren. So können Anforderungen durch ausreichend viele Ressourcen ausgeglichen werden und so keine Belastung darstellen. Jedoch haben die Ressourcen dann nicht mehr das gleiche Potenzial, das Individuum zu stärken und in seiner Entwicklung zu fördern oder um Wohlbefinden beizutragen. Andererseits können auch wenige Anforderungen weitreichende Auswirkungen haben, wenn es keine oder kaum Ressourcen gibt, auf die das Individuum zurückgreifen kann. Welche Anforderungen durch welche Ressourcen abgemildert werden können, hängt vom Individuum und seiner Arbeitsumgebung ab.
Wichtig hierbei ist zu verstehen, dass alle Anforderungen und Ressourcen vom Individuum abhängen und nicht pauschal auf alle Mitarbeitenden generalisiert werden können. So sollten eine Personalabteilung, eine Führungskraft oder ein Gesundheitsmanager mit jedem Mitarbeiter überlegen, wie die Anforderungen einer digitalen Arbeitswelt bestmöglich durch Ressourcen ausgeglichen werden können oder im besten Fall sogar zu diesen gemacht werden könnten. Hierbei ist es sinnvoll zuerst zu überlegen, welche Anforderungen und Ressourcen eine digitalisierte Arbeitswelt mit sich bringen. Exemplarisch sind solche Überlegungen in der folgenden Aufstellung zu finden:
Anforderungen - Ressourcen
Ständige Erreichbarkeit - Freie Zeiteinteilung
Hohes Arbeitstempo - Weniger automatisierbare/monotone Arbeiten
Filtern vieler Informationen in Bezug auf Wichtigkeit/Relevanz - Asynchrone Multimediale Kommunikation möglich
Fehlender Austausch in Präsenz - Ortsunabhängiges Arbeiten
Aufweichen von Grenzen - Weniger Wege (z.B. zu Meetings oder zum Arbeitsplatz
Fehlender informeller Austausch - mehr Zeit für Familie/Freunde
Wenig Struktur vorgegeben - Mehr Möglichkeiten, Arbeit an individuelle Bedürfnisse anzupassen
Für jedes Individuum sollte nun nachgesehen werden, welche Anforderungen besonders belastend sind und welche Ressourcen besonders stärkend sind und so geschaut werden, wie diese bestmöglich an ihrem digitalen Arbeitsplatz unterstützt und beschützt werden kann.
Für eine Person, die besonders unter der ständigen Erreichbarkeit leidet, sollten beispielsweise besonders feste Strukturen eingeführt werden, z.B. private und berufliche Geräte klar getrennt sein. Auch sollte dies durch das Team unterstützt werden, indem Inhalte außerhalb von Kernarbeitszeiten verstärkt asynchron kommuniziert werden.
Für eine Person mit Kleinkindern ist eine freie Zeiteinteilung, an der auch am Wochenende gearbeitet werden kann, eine klare Ressource, die durch individuelle Arbeitszeitmodelle gestärkt werden kann. Hierbei können feste Ankerpunkte im Vormittagsbereich dabei helfen, dass das Team trotzdem gut arbeitet und funktioniert.
Eine Person, die gerne reist oder eine Fernbeziehung führt, sollte ggf. ortsunabhängig arbeiten können und hierbei vollen Zugang zu Dateien über einen VPN-Client bekommen.
Fazit: Arbeiten in einer digitalen Welt funktioniert nur dann, wenn wir sie von den Ressourcen aus denken und so neu und anders gestalten – anstatt digitale Elemente noch obendrauf zu packen, denn „mehr“ ist zuerst immer eine Anforderung. Jedoch bietet ein „anders“ das Potenzial, neue Zielgruppen zu erreichen, Freiheiten zu gewähren und die Work-Life Balance zu stärken.
Literaturverzeichnis
Bakker, A. B. & Demerouti, E. (2007). The Job Demands‐Resources model: state of the art. Journal of Managerial Psychology, 22(3), 309–328.
https://doi.org/10.1108/02683940710733115
Dragano, N. & Lunau, T. (2020). Technostress at work and mental health: concepts and research results. Current Opinion in Psychiatry, 33(4), 407–413.
https://doi.org/10.1097/YCO.0000000000000613
Lesener, T., Gusy, B. & Wolter, C. (2019). The job demands-resources model: A meta-analytic review of longitudinal studies.Work & Stress, 33(1), 76–103.
https://doi.org/10.1080/02678373.2018.1529065