Sprachnachrichten werden insbesondere bei jüngeren Zielgruppen immer beliebter. Welche Auswirkungen kann das auf die Schriftkultur haben?
Als Ausgangsbefund ist diese Beobachtung der Ausdruck eines „neuen“ Gebrauchs von Medien, der meint, dass sich mit mobilen technischen digitalen Objekten (insbesondere mit Smartphones) sowohl die Mediennutzung als auch die Medienwirkung verändern. D.h. man verabschiedet sich sozusagen von „alten“ Mediennutzungsgesten, wodurch sich die Medienkommunikation weiter entwickelt. Und man setzt an deren Stelle „neue“ Kulturtechniken ein – beispielsweise das „Wischen“ über Interfaces oder das Versenden und Abhören von Sprachnachrichten mittels entsprechender Applikationen. Damit wird auch dasjenige umgestaltet, was man „Schriftkultur“ nennen kann, indem sich deren Primat (die schriftliche Kommunikation) wandelt und an dessen Stelle ein eher flüchtiger, weniger geplanter als vielmehr spontaner mündlicher Austausch tritt. Interessant ist dabei, dass der Kanal und die Codes dieser Vermittlung noch immer materiell sind, da die Kommunikationsinstrumente hier als technische Geräte funktionieren.
Das Telefonieren verliert im Verhältnis zur Kommunikation über Messenger und Soziale Netzwerke an Bedeutung. Wie verändert das das soziale Miteinander?
Das Telefon stand als mediales Artefakt einerseits für die Möglichkeit, sprachliche Zeichen über eine räumliche Distanz mittels eines entsprechenden Kanals zu transportieren und zielgerichtet zu verbreiten. Durch Digitalisierung und Medienkonvergenz wird heute die Differenz von personaler, privater Kommunikation (wofür das Telefon andererseits lange Zeit stand) und öffentlicher, technisch vermittelter Massenkommunikation gewissermaßen obsolet. Es ist damit wesentlich leichter, zwischen Kommunikation mit Anwesenden und Nichtanwesenden zu wechseln, jedoch dabei auch mündliche, objektorientierte Kommunikation, wie sie das Telefonieren darstellt, zu speichern und später abzurufen bzw. auch nicht unmittelbar zu erwidern. Man kommuniziert zwar direkt miteinander, aber an und für sich in „Blöcken“ oder „Häppchen“. Ähnliches ist mit den Kommentarfunktionen, den Verweis- und Verknüpfungsmöglichkeiten und den ubiquitären kommunikativen Beteiligungsdimensionen „sozialer“ Medien entstanden: Kulturelle und soziale Veränderungen, die medientechnische Innovationen bewirken und in denen medial vermittelte Kommunikation und Face-to-face-Kommunikation buchstäblich miteinander verwoben sind. Wir kommunizieren dadurch immer stärker deterritorialisiert bzw. global, d.h. rücken mithin immer näher kommunizierend zusammen und erfahren uns zugleich immer stärker in der Distanz, da zwischen mir und meinem Gegenüber, den ich erreichen will, permanent technologisch gespeicherte, verarbeitete und übertragene Signale stehen, die mich von diesem trennen. Telefonieren hat noch etwas Körperliches, da wir die Stimme des Anderen hören und jener die unsrige. Chatten und Posten fehlt zumindest diese körperliche Erfahrung.
Sprachassistenten erleichtern den Umgang mit digitalen Angeboten. Doch welche Auswirkungen hat es, wenn etwa bei einer Suchabfrage nicht mehr tausende Treffer sondern eine Antwort ausgegeben werden?
Die Maschine wird auf diese Weise zu einem tatsächlichen Gesprächspartner, denn sie antwortet eindeutig. Sie hat sich für eine Antwort entschieden und stellt uns keine Antwortmöglichkeiten mehr zur Verfügung. Das, was sie eigentlich tun soll, nämlich dem Menschen zu „dienen“, wird auf den Kopf gestellt. Wir fragen die „Assistenten“, was wir tun sollen, was sie uns raten, und jene sagen uns dies dann eindeutig. Daran erkennbar wird ein Angewiesen-Sein auf Technologie. Man könnte sagen: Es entsteht eine Verbindung von Medien(technik) und Körper(mensch), die Wahrnehmung und Kommunikation mittels Medien fundamentiert. Das Problematische, das sich an einer derartigen Medien- und Kommunikationsentwicklung zeigt, ist deren „Unwahrscheinlichkeit“. Den Sinn, den wir bei der Mensch-Mensch-Kommunikation noch durch einen bestimmten Kontext und bei einem wechselseitigen Nutzungsverständnis erschließen können, wird bei der Mensch-Maschine-Kommunikation „unwahrscheinlich“ – in dem Verständnis, dass wir nur einen Suchtreffer erhalten, der nicht mehr verhandelbar ist.
Auch das eigentlich Bild-lastige Netzwerk Instagram springt auf den Trend auf und bietet eine Sprachnachrichten-Funktion an. Ergänzen Audio-Inhalte das Visuelle, oder wird Audio künftig gar - wie einige Experten vermuten - zum Leitmedium?
Es ist ein Trugschluss, dass lediglich ein Sinn der menschlichen Wahrnehmung alle anderen dominieren oder sogar verdrängen könnte. Vielmehr zeigt die Integration auditiver Nutzungsfunktionen das Bestreben respektive die Notwendigkeit, in der Medienkommunikation im besten Fall alle Sinne zu aktivieren. Es ist richtig, dass deshalb die visuelle Wahrnehmung in jüngerer Zeit durch auditive Angebote ostinat ergänzt wird. Der olfaktorische Sinn blieb im Zuge dessen allerdings noch unbeachtet. Der Weg, den die Innovierung der Mediennutzung aktuell aufweist, deutet jedoch genau in dieser Richtung: Die Entwicklung von Formaten virtueller Realität mit dem Anspruch, ein immersives und präsentes Erleben zu realisieren, ist davon angetrieben, sinnlich ganzheitlich „Welten“ zu inszenieren und zu diesem Zweck auch alle Medien anzubieten: Bild genau so wie Ton und nach wie vor Sprache. Schließlich hat Vilém Flusser bereits gefragt: „Was machen diejenigen eigentlich, die vor den Computern sitzen, auf Tasten drücken und Linien, Flächen und Körper erzeugen?“ Und er hat selbst geantwortet: „[S]ie verwirklichen alternative Welten und damit sich selber. Sie ‚entwerfen’ aus Möglichkeiten Wirklichkeiten, die desto effektiver sind, je dichter sie gerafft werden.“
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