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Das Prestige eines individuellen Telefongesprächs wird steigen

Wie sich die digitale Kommunikation wandelt

Prof. Dr. Henning Lobin, Direktor, Leibniz-Institut für Deutsche Sprache Quelle: T.W. Klein Prof. Dr. Henning Lobin Direktor Leibniz-Institut für Deutsche Sprache 21.01.2019
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Durch immer bessere Technik kommt es für Prof. Dr. Henning Lobin in der digitalen Kommunikation "zu einer funktionalen Ausdifferenzierung". Der Direktor am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache beobachtet in der Folge dessen erhebliche Veränderungen.







Sprachnachrichten werden insbesondere bei jüngeren Zielgruppen immer beliebter. Welche Auswirkungen kann das auf die Schriftkultur haben?
In der Internet-basierten Kommunikation hat bislang die Schrift dominiert. Dies hatte verschiedene technische Gründe, aber auch die Kommunikationsgewohnheiten spielten dabei eine wichtige Rolle, denn anfangs wurde auch die Smartphone-Ära von SMS und Email geprägt. Sprachnachrichten jedoch sind nicht einfach nur eine Umsetzung von bereits Bekanntem, etwa als neuartiger Anrufbeantworter oder gesprochene Emails, sondern sie haben eine ganz neue Art der Kommunikation geschaffen, die den Bedürfnissen der Nutzer ideal entspricht: schnelle Produktion der Mitteilung durch spontanes Sprechen, Abrufen der Mitteilung zu einem frei gewählten Zeitpunkt, ohne dabei aufs Handy blicken zu müssen. Eine neue Kommunikationsform ersetzt aber eine ältere nie komplett, sondern schafft sich einen eigenen Raum, weshalb kaum damit zu rechnen ist, dass die schriftbasierte Kommunikation durch diese neuen Möglichkeiten komplett entfällt.

Das Telefonieren verliert im Verhältnis zur Kommunikation über Messenger und Soziale Netzwerke an Bedeutung. Wie verändert das das soziale Miteinander?
Der Rückgang des „klassischen“ Telefonierens ist eine Folge der Möglichkeit, über internetbasierte Kommunikationsdienste passgenauer kommunizieren zu können. Dem Vorteil des direkten sozialen Kontakts des Telefonierens steht der Nachteil der unterbrechenden Wirkung des Telefonanrufs entgegen. Letzteres widerspricht einem hochgradig getakteten, in einer Vielzahl miteinander verzahnter Kommunikationsprozesse sich vollziehenden Arbeitsprozess. Die Plötzlichkeit und Ausschließlichkeit des Telefonierens erfordert einen Freiraum, dessen kommunikative Kosten nur dann akzeptiert werden, wenn der soziale Gewinn durch das Telefonat ausreichend hoch ist. Insofern wird zukünftig das Prestige eines individuellen Telefongesprächs steigen und der Kontrast zur kommunikativen „Massenware“ halbautomatisch erzeugter Kurznachrichten noch deutlicher herausstechen.

Sprachassistenten erleichtern den Umgang mit digitalen Angeboten. Doch welche Auswirkungen hat es, wenn etwa bei einer Suchabfrage nicht mehr tausende Treffer sondern eine Antwort ausgegeben werden?
Untersuchungen zur Nutzung von Suchmaschinen zeigen, dass schon jetzt, bei der Suche nach Informationen am Desktoprechner mit großem Bildschirm, nur die drei bis fünf ersten Treffer der ersten Seite tatsächlich wahrgenommen werden. Das Problem verschärft sich bei der alleinigen Nutzung durch Sprachassistenten. Zudem vergrößert sich die Gefahr der Manipulation des Rankings der Suchergebnisse durch den Suchmaschinenbetreiber, da die weiteren Suchergebnisse nicht einsehbar sind. Allerdings ist für die Suche komplexer Informationszusammenhänge eine alleinige Sprachausgabe ohnehin nicht angemessen und kann allenfalls ein Notbehelf in bestimmten Situationen sein. Amazon beispielsweise hat dieses Problem erkannt und bietet verschiedene Echo-Varianten mit Display an, bei denen die Sprachausgabe mit einer textuellen Ausgabe kombiniert wird. Zumindest in einer vernetzten Wohnung sollten also Informationen, die für die visuelle Rezeption besser geeignet sind als für die rein sprachliche, in der Darstellung die unterschiedlichen Vermittlungsformen in sinnvoller Weise miteinander verbinden.

Auch das eigentlich Bild-lastige Netzwerk Instagram springt auf den Trend auf und bietet eine Sprachnachrichten-Funktion an. Ergänzen Audio-Inhalte das Visuelle, oder wird Audio künftig gar - wie einige Experten vermuten - zum Leitmedium?
Wir Menschen sind zwar als „sprachliche Wesen“ durch Sprache kulturell und kognitiv maßgeblich geprägt, aber trotzdem ist unsere kulturelle Umwelt vor allem durch visuell wahrnehmbare Zeichensysteme – Schrift, Symbole, Grafik, Bild und Videos auf Schildern, Beschilderungen und Displays – geprägt. Visuelle Zeichensystem haben den Vorteil, ganzheitlich und nicht nur im zeitlichen Verlauf wahrgenommen werden zu können. Genauso wenig wie der Film die Literatur verdrängt hat oder Jahrtausende früher die Schrift das Gespräch oder das Bild, wird die Sprachausgabe das Bild und den Text in der Internet-Kommunikation verdrängen. Viel eher kommt es zu einer funktionalen Ausdifferenzierung, nachdem die technischen Einschränkungen in der Wahl der geeigneten Vermittlungsform zunehmend entfallen.

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