Die Deutschen liegen bei digitalen Kompetenzen im europäischen Vergleich hinter der Spitzengruppe. Worin sehen Sie die wichtigsten Gründe dafür?
Einen wichtigen Grund sehe ich darin, dass nur wenige Bundesländer einen umfassenden Informatikunterricht anbieten. Gerade dieser könnte aber insbesondere für diejenigen Kinder und Jugendliche bereichernd sein, die zu Hause wenig Unterstützung beim Aufbau von digitalen Kompetenzen erhalten. Denn der Aufbau von digitalen Kompetenzen findet viel im außerschulischen Bereich statt. Die Schule kann hier wertvolle Impulse geben, sodass Kinder und Jugendliche z.B. mit unterschiedlicher Software erste Erfahrungen in der Schule sammeln und sich eigenständig weiter damit auseinandersetzen.
Kompetenztestdaten von Kindern und Jugendlichen zeigen für Deutschland außerdem, dass eine „digitale Kluft“ zwischen Mädchen und Jungen schon in der Sekundarstufe II besteht. Stereotype Rollenbilder oder mangelnde Vorbilder im Alltag können Mädchen davon abhalten, sich verstärkt mit Computern und Technik auseinanderzusetzen. Derartige Stereotype sind in anderen Ländern teilweise weniger verankert, spielen allerdings auch dort bei der Berufswahl eine Rolle.
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Es gibt eine erhebliche digitale Kompetenz-Kluft nach der formalen Bildung. Was kann dagegen getan werden?
Der Aufbau von digitalen Kompetenzen kann sehr spielerisch erfolgen und sollte daher schon früh im Bildungsverlauf starten. Selbst Grundschulkinder können dank kinderfreundlicher Software heutzutage kleine Computerspiele eigenständig mit einem Baukastensystem programmieren und so die Logik des Programmierens erlernen. Der Aufbau von digitalen Kompetenzen kann und sollte daher sehr früh in den Lehrplänen verankert sein. Hierbei geht es nicht darum Schulbücher oder Hefte zugunsten von ausschließlich digitalen Medien abzuschaffen, sondern darum, etablierte Methoden zu ergänzen: Wer Buchstaben kennt, kann auch mal eine Geschichte auf dem Computer schreiben und sich so im Umgang mit dem Computer üben.
Auch für Erwachsene ist es wichtig, niederschwellige Angebote zu schaffen, damit auch diejenigen mit geringen digitalen Kompetenzen diese ausbauen können. Das ist nicht nur für den Beruf, sondern auch für den privaten Alltag wichtig: Mit der zunehmenden Digitalisierung einzelner Lebensbereiche – und wenn es nur die Onlinebuchung eines Termins auf dem Bürgeramt ist – laufen wir sonst Gefahr, einzelne Personen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auszuschließen.
Fast drei Viertel der Deutschen glauben, dass sich die eigene berufliche Tätigkeit durch die Digitalisierung nicht verändert. Wie bewerten Sie diesen Befund?
Fast jede berufliche Tätigkeit hat sich im Zuge des technologischen Wandels verändert und wird sich auch insbesondere durch die fortschreitende Digitalisierung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) weiter verändern. Es werden E-Mails statt Briefe (oder Faxe) verschickt, Apps unterstützen den (beruflichen) Alltag nicht nur im Büro, sondern auch in Handwerksbetrieben. Und auch im Bildungsbereich gibt es mittlerweile viele Möglichkeiten, sich beim Lernen durch z.B. adaptive Lernsysteme unterstützen zu lassen. In vielen Sektoren verändert sich die berufliche Tätigkeit dadurch nach und nach, sodass die Digitalisierung nicht unbedingt als „Bedrohung“ wahrgenommen wird.
Wenn drei Viertel der Befragten denken, dass sich die eigene berufliche Tätigkeit nicht durch die Digitalisierung verändert, dann liegt das mitunter aber auch an einem verzerrten Digitalisierungsbegriff, der Digitalisierung nur mit KI oder Robotern gleichsetzt. Denn nur wenige Berufe sind tatsächlich vollständig durch KI oder Roboter ersetzbar; in den meisten Berufen können neue Technologien als Unterstützung fungieren und so zu mehr Freiraum führen und die Produktivität steigern. Gleichzeitig schafft die Digitalisierung auch eine Vielzahl neuer Jobs.
Was sollte die Politik zur Verbesserung der digitalen Kompetenz der Bürger leisten?
Zur Verbesserung der digitalen Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen sollte der Aufbau der Kompetenzen sowie allgemein der Lösungs- und Sozialkompetenzen noch stärker in den Lehrplänen verankert werden. Zusätzlich kann durch digital gestützten Unterricht oder auch die Verwendung von adaptiven Lernsystemen die Nutzung dieser Technologien bei Schülerinnen und Schülern zur Normalität werden, sodass diese möglichst offen auch neuen Technologien gegenüberstehen. Gerade im Schulbereich bedarf es neben dem Ausbau der digitalen Infrastruktur auch Leihgeräte, damit alle Kinder und Jugendlichen teilhaben können, und natürlich entsprechender Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte.
Doch auch bei Erwachsenen bedarf es weiterer Bildungsangebote. Diese sollten zum einen diejenigen Personen adressieren, die aufgrund besonders niedriger digitaler Kompetenzen mittel- bis langfristig von der Teilhabe „abgehängt“ werden könnten. Da manche Berufsgruppen stärker von der Digitalisierung betroffen sind, könnten diese ebenfalls von Weiterbildungsangeboten profitieren.
Hinzu kommt: Mit der Digitalisierung werden sich die Arbeitsmärkte weiterhin verändern und zahlreiche neue Jobs entstehen. Weiterbildungsangebote sind daher ein zentrales Instrument, um dem Wandel erfolgreich zu begegnen – ohne dabei gesellschaftliche Gruppen zu verlieren. Um den Aufbau digitaler Kompetenzen langfristig zu sichern, sollten sie in Ausbildungs- und Studienordnungen verankert werden.