Mehr und bessere Technologie bedeutet mehr Teilhabe für Menschen mit Einschränkungen? Das ist ein Fehlschluss, wie unsere Debatte aufgezeigt hat. Dr. Martin Danner von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankungen und ihren Angehörigen e.V. beispielsweise weiß, dass technologische Innovationen große Fortschritte bei der Gewährleistung der Teilhabe bringen können. „Technik ersetzt aber nicht Emotion, menschliche Zuwendung und Gemeinschaft. Wird dies beim Einsatz von Technik verkannt, dann kann Technik in der Tat zum Inklusionshindernis werden.“
Zudem: „Nicht der behinderte Mensch muss sich anpassen, sondern die Gesellschaft. Sie muss organisieren, dass behinderte Menschen mit ihren sehr spezifischen Bedarfen überall die gleichen Chancen haben“, betont Arne Frankenstein, Landesbehindertenbeauftragter der Freien Hansestadt Bremen. Technische Lösungen könnten von Haus aus soziale Ausschlüsse nicht überwinden. Was eine technologische Innovation zum inklusiven Fortschritt mache? „Wenn die neue Technik gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht, unterstützt oder verbessert.“
Ulrike Kloiber, die Hamburger Senatskoordinatorin für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, setzt auf eine „responsive Digitalisierungspolitik“, um die Transformation „so auszugestalten, dass auch die profitieren, für die der Zugang zu digitalen Angeboten schwieriger ist“. Dazu zählten nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern beispielsweise auch ältere Menschen und Menschen mit weniger guten Bildungsvoraussetzungen. „Es gilt, digitale Angebote zu entwickeln, die von den Bedürfnissen und Möglichkeiten derer gedacht werden, für die diese Angebote gedacht sind.
Mareike Decker, eine Teamleiterin von REHADAT, dem unabhängigen Informationsangebot zu beruflicher Teilhabe und Inklusion des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, sagt, dass innovative Technologien, wenn sie in Abstimmung mit dem jeweiligen Umfeld und bestehenden Technologien eingesetzt werden, zu mehr Teilhabe führen können. „Aber Technik alleine kann keine Teilhabeprobleme lösen, die sozialen Aspekte im Betrieb (kollegiales Miteinander, Kommunikation etc.) bleiben bestehen und sollten beim Technikeinsatz immer mitgedacht werden.“
Nicola Röhricht, Projektleiterin "Geschäftsstelle Digitalpakt Alter" von der BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V., bevorzugt niedrigschwellige Runden, die anschaulich-gegenständlich die Vorteile der Digitalisierung verdeutlichen, ohne dabei die Risiken zu verheimlichen. Schließlich nutzten etwa 8,3 Millionen Menschen in Deutschland – der größte Teil ist über 60 Jahre alt – keinerlei digitale Geräte. „Diese sehen oft den Nutzen und Vorteil nicht, haben Bedenken, dass sie die Anwendung digitaler Techniken erlernen können und haben Ängste bezüglich Datenschutz und Datensicherheit.“ Wenn man aber einem Menschen Anwendungen konkret zeige und ihm die Freude daran vor Augen führe, „wird er sich dem Thema bereitwilliger nähern“.
„Gleichberechtigte Teilhabe bedeutet in meinem Verständnis, dass Menschen mit Behinderungen den gleichen Zugang zu Menschenrechten, Grundfreiheiten und materiellen und sozialen Ressourcen haben wie Menschen ohne Behinderungen auch“, konstatiert Christine Braunert-Rümenapf, Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung in Berlin. „Hierfür ist es zum einen erforderlich, dass Barrieren in allen Lebensbereichen abgebaut werden und zum anderen, dass die individuell benötigte Unterstützung zur Verfügung steht. Beeinträchtigungen können mit Technik nicht irgendwie ‚wegtherapiert‘ werden.“
„Digitalisierung und technischer Fortschritt sind Querschnittsthemen, die Chancen und Risiken bieten. Technischer Wandel muss immer auch sozial gestaltet sein, sonst werden Menschen mit Behinderungen, Ältere oder Einkommensschwache von der Teilhabe ausgeschlossen“, sagt Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland e.V. Momentan erlebten wir, dass die Digitalisierung teils auch zu Rückschritten bei der Inklusion führt, etwa wenn Banken bei der Umstellung der Zahlungen auf das TAN-Verfahren mit dem Smartphone Barrierefreiheit bei der Programmierung nicht berücksichtigen. Neue Technologien "können ein aktives und selbstbestimmtes Leben für Ältere, Menschen mit Behinderung und benachteiligten Menschen fördern". Es gebe aber viele Risiken, wenn deren Bedürfnisse nicht stets mitgedacht würden.
Ulla Schmidt von der Bundesvereinigung Lebenshilfe betont: "Für das Gelingen von echter Teilhabe braucht es bessere Rahmenbedingungen." Die Bundesministerin a.D. berichtet von vielen Initiativen, die auch die Digitalisierung und Technlogieentwicklung fördern und betont: "Inklusion bekommen wir nicht nicht zum Nulltarif." Die Lebenshilfe fordert daher auch eine Pauschale für die Ausstattung mit erforderlicher Hardware für die Menschen mit einer geistigen oder einer mehrfachen Behinderung, die auf Grundsicherung angewiesen sind.