Wie hat sich der Rundfunk in Bezug auf betriebs- und volkswirtschaftliche Fragestellungen durch die Digitalisierung bisher verändert?
Dies ist eine komplexe Frage, die sich nicht in wenigen Zeilen beantworten lässt. Glücklicherweise kann ich auf eine druckfrische Publikation des Instituts für Rundfunkökonomie der Universität zu Köln verweisen: Kops, Manfred (Hrsg.): Der Rundfunk als privates und öffentliches Gut: 25 Jahre Institut für Rundfunkökonomie (Schriften zur Rundfunkökonomie), Mai 2016, ISTAS-Verlag.
Dort werden diese Aspekte eingehend in mehr als zwei Dutzend Fachbeiträgen renommierter Rundfunkexperten beleuchtet und bewertet.
Plattformen wie Spotify oder Netflix bieten an Nutzergewohnheiten angepasste Song- oder Konzertempfehlungen. Verschlafen die öffentlich-rechtlichen und privaten Radioveranstalter einen Megatrend?
Von Verschlafen kann hier nicht die Rede sein. Es ist nicht verwunderlich, dass die Musikbranche hier in die Vorreiterrolle gegangen ist. Die Musikbranche hat sehr lange nach funktionierenden Modellen gesucht, den Konsum von Musik über das Internet zu monetarisieren. Der Innovationsdruck war sehr hoch und führte letztlich zu mehreren Lösungen, die zuweilen vielversprechende Geschäftsmodelle bedienen, ein eindeutiges Nutzenversprechen kommunizieren und für die Nutzer den nötigen Komfort bereitstellen. Bei Netflix ist es ähnlich. Dass die Radiosender hier nachziehen ist deswegen weder unerwartet noch tragisch, vielmehr hat man hier den glücklichen Fall, dass man von den Erfahrungen der Musik- und Film-/Kinobranche lernen kann. Ein weiterer Grund: sowohl Musikstücke als auch Kinostreifen sind recht homogene Medienformate, dies macht die Individualisierung einfacher. „Hörfunk“ hingegen besteht aus sehr viel unterschiedlicheren Inhalten und Mischungen von Musik sowie Textbeiträgen, darunter Interviews, Features, News, usw. Neben der Individualisierung kommt deswegen hier die Herausforderung nach einem ansprechenden, automatischen und intelligentem Programmmanagement noch hinzu. Immer mehr Radiosender beschäftigen sich mit diesem Trend des individualisierten Medienkonsums und seinen Herausforderungen. Dieser Trend wird den traditionellen Hörfunk nicht ablösen, sondern seine Spielarten nutzerorientiert erweitern. Insbesondere haben allerdings die öffentlich-rechtlichen Sender einen schwereren Startpunkt aufgrund der regulativ engeren Rahmenbedingungen.
Gibt es Positivbeispiele beim öffentlich-rechtlichen oder privaten Rundfunk im Hinblick auf personalisierte Angebote?
Positivbeispiele gibt es! Aufsehen erregt hat insbesondere die Smartphone App von NPR One in den USA. Die App scheint alles zu bieten, was einem Smartphone-Nutzer gefällt: Schlichtes Design, schicke Anmutung, einfache Bedienung und nicht zuletzt der unsichtbare Teil – das Empfehlungssystem im Backend, das immer besser personalisierte Beiträge liefert, je länger der Radiohörer die App nutzt. Auch betreibt die BBC viele innovative Projekte. Natürlich sind diese Positivbeispiele nicht an den deutschen Radiosendern vorbeigegangen. Der Bayerische Rundfunk oder Soundticker sind bemerkenswerte hiesige Akteure. Dort hat man den Trend der Individualisierung frühzeitig erkannt und liegt deswegen jetzt hier in der deutschen Innovationspitze. Erfreulicherweise erstrecken sich die Innovationstätigkeiten gleichermaßen auf den privaten wie auch den öffentlich-rechtlichen Bereich.
Wir versammeln auf unserer Tagung „Hörfunk-Innovationen: Auf dem Weg zum interaktiven Radio“ führende Experten, die den Stand und die Perspektiven aufzeigen. Mit meinem Team am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Informationsmanagement der Universität zu Köln streben wir gerade eine Kooperation mit einem namhaften Sender an. Wir verfolgen dabei das Ziel, auf dem deutschen Rundfunkmarkt das personalisierte Radio in einer Art darzubieten, die den Nutzungsgewohnheiten der jungen Hörer gerecht wird und die Kulturtechnik des Radiohörens in der jüngeren Generation stärkt. Dabei wollen wir die Synergien aus dem Verbund Wissenschaft und Praxis nutzen.
Welche Handlungsempfehlungen können Sie aus Ihrer Forschung am Institut für Rundfunkökonomie den Radiomachern des Landes an die Hand geben?
Zunächst mal finde ich die Nachricht wichtig, dass der traditionelle Hörfunk nicht bedroht ist. Ein solches Denken baut nur unnötige Blockaden und führt zum Stillstand. Um aber einen Generationenabriss zu vermeiden, sollten sich die Sender der Individualisierung des Radiokonsums nicht verschließen, sondern explizit dafür öffnen. Hier liegt auch eine einmalige Chance für Radiosender, sich sichtbar in der Wahrnehmung der Hörer zu renovieren. Jeder Radio-Sender bedarf eines aktiven Innovationsmanagements. Dafür sind Ressourcen bereitzustellen. Es gilt, die Zukunft aktiv mit zu gestalten!
Welche Chancen räumen Sie künftig terrestrischen Rundfunkübertragungswegen, wie DAB+ ein?
In meinen Augen werden linearer Radiokonsum und nichtlinearer Radiokonsum nebeneinander existieren, und zwar auch langfristig. Für beide Konsumformen bedarf es marktgerechter Übertragungswege. Obgleich sich im Bereich des linearen Radiokonsums die Verbreitungswege über das digitalterrestrische Sendernetz durch die Kommunikationswege des Internets erweitert hat, sind diese nicht notwendigerweise als konkurrierend zu sehen, sondern stellen gute Komplemente dar. Solange insbesondere das lineare Radio Anklang findet, hat auch die digitalterrestrische Verbreitung des Radios über DAB+ grundsätzlich Zukunft. Nur dazu müssten auch alle Interessensgruppen an einem Strang ziehen, attraktive (Zusatz-)Inhaltsangebote sowie die technische Infrastruktur in die Fläche gebracht werden, dies wiederum bedarf attraktiver und offensiver Vermarktung einerseits und Akzeptanz auf Konsumentenseite andererseits. Viele Voraussetzungen also, die derzeit nicht stimmig gegeben sind. Weitere Verschleppungen dürften die an sich sehr interessante Technologie eher gefährden.