Welche Aufgaben stehen generell zur Lösung an, um eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft in Deutschland bzw. Europa zu etablieren?
Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft ist für Deutschland gleich aus mehreren Gründen alternativlos: Zum einen werden die gesetzlich verankerten Klimaziele nur erreichbar sein, wenn Rohstoffe am Ende ihrer Nutzungsphase verstärkt im Kreis geführt werden. Modellierungen des Wuppertal Institut im Rahmen der Circular Economy Initiative Deutschland haben gezeigt, dass selbst ein 2-Grad Pfad ohne Kreislaufwirtschaft nicht erreichbar sein wird. Zum anderen wird sich Deutschland als Industriestandort mittelfristig im globalen Wettbewerb nur als Kreislaufwirtschaft behaupten können – das vergleichsweise simple Modell des „produce – use – dispose“ wird in anderen Teilen der Welt billiger möglich sein als bei uns. Das Denken in geschlossenen Stoffkreisläufen erfordert dagegen die komplexe Koordination verschiedenster Prozesse – vom Produktdesign über die Geschäftsmodelle bis hin zum Recycling, wo Deutschland als Standort mit seiner räumlichen Konzentration an Schlüsselakteuren aus Industrie und Forschung auch langfristig einen echten Standortvorteil haben könnte.
Von einer solchen Kreislaufwirtschaft ist Deutschland bis heute jedoch noch enttäuschend weit weg. Schlüsselindikatoren der Europäischen Kommission wie die Circular Material Use Rate, dem Anteil recycelter Rohstoffe in der Industrie, bescheinigen Deutschland bestenfalls Mittelmaß und seit Jahren nahezu eine Stagnation: Noch immer sind 88% der eingesetzten Materialien Primärrohstoffe, die häufig importiert werden müssen und immer größeren Unsicherheiten in der Lieferkette ausgesetzt sind.
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Kann die Digitalisierung der Informations- und Distributionswege allein schon die Recyclingwirtschaft effektiver und effizienter machen?
Die Digitalisierung könnte dabei einen der zentralen Hebel darstellen, um der Kreislaufwirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen: In der klassischen linearen Wirtschaft sind die Informationsflüsse vergleichsweise simpel und klar geordnet: Jeder Hersteller weiß genau, in welchen Prozessen seine Rohstoffe hergestellt worden sind und braucht sich auch keine Gedanken darum machen, was mit seinen Produkten geschieht, sobald sie einmal verkauft sind. Ganz anders in der Kreislaufwirtschaft, wo Sekundärrohstoffe aus unterschiedlichsten Quellen sinnvoll kombiniert werden müssen und niemand genau vorhersagen kann, wann und in welcher Qualität diese von ihren Nutzern entsorgt werden. Zu einem wesentlichen Bestandteil ist die Kreislaufwirtschaft also das Management von Informationen über Stoffflüsse, Materialqualitäten, Industrieprozesse und Nutzungsstrukturen.
Ganz konkret können beispielweise künstliche Intelligenzen über Bilderkennung die Qualität von Sortierprozessen verbessern, Auswertungsalgorhythmen das Aufkommen einzelner Abfallaufkommen vorhersagen oder automatisierte Handelsplattformen für Abfälle die richtigen Anbieter und Abnehmer zusammenbringen. Entsprechende Start-Ups wie ZRR oder cirplus sind am Markt zunehmend erfolgreich und werden in den kommenden Jahren die traditionellen Märkte für Sekundärrohstoffe mit neuen, zirkulären Geschäftsmodellen auf den Kopf stellen.
Inwiefern, wenn überhaupt, benötigt die Branche auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit den Druck bzw. die Unterstützung von Politik und Gesellschaft?
Gleichzeitig ergeben sich damit jedoch auch neue Anforderungen an die Politik: Die digitalisierte Kreislaufwirtschaft ist eine Gestaltungsaufgabe, die ohne entsprechende Leitplanken den Ressourcen- und Energieverbrauch auch weiter befeuern kann, z.B. mit Blick auf die massiv gestiegenen Energiebedarfe von Rechenzentren oder die in immer mehr Sensoren verbauten umweltkritischen Rohstoffe, die bislang kaum recycelt werden. Entsprechende Vorgaben für eine nachhaltige Digitalisierung im Kontext der Kreislaufwirtschaft haben in der Vergangenheit in der politischen Diskussion kaum eine Rolle gespielt – für die jetzt im neuen Koalitionsvertrag angekündigte nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie wird sie jedoch zunehmend zur Schlüsselfrage.
Bekommen wir mit einem umfassenden Kreislaufwirtschaftssystem die Umweltprobleme, die sich aus dem Abfall ergeben, schon in den Griff?
Ohne Digitalisierung ist kaum vorstellbar, dass die Kreislaufwirtschaft ausreichend schnell umfassend wettbewerbsfähig wird; gleichzeitig werden ganz neue Regulierungsansätze entwickelt werden müssen, um Umweltkatastrophen wie den Energieaufwand für das Mining von Bitcoins in Zukunft zu unterbinden.