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Stadt als real-digitaler Erlebnisraum

Wie die Innenstädte und ihr Einzelhandel die digitale Disruption angehen sollten

Bernadette Spinnen, Bundesvorsitzende Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland - bcsd Quelle: Koehler-fotodesign.de Bernadette Spinnen Bundesvorsitzende Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland - bcsd 14.07.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Alexander Hiller
Redakteur
Meinungsbarometer.info
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"Es ist richtig, dass der Einzelhandel nach Jahrzehnten mit steigenden Umsatzzahlen schon seit einiger Zeit unter starkem Druck steht", konstatiert Bernadette Spinnen, Bundesvorsitzende der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland. Die bcsd-Chefin sieht aber unter bestimmten Umständen gute Chancen für die Händler in den Städten.







Frau Spinnen, wie attraktiv sind eigentlich die deutschen Innenstädte, was ist gut, was könnte noch besser sein?
Deutsche Innenstädte sind nicht an sich gut oder schlecht, attraktiv oder unattraktiv. Was man sicher sagen kann ist, dass die Menschen sehr gerne in die Innenstädte gehen und sich von ihnen anziehen lassen. Wo diese Anziehungskraft gut funktioniert, wo also zu möglichst vielen Zeiten am Tag bis in den Abend möglichst viele Menschen in der Stadt sind, da ist eine Innenstadt ganz offenbar attraktiv und das bedeutet: Sie bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten der Nutzung, sei es als Raum für Kommunikation und Begegnung, als Marktplatz oder als Bühne und man hält sich gerne dort auf. “ In die Stadt gehen“ heißt immer auch: da zu sein, wo die Stadt ganz sie selbst ist.

Ich nehme wahr, dass sich viele Städte sehr um ihre Attraktivität bemühen und wissen, dass die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt mindestens so wichtig ist wie das Warensortiment und der Parkplatz. Alles zusammen macht ihre Qualität aus, und die Städte tun gut daran, sich möglichst integriert zu entwickeln – also mit Blick auf die verschiedensten Qualitäten vom Handelsmix über das Stadtbild, von der Erreichbarkeit über die Aufenthaltsqualität, von der Qualität eines ansprechenden öffentlichen Raums über die eines entsprechenden kulturellen Angebots.

Beim Thema Einkaufen geraten die Innenstädte durch das wachsende Onlinegeschäft unter Druck. Verschwinden schon bald Buchläden, Banken, Schuhgeschäfte aus den Innenstädten und drohen uns wahre Geistercities? Was kann der stationäre Handel gegen die scheinbar übermächtige Web Konkurrenz überhaupt ausrichten und wie können sich die Städte gegenüber dem Internethandel behaupten?
Es ist richtig, dass der Einzelhandel nach Jahrzehnten mit steigenden Umsatzzahlen schon seit einiger Zeit unter starkem Druck steht. Der steigende Grad der Filialisierung, die Nachfolgeproblematik bei inhabergeführten Einzelhandelsgeschäften, großflächige Einzelhandelsflächen auf der grünen Wiese und die Outlet Stores sowie seit einigen Jahren der immer stärker werdende Wettbewerbsdruck durch den nicht ortsgebundenen Onlinehandel wirken sich aus. Die digitale Disruption wird – das ist ganz sicher – alle Bereiche unseres Lebens erfassen und grundlegend verändern: auch die Innenstadt! Aber: der Handel ist schon immer einem dauernden Wandel unterlegen. Neue Formen des Einkaufens werden auch künftig von findigen, kreativen Betreibern entwickelt werden; und die Kunden entscheiden darüber, ob sich das Konzept durchsetzt und ob es übertragbar und multiplizierbar ist. Dass dabei auch lieb gewonnene Handelsformen verschwinden werden, liegt auf der Hand. Vieles wird davon abhängen, ob Online- und Offlinehandel ein gutes Verhältnis zueinander finden. Ich empfinde die derzeitige Situation als eine Findungsphase. Für die Innenstadt gibt es daher meines Erachtens vor allem die Anforderung, alle relevanten Akteure in einem dauernden Gespräch über die Zukunft der Innenstadt zu halten und als Stadt Prozesse der Vergewisserung und der gemeinsamen Planung der Innenstadt anzustoßen und zu moderieren. Aber eines ist auch sicher: die Stadt kann nicht den stationären Handel retten; das kann er nur selbst tun.

Welche Konzepte brauchen die Cities, um auch im Digitalzeitalter attraktiv zu bleiben?
Im digitalen Zeitalter werden Städte von ihren Bewohnern und „Benutzern“ sowohl real in Form der gebauten Stadt als auch digital, durch bereitgestellte Informationen und Bilder wahrgenommen. Künftig werden die Städte an Attraktivität gewinnen, die zwischen der realen und der digitalen Sphäre möglichst unauffällige, einfache und quasi selbstverständliche Übergänge anbieten können. Natürlich geht es darum, in einem qualitätsvollen Innenstadtambiente ein gutes gastronomisches Angebot vorzufinden, aber die Menschen wollen dieses nicht erst umständlich suchen, sondern schnellstmöglich und zuverlässig bewertet im Netz finden. Es geht also, um die Stadt als real-digitalen Erlebnisraum. Das gilt für den Handel wie für die Innenstadt als Ganze.

Ein wichtiger Aspekt beim Einkaufen in den Städten ist das Thema Mobilität und Verkehr. Müssen hier neue Konzepte her, damit auch künftig die Menschen in den Citys einkaufen gehen?
Ein neues, sehr differenziertes Verständnis von Mobilität ist tatsächlich bereits als eine der großen Veränderungen unserer nahen Zukunft identifiziert. Die drängenden Fragen einer ökologisch nachhaltigen Klimapolitik, wachsende Städte mit überlasteter Verkehrsinfrastruktur und die Digitalisierung aller Prozesse verändern die Perspektive auf die Ansprüche an Erreichbarkeit und Verkehrssysteme gewaltig. Bei alldem geht es um “convenience“, Bequemlichkeit und Preis von Mobilität. Die Menschen wollen schnell, einfach und preiswert, dabei aber umweltverträglich die Stadt erreichen können – wenn möglich auch ohne eigenes Auto! Und das bedeutet für die Städte und Regionen in der Tat, dass sie dringend neue Mobilitätskonzepte benötigen, damit sie auch für die Menschen von morgen noch leicht erreichbar sind. Wer diese Erreichbarkeitsansprüche nicht erfüllen kann, der wird künftig nicht zu den attraktiven Innenstädten zählen können.

Mit welchen Ideen und Programmen sorgt die Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland dafür, dass die Innenstädte attraktiv bleiben?
Unser Bundesverband versteht sich als Gesprächspartner und Begleiter unserer Mitgliedsstädte. Wir beobachten aktuelle Entwicklungen, wir sammeln Informationen und stellen diese unseren Mitgliedern und anderen Interessenten über Tagungen, Weiterbildungen und Publikationen zur Verfügung. Darüber hinaus fördern wir den Erfahrungsaustausch der Mitglieder untereinander und stellen regelmäßig gute Beispiele und erprobte Modelle vor.

Aber wir verstehen uns auch als Vor- und Weiterdenker in allen Fragen der Innenstadtentwicklung und sind mit den wichtigsten Institutionen im Bund und in vielen Bundesländern darüber im Gespräch, wie man die Städte bei ihren Anstrengungen zum Erhalt und zur Steigerung ihrer Attraktivität unterstützen kann; das geht durch passgenaue Förderrichtlinien in der Städtebauförderung, durch Instrumente zur Förderung des privaten Engagements oder durch Modellprojekte zu ausgewählten Zukunftsfragen. Wir versuchen dabei, die verschiedenen Aspekte der Innenstadtentwicklung im Sinne der europäischen Stadt zusammen zu betrachten und dies immer aus dem Blickwinkel dessen, der die Stadt in irgendeiner Form für sich beansprucht – sei es als Bewohner, als Gast, als Unternehmer oder als Studierender.

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