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Spiel und Realität verschmelzen seit der Antike

Wie ein Forscher die Real-life-Adaptionen von Games bewertet

Dr. Sebastian Möring, Zentrum für Computerspielforschung der Universität Potsdam (DIGAREC) Quelle: pr Dr. Sebastian Möring Koordinator Zentrum für Computerspielforschung der Universität Potsdam (DIGAREC) 17.05.2019
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Das Verschmelzen von Spiel und Realität ist nicht erst seit der Marktreife neuer Technologien wie Smartphones oder VR-Brillen ein Thema", sagt Dr. Sebastian Möring. Der Forscher ist akademischer Mitarbeiter im Kooperationsstudiengang Europäische Medienwissenschaft  (EMW) und koordiniert das Zentrum für Computerspielforschung der Universität Potsdam (DIGAREC).







Ein anonymer Millionär will auf einer Insel  eine Fortnite-Meisterschaft ausspielen. Welches Potenzial haben Computer Games als Vorlage für Freizeit-Events?
Es hat einen Augenblick gedauert, bis ich die Frage richtig verstanden hatte. Zunächst dachte ich, es ginge darum auf einer einsamen Insel eine Fortnite-Meisterschaft auszuspielen. Ich hatte schon überlegt, dass man dazu einfach nur die Infrastruktur schaffen müsste, um dort eine riesige LAN-Party zu organisieren, bei der dann eben Fortnite gespielt wird. Tatsächlich aber geht es Ihnen darum zu fragen, ob Computerspiele nicht nur realweltliche Events simulieren können, so wie etwa die Fußballsimulation Fifa 19, sondern ob Computerspiele selbst Vorlagen für realweltliche Ereignisse sein können. Wenn ich beim Beispiel Fortnite bleibe, dann gibt es mehrere Antwortmöglichkeiten:

Erstens könnte man sagen, das Spiel Fortnite ist selbst eine Variante eines Spiels, das Sie jetzt schon außerhalb des Computers spielen können, und zwar von Paintball. Dort können Sie innerhalb eines begrenzten Raumes mit vergleichsweise harmlosen Waffen aufeinander schießen und das Spiel nach dem Battle-Royale-Prinzip laufen lassen: Wer getroffen wird, scheidet aus. Zweitens könnte man dem Berliner Medienwissenschaftler Stephan Günzel folgend sagen, dass Sie Fortnite überhaupt nicht in der Realität spielen können, denn das eigentlich Interessante an Spielen wie Fortnite und anderen First-Person- und Third-Person-Shooter-Spielen ist, dass Spielende auf eine bestimmte Weise mit einem Raumbild interagieren, bei dem sie die Bildmitte auf ein Objekt in der Spielwelt ausrichten und dies ist eine andere Form der Handlung als dies etwa bei Paintball der Fall ist. Schließlich kann man drittens sagen, dass Fortnite-Meisterschaften natürlich im Rahmen des E-Sports bereits Teil teils gigantischer realweltlicher Events sind, bei denen zwar nicht die Spielhandlung vollständig in die reale Welt übertragen werden, sondern bei denen realweltliche Ereignisse und bildschirmbasierte Ereignisse miteinander interagieren. Schließlich wäre es freilich auch denkbar, das Ganze im Rahmen von sogenannten Live-Action-Rollenspielen (LARP – von Live Action Roleplay) zu inszenieren, bei denen sich niemand wehtut und wo dennoch das Spielprinzip nachempfunden werden kann. Ich denke, alle Varianten sind interessant, sprechen aber wahrscheinlich unterschiedliche Zielgruppen an.

Hierzulande gibt es hunderte Live-Rollenspiel-Events jedes Jahr, vor allem im Adventure-Bereich. Woher kommt die Faszination fürs spielerische Kämpfen?
Auch hierfür gibt es sicher viele Antworten. Ich probiere eine. Sowohl kulturgeschichtliche als auch anthropologische Ansätze gehen davon aus, dass eine der wesentlichen Formen des Spielens der Wettkampf ist. Man nimmt an, dass dies Überbleibsel des Ursprungs der Menschheit sind. Im Gegensatz zu funktionalistischen Ansätzen, wonach man im Spiel für den Ernst des Lebens trainiert, würde der Kulturanthropologe Johan Huizinga etwa sagen, dass Menschen schon immer spielerisch um die Wette gekämpft haben. Dies hatte den Nebeneffekt, dass sie so auch für den Ernst des Lebens gewappnet waren. Heute sind Live-Rollenspiele eine häufig genutzte Möglichkeit, die eigenen Handlungsmöglichkeiten im Alltag zu überschreiten und z.B. Kampferfahrungen zu spielen, die man im Alltag so nicht erfahren kann oder möchte. Oder man kann Identitäten annehmen und ausprobieren, die einem im wahren Leben eher fremd sind. Live-Action-Rollenspiele bieten den Vorteil, dass man dort einen geschützten Raum vorfindet, in dem Erfahrungen gemacht werden können, die man im echten Leben lieber nicht machen möchte oder nicht so einfach machen kann. Menschen nutzen Live-Rollenspiele um sich Situationen auszusetzen, die sich unter Umständen weit außerhalb ihrer Komfortzone befinden, um zu lernen, wie sich so eine Situation anfühlt und sich selbst kennenzulernen. Dies reicht vom Nachspielen von Kriegsszenarien über Fantasy-Welten bis hin zu Szenarien, die nah am Alltag sind, in denen man aber dennoch eine andere Rolle einnimmt als im echten Leben.

Welche anderen Game-Genres eignen sich aus Ihrer Sicht besonders für eine Adaption in Real-live-Events?
Ich würde hier keine Prognose wagen. Wir haben ja bereits gesehen, dass selbst ein so erfolgreiches Computerspiel wie Fortnite Gemeinsamkeiten mit dem realweltlichen Paintball hat. In der Regel zeigt erst die Erfahrung mit Experimenten, was geht und was nicht. Wenn Computerspiellogiken in der Realwelt funktionieren, dann liegt dies unter Umständen auch daran, dass diese Logiken selbst aus der realen Welt entlehnt sind. Nehmen Sie sogenannte Escape-Room-Spiele, in denen Sie sich allein oder in einer Gruppe in einer vorgegebenen Zeit mithilfe verschiedener Items aus einem Raum befreien müssen. Diese Spiele basieren auf räumlichen Konstellationen, die Sie auch in Adventurespielen finden. Und letztere basieren wiederum selbst auf Raumstrukturen, wie sie etwa in Höhlen vorgefunden werden. Dies war zumindest in einem der ersten Adventure-Spiele der Fall, das passenderweise Colossal Cave Adventure heißt.

Bei Augmented-Reality-Games wie Pokémon Go verschmilzt die Grenze zwischen Spiel und Realität. Welches Potenzial für Events sehen Sie in AR-Games?
Ich bin der Überzeugung, dass gerade bei Pokémon Go die Idee der „Augmented Reality“ auf die falsche Fährte führt. Die Verbindung von Computerspiel und realer Welt besteht in Pokémon Go in meinen Augen nicht darin, dass sie auf dem Bildschirm ihres Smartphones sowohl die Spielwelt als auch die dahinterliegende reale Welt sehen. In Wahrheit ist Pokémon Go ein ganz normales Computerspiel. Das Besondere dabei ist, dass Sie zum Steuern des Spiels kein Gamepad oder keinen Joystick verwenden, sondern dass die Position Ihres Körpers in der Welt mithilfe des Smartphones und des GPS mit der Position in der Spielwelt abgeglichen wird. Der Rest ist nur ein visueller Trick.

Was das Potenzial von AR-Games angeht, denke ich, dass es bereits jetzt eine Reihe spannender Verbindungen zwischen realer Welt und Spielwelt gibt. Nehmen sie z.B. Live-Action-Rollenspiele oder das Game-Theater wie von der Gruppe machina eX. Wenn Sie diese Formen als AR-Games verstehen, dann sehe ich hier weiterhin ein großes Potenzial spannende Grenzerfahrungen zwischen Spiel und Realität zu machen.

Das Verschmelzen von Spiel und Realität ist nicht erst seit der Marktreife neuer Technologien wie Smartphones oder VR-Brillen ein Thema. Vielmehr ist das Verschmelzen von Spiel und Realität ein Wesensmerkmal der meisten Spiele seit der Antike bzw. seit Menschen darüber nachdenken, was Spiele sind und welche Bedeutung sie für uns Menschen haben. Insofern ermöglichen neue Technologien vielleicht neue Weisen des Verschmelzens von Spiel und Realität aber sie haben es nicht erfunden.

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