Die Politik strebt angesichts der Marktmacht einzelner Internetkonzerne eine Modernisierung des Kartellrechts in Bezug auf die Digitalisierung und Globalisierung der Wirtschaftswelt an. Was wären Ihre wichtigsten Forderungen für eine solche Modernisierung?
Das deutsche Kartellrecht ist im Rahmen der 9. GWB-Novelle 2017 gerade erst „fit“ für die digitale Ökonomie gemacht worden. Auf dieser Basis sollten erst einmal Erfahrungen gesammelt werden. Weiterer Anpassungen bedarf es zurzeit nicht. Im Gegenteil ist es gerade eine Stärke der kartellrechtlichen Generalklauseln, dass die Kartellbehörden auf ihrer Grundlage flexibel auf die sich ändernden Gegebenheiten reagieren können. Das bestehende Kartellrecht wird damit der Dynamik von Digitalisierung und Globalisierung weit besser gerecht als ein (schnell überholtes) „Sonderkartellrecht“ mit Spezialvorschriften für die digitale Welt. Auf europäischer Ebene könnte man vielleicht über eine Änderung der Aufgreifkriterien in der Fusionskontrolle nach dem Vorbild des neuen deutschen Rechts nachdenken, um Zusammenschlüsse mit umsatzlosen, aber gleichwohl wettbewerblich bedeutsamen Unternehmen wie WhatsApp unmittelbar überprüfen zu können. Das deutsche Recht knüpft hier alternativ an den Kaufpreis. Zwingend erscheint aber auch dies derzeit nicht.
Einige Experten fordern eine eigene Regulierungsbehörde für das Internet, weil die klassischen Institutionen inhaltlich, rechtlich und personell nicht für die schnelle digitale Welt geschaffen seien. Wie sehen Sie das?
Eine Regulierungsbehörde für das Internet ist nicht nur überflüssig. Sie wäre kontraproduktiv. Wir haben mehr als genug Behörden. Alle relevanten Aspekte werden durch EU-Kommission, Bundeskartellamt, Bundesnetzagentur, Landesmedienanstalten und Datenschutzbehörden abgedeckt. Eine zusätzliche Behörde würde nur den bürokratischen Aufwand und die Kosten für die Unternehmen erhöhen und letztlich Innovation behindern. Wenn überhaupt, könnte allenfalls über eine moderate Ausweitung der Kompetenzen von Bundesnetzagentur oder Bundeskartellamt nachgedacht werden, aber auch dies nur, wenn ein tatsächliches Marktversagen festgestellt wird. Derzeit besteht auch dafür kein Bedarf. Wir sollten uns nicht aufgrund nebulöser Ängste vor dem Neuen und Unbekannten zu einer Überregulierung verleiten lassen. Wohin das führt, zeigen europarechtswidrige Gesetze wie das sog. „NetzDG.
Soziale Netzwerken leben vom Austausch einer möglichst breiten Nutzerschaft. Wie könnten sich solche Angebote kartellrechtlich regulieren lassen, ohne ihren Sinn zu verlieren?
Das Kartellrecht setzt – richtig verstanden – nur dem freien Spiel der Marktkräfte „Leitplanken“, um den Wettbewerb zu schützen und es den Märkten zu erlauben, sich auf dieser Basis selbst zu regulieren. Solange sich die zuständigen Behörden in weiser Zurückhaltung üben und von ökonomischem und rechtlichem Sachverstand leiten lassen, besteht insoweit auch in Bezug auf soziale Netzwerke kein Grund zur Sorge. Allerdings erscheint es wichtig, dass die Kartellbehörden auch in Zukunft sachfremdem Druck vonseiten der Politik widerstehen. Das Bundeskartellamt ist insoweit grundsolide. Das dies nicht immer gelingt, zeigt aber z.B. der Google Shopping-Fall der EU-Kommission, der m.E. ein Beispiel für politisch motiviertes „over-enforcement“ ist. Das Kartellrecht sollte auch nicht als „Universalmittel“ angewendet werden, um Regelungslücken des Datenschutz- oder Medienrechts zu füllen. Das muss auch im Rahmen des Facebook-Verfahrens des Bundeskartellamtes streng beachtet werden. Das Kartellrecht schützt ganz bewusst nur den Wettbewerb, und das ist auch gut so.
Die Internetriesen wachsen auch, weil sie Start-ups kaufen, bevor diese zu echten Konkurrenten heranwachsen – wie lässt sich das kartellrechtlich steuern?
Auch hier gilt, dass sich der Markt – in diesem Fall der Markt für Unternehmen – grundsätzlich selbst steuert. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Hoffnung aufgekauft zu werden, bei Start-ups oft eine wesentliche Triebfeder für Innovation ist. Das hat auch der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der 9. GWB-Novelle gesehen. Zusammenschlüsse können zudem neue und bessere Produkte ermöglichen. Andererseits können Zusammenschlüssen aber natürlich auch ein Instrument sein, um potentiellen Wettbewerb im Keim zu ersticken. Letztlich müssen die Kartellbehörden sich Zusammenschlüsse daher von Fall zu Fall genau anschauen. Das geltende Recht bietet dafür grundsätzlich eine solide und ausreichende Basis. Wie schon gesagt, könnte man allenfalls über eine Anpassung der Aufgreifschwellen auf europäischer Ebene nachdenken, um künftig auch Zusammenschlüsse wie Facebook/WhatsApp ohne Umweg über eine Verweisung direkt kontrollieren zu können.
Ist Facebook marktbeherrschend?
Wie das Bundeskartellamt in der digitalen Welt agiert
EIN DEBATTENBEITRAG VON
Andreas Mundt
Präsident
Bundeskartellamt