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Recht auf Home Office kann Überstunden vorbeugen

Das richtige Maß gegen professionelle Isolation

Dr. Yvonne Lott, Referatsleiterin Geschlechterforschung am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung Quelle: WSI Dr. Yvonne Lott Referatsleiterin Geschlechterforschung WSI der Hans-Böckler-Stiftung 04.04.2019
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Dr. Yvonne Lott, Expertin der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, ist für ein Recht auf Homeoffice, denn dieses macht "aus einem Privileg einen rechtlichen Anspruch für alle und kann die Präsenznorm schwächen." Allerdings plädiert sie für maßvolle Arbeit zu Hause, denn es gibt auch Risiken.







Die Zahl der Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Arbeit im Home Office erlauben, ist stark angestiegen. Worin liegen die Vorteile der Heimarbeit für Unternehmen und Beschäftigte?
Homeoffice ist ein gutes Instrument zur Vereinbarung von Beruf und außerberuflichen Aktivitäten. Sparen Beschäftigte Wegezeiten, können sie stressfreier die Kinder von der Kita abholen, an Sport- oder Weiterbildungskursen teilnehmen oder einfach die Zeit für sich selbst nutzen. Beschäftigte mit einer guten Work-Life Balance und mehr Selbstbestimmung sind auf Dauer gesünder und zufriedener mit ihrem Job – davon profitieren auch die Unternehmen. Denn Jobzufriedenheit ist häufig mit einer höheren Produktivität verbunden.  Zufriedene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wechseln auch seltener den Arbeitgeber. Zudem kann sich ein ungestörter Arbeitsplatz zu Hause auch positiv auf die Produktivität auswirken, wenn etwa Unterbrechungen von Kollegen ausbleiben.

Untersuchungen zeigen, dass im Home Office mehr Überstunden geleistet werden. Wie sollten die Mitarbeiter vor sich selbst und den Erwartungen ihrer Vorgesetzten geschützt werden?
Ein gutes Grenzmanagement ist zentral: Beschäftigte sollten sich auch im Homeoffice an klare Anfangs- und Endzeiten des Arbeitstages halten. Dabei kann eine Arbeitszeiterfassung helfen, die gleichzeitig eine Rückversicherung ist, falls Vorgesetze nicht darauf vertrauen, dass die Arbeitsleistung im Homeoffice tatsächlich auch erbracht wird. Vereinbarungen und Absprachen mit Vorgesetzen zur Dauer von Offline-Zeiten, zu Pausen und zur Erreichbarkeit während der Arbeitszeit, sowie zur Nicht-Erreichbarkeit nach Feierabend können Beschäftigten und Arbeitgebern zudem einen verlässlichen Rahmen geben, der Überstunden vorbeugt. Darüber hinaus muss ein Umdenken in den Unternehmen stattfinden. Eine gute Work-Life Balance dient der Gesunderhaltung und der dauerhaften Produktivität und sollte anstelle von Überstunden vom Arbeitgeber gewürdigt werden.

40 Prozent der heutigen Arbeitsplätze wären Home-Office-fähig. In welchem Umfang wird das klassische Präsenz-Büro künftig überhaupt noch gebraucht?
Es wird immer Jobs geben, die nicht gänzlich im Homeoffice stattfinden können. Dazu gehören beispielsweise Berufe in den Bereichen Gesundheit, Erziehung und Produktion. Aber auch hier kann darüber nachgedacht werden, ob einigen Tätigkeiten wie die Dokumentation in der Pflege nicht auch zu Hause erledigt werden können. Generell ist aber zu fragen, ob das ausschließlich zu Hause Arbeiten wirklich wünschenswert ist. Flurgespräche  mit Kollegen, aber auch der spontane Austausch von wichtigen Informationen bleiben im Homeoffice aus. Damit Beschäftigte nicht professionell isoliert sind, ist das richtige Maß an Heimarbeit zentral. Beispielsweise können zwei Tage in der Woche zum konzentrierten Arbeiten zu Hause genutzt werden, während die restlichen Tage Meetings und Gesprächen mit Kollegen gewidmet sind.

Die SPD strebt ein gesetzlich verbrieftes Recht auf Home-Office-Arbeit für Arbeitnehmer mit entsprechenden Arbeitsplätzen an. Wie bewerten Sie das?
Ein Recht auf Homeoffice ist aus zwei Gründen wichtig. Erstens erhalten bisher nicht alle Beschäftigten, deren Tätigkeiten zu Hause erledigt werden können, die Erlaubnis, im Homeoffice zu arbeiten. Ein Recht auf Homeoffice würde diese ungleiche Behandlung beenden und wäre gerechter. Zweitens – das kling zunächst etwas überraschend - kann ein verbrieftes Recht Überstunden im Homeoffice vorbeugen. Denn solange Homeoffice ein Privileg und die Präsenz im Unternehmen maßgeblich für die Karriere ist, haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Gefühl, sich für dieses Privileg revanchieren bzw. die Verletzung der Präsenznorm durch eine höhere Leistung wieder gut machen zu müssen. Ein Recht auf Homeoffice macht aus einem Privileg einen rechtlichen Anspruch für alle und kann die Präsenznorm schwächen. Doch Vorsicht ist geboten: Neben der Gefahr der Isolation birgt Homeoffice auch das Risiko, traditionelle Geschlechterarrangements zu verstärken: Männer arbeiten zu Hause oft länger als im Office, während Frauen sich häufiger zusätzlich noch um die Kinder kümmern. Das hat meine aktuelle Studie zu diesem Thema gezeigt. Gleichstellungspolitische Maßnahmen, die eine partnerschaftliche Arbeitsteilung fördern, müssen ein Recht auf Homeoffice daher flankieren.

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