Experten registrieren in der Pandemie einen Digitalisierungsschub an den Hochschulen. Welche Entwicklungen hat es an Ihrer Einrichtung in den letzten Monaten gegeben?
Die hohe Digitalisierungsdynamik der Pandemie haben wir von Anfang an für die langfristige digitale Transformation genutzt. Wir haben unter anderem auf der Grundlage des Open-Source-Webkonferenzsystems BigBlueButton unsere eigene Kommunikationsinfrastruktur ausgebaut und diese mit der Lernplattform Moodle verbunden, die bereits vorhanden war, nun aber umfassend genutzt wird. Open-Source-Technologien bieten die Möglichkeit, Systeme schnell entlang der spezifischen und sich schnell wandelnden Bedürfnisse in Forschung und Lehre weiterzuentwickeln. Über den Ausbau und Aufbau eigener kollaborativer Open-Source-basierter Systeme schaffen wir Innovations- und Wahlmöglichkeiten und implementieren europäische Datenschutzstandards ‚by design‘. Ein anderes Beispiel ist die Veränderung des Arbeitens: Um dauerhaft das mobile und räumlich flexible Arbeiten für alle zu ermöglichen, sind Laptops nun zur Standardausstattung geworden.
IT-Experten an den Hochschulen befürchten, dass Mittel für Digitalisierung nach der Pandemie nicht mehr im gleichen Umfang zur Verfügung stehen - wie lässt sich der Digitalisierungsschub verstetigen?
Digitalisierung an öffentlichen Universitäten braucht Kooperation, damit Lösungen für alle zur Verfügung stehen und perspektivisch die Skalierung digitaler Lösungen universitätsübergreifend eine Option wird. In Österreich wird die Kooperation in universitätsübergreifenden Digitalisierungsprojekten durch das Wissenschaftsministerium (BMBWF) gefördert. Wir VizerektorInnen für Digitalisierung haben uns im Rahmen der Österreichischen Universitätenkonferenz (uniko) in einem Forum zusammengeschlossen, um diese Kooperation sowohl praktisch als auch politisch aktiv voranzutreiben. Dabei geht es um gemeinsame Software-Entwicklungsprojekte, um den Aufbau von Infrastrukturen und Softwaretools sowie um österreichweite Lizenzverträge, um Open Science zu ermöglichen.
Zugleich setzten Universitäten ihre eigenen Schwerpunkte. An der Uni Graz setzen wir bei der Verstetigung der digitalen Transformation auf langfristige Zukunftsorientierung, hohen Nutzen und Interdisziplinarität. Dazu bauen wir einen interdisziplinären, digitalen Hub auf, mit dem wir Grundlagenforschung aus Modellierung, Simulation, Big Data und Machine Learning mit Grundlagenforschung aller interessierten Wissenschaftszweige – z.B. den Geistes- und Sozialwissenschaften - verbinden. Dieser Hub ist zugleich der Ort, wo forschungsorientierte Services verankert werden: Unterstützung im Forschungsdatenmanagement, etwa bei Datenmanagementplänen bis zur Nachnutzung von Forschungsdaten genauso wie eine Unterstützung von Drittmittelanträgen im Bereich digitalen Transformation. Für Universitäten ist ja nicht nur die Gestaltung der eigenen digitalen Transformation zentral, sondern auch die gesamtgesellschaftliche Aufgabe, wie die digitale Transformation die Demokratie der Zukunft sichert und erweitert. Universitäten sind in der privilegierten Position, sich nicht primär von technologischen Entwicklungen treiben zu lassen; sie können vielmehr die unterschiedlichen Optionen zukünftiger Digitalisierung aufzeigen und in universitären Reallaboren unter realen Bedingungen innovative digitale Technologien, Methoden, Didaktiken erproben. Damit Europa eigene Wege in der digitalen Transformation einschlagen kann, müssen Universitäten darin gestärkt werden, digitale Experimentierräume zu sein, die die Pluralität digitaler Technologien vorantreiben. Damit wird gleichermaßen der Digitalisierungsschub an den Universitäten verstetigt als auch eine demokratisch bestimmte digitale Transformation in der Gesellschaft unterstützt.
Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie in Kooperationen von Einrichtungen bei der Digitalisierung?
Kooperation und Offenheit sind die bestimmenden Charakteristika der modernen Wissenschaft und die riesige Chance der Kooperation liegt darin, dass Universitäten offene, europäische Innovationsökosysteme aufbauen können. Wenn öffentliche Universitäten europaweit Netzwerkeffekte nutzen und die Systemintegration von öffentlich geförderten Schlüsseltechnologien (wie KI) in einem offenen, öffentlichen und interoperablen Innovationsökosystem vorantreiben, dann können sie zu einem Reallabor für Open Innovation im öffentlichen Sektor werden. Die Herausforderung besteht darin, dass es auf Europäischer Ebene Förderprogramme braucht, genau solche öffentlichen, offenen Innovationsprozesse großräumig zu initiieren.
Neben der Digitalisierung der Lehre lassen sich insbesondere in der Hochschulverwaltung Prozesse digital effizienter gestalten. Welche Strategie verfolgen Sie diesbezüglich?
Wir sind dabei, Verwaltungsprozesse neu zu denken und dabei möglichst radikal zu vereinfachen statt digital nachzubauen. Je weniger der kostbaren Lebens- und Arbeitszeit durch Routineprozesse blockiert wird, desto mehr Zeit und individuelle Energie bleiben für Forschung, für Lehren, Lernen und konzeptionelle Weiterentwicklung, auch im Hochschulmanagement. Allerdings ist es im Moment so, dass entweder vieles an einzelnen Universitäten selbst entwickelt oder angepasst werden muss, um den universitätsspezifischen Rahmenbedingungen – auch den komplexen rechtlichen Bedingungen - zu genügen, oder aber es werden Standardservices verwendet, die aus dem Businessbereich kommen und die schnell Grenzen in der universitären Dynamik zeigen. Zudem werden immer mehr Softwareprodukte nur noch in den privaten Clouds der Anbieter angeboten. Das alles ist suboptimal. Optimal wäre es, wenn nicht nur verstärkt freie Software im öffentlichen Sektor und in öffentlichen Universitäten genutzt wird, sondern auch gemeinsam zu nutzende skalierbare Services aufgebaut werden, damit Digitalisierung den Verwaltungsaufwand minimiert.