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Ohne persönlichen Kontakt können Teams zerbrechen

Was flexible Arbeit verändern kann - und was nicht

Clemens Zierler, Geschäftsführer des Instituts für Arbeitsforschung und Arbeitspolitik an der Johannes Kepler Universität Linz Quelle: kneidinger-photography.at Clemens Zierler Geschäftsführer Institut für Arbeitsforschung und Arbeitspolitik an der Johannes Kepler Universität Linz 16.01.2018
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Alexander Hiller
Redakteur
Meinungsbarometer.info
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"Will man Flexibilität als Arbeitgeber, muss man auch damit leben, dass Arbeitnehmern damit mehr Autonomie zugestanden wird" der Linzer Arbeitsforscher Clemens Zierler. Vor allem in traditionellen Branchen, mit streng hierarchischen Strukturen führe diese Vorstellung oft zu Unbehagen in der Führungsetage.







Mobilität spielt für die Arbeitswelt der Zukunft eine zentrale Rolle. Viele Arbeitgeber fördern, viele Arbeitnehmer wünschen mehr Flexibilität. Ist das Büro mit festen Arbeitszeiten ein Auslaufmodell?
Flexibilität ist keine Einbahnstraße. Will man Flexibilität als Arbeitgeber, muss man auch damit leben, dass Arbeitnehmern damit mehr Autonomie zugestanden wird. Als Vorgesetzte/r muss man das auch erst einmal verkraften. Vor allem in traditionellen Branchen, mit streng hierarchischen Strukturen führt diese Vorstellung oft zu Unbehagen in der Führungsetage. Erfahrungen mit traditionell stark mobilen Vertriebsmitarbeiter/innen zeigen deutlich, dass das Management dort oft stärker reguliert und die Autonomie wieder einschränkt. Die Angst vor Kontroll- und damit Macht- und gegebenenfalls auch Bedeutungsverlust ist teilweise zu groß. In Organisationen, die sich auf neuen Arbeitsformen einlassen ist dieser Spagat aber durchaus machbar.

Das Büro mit teilweise festen Arbeitszeiten ist jedoch absolut kein Auslaufmodell. Man könnte jetzt annehmen, dass das daran liegt, dass der Büroflächenbedarf seit Jahren statistisch zunimmt. Stimmt, doch das ist jetzt nicht der Grund, weshalb ich diese Aussage bezweifle. Dramatische Umwälzungen durch technische Neuerungen, wie künstliche Intelligenzen könnten hier nämlich einiges bewegen. Vielmehr glaube ich, dass wir als soziale Wesen die Zusammenarbeit mit räumlicher Präsenz suchen. Erste Erfahrungen in Betrieben mit sehr flexiblen und mobilen Arbeitsweisen zeigen, dass auch hier regelmäßige, persönliche Treffen in einem Arbeitsumfeld nötig sind, um eine gedeihliche und positive Zusammenarbeit möglich zu machen. Wenn sich Teams nicht mindestens einmal in der Woche für eine gewisse Zeit physisch treffen, drohen sie zu zerbrechen. Videokonferenzen können hier zwar einiges abfedern, ein soziales Gefüge entsteht dadurch jedoch nicht.

Von flexibleren Arbeitsplatzmodellen erhoffen sich viele Manager und Mitarbeiter eine bessere Work-Life-Balance. Ist das realistisch, oder wird nur einfach mehr gearbeitet?
Ja, das ist realistisch, wenn sowohl Manager/innen als auch Mitarbeiter/innen das miteinander auch als gemeinsame Zielsetzung haben. Wenn eine vernünftige Work-Life-Balance das erklärte Ziel von Dienstgeber/in und –nehmer/in ist, dann hat das Aussicht auf Erfolg. Vor allem neue Technologien, allen voran Smartphones, in Zukunft vielleicht virtuelle Realitäten, schaffen viele Möglichkeiten, sodass Arbeit abwechslungsreicher und spannender aber auch gleichzeitig produktiver werden kann. Was die Beteiligten dabei aber brauchen, sind klare Regeln für den Umgang miteinander und dabei vor allem für den Umgang mit eben diesen neuen Technologien. Zum Beispiel kann vereinbart werden, dass die Vorgesetzte eine Kurznachricht an den Mitarbeiter schreibt bevor sie ihn anruft. Wenn sich der Mitarbeiter dann nicht meldet, ist er auch nicht verfügbar und damit muss die Vorgesetzte leben. Wobei mobile und flexible Arbeitsformen auch nicht für jede/n das passende Modell sein müssen. Es gibt verschiedene Arbeitstypen. Manche Menschen möchten eine klare Trennung von Arbeit und Beruf, andere wollen diese beiden Bereiche gerne integrieren. Das erfordert aber viel Selbstdisziplin auf der Arbeitnehmer- und viel Vertrauen auf der Arbeitgeberseite. Ein Verständnis dafür, dass es auch andere Arbeitstypen gibt und die Berücksichtigung des individuellen Arbeitstypus fördern sicherlich auch die Produktivität in einem Unternehmen. Die Berücksichtigung der Individualität der Arbeitnehmer/innen ist überhaupt das Erfolgsrezept der Zukunft schlechthin.

Mit steigendem Datenverkehr wachsen die Herausforderungen in Sachen Datensicherheit. Welche Vorkehrungen sollen Management und Mitarbeiter diesbezüglich treffen?
Von den erforderlichen technischen Schutzmaßnahmen abgesehen, sind die wichtigsten Dinge ganz klar Schulung und Bewusstseinsbildung aller Beteiligten für die Risiken und Gefahren digitaler Technologien. Oft gibt es jedoch auch Ängste der Arbeitnehmerinnen, dass das Sammeln von Daten zur Überwachung eingesetzt werden kann. Das ist eine durchaus berechtigte Angst. Arbeitgeber sollten hier proaktiv gegensteuern und die Arbeitnehmer bei diesen Themen intensiv in alle Prozesse einbinden. Ich kenne Unternehmen, die den Mitarbeitern die Auswertung der gesammelten Daten selbst überlassen. So können die Mitarbeiter auch dazu motiviert werden, die eigenen Arbeitsbereiche zu optimieren und zu verbessern. Und die Sorge um eine Kontrolle durch Vorgesetzte fällt gänzlich weg. Die Einbindung von Arbeitnehmer/innen in Veränderungsprozesse wird und sollte in Zukunft auf jeden Fall zunehmen. Andernfalls wird man weder das kreative Potenzial der Mitarbeiter heben können, noch sich deren Motivation sicher sein können.

Auch die Reisezeit wird immer mehr zur Arbeitszeit - welche Rolle kann aus Ihrer Sicht das selbstfahrende Auto für die Arbeit der Zukunft spielen?
Ich möchte hier die kühne These entgegnen, dass beruflich veranlasste Reisen in Zukunft eher die Seltenheit als die Regel sein werden. Ich kenne große, internationale Unternehmen, die die Reisetätigkeit ihrer Manager durch den Einsatz neuer Technologien dramatisch gesenkt haben. Man muss nicht mehr für jedes kleine Meeting quer über den Globus fliegen. Auch hier sind moderne Videokonferenzsysteme die entscheidenden Treiber der Entwicklung. Dieser Trend wird auch in anderen Bereichen Einzug halten. In der Instandhaltung zum Beispiel. Fernwartung durch Experten, die einem Laien vor Ort Anweisungen über Augmented-Reality geben, wird immer mehr zur Regel werden. Das muss man natürlich auf Basis meiner Antwort auf die erste Frage wieder etwas relativieren aber der Trend ist eindeutig. Selbstfahrende Kraftfahrzeuge werden daher bestenfalls für Berufskraftfahrer eine Veränderung bedeuten. Berufe wie Taxi- oder LKW-Lenker werden sich zumindest stark verändern, wenn nicht zur Gänze wegfallen, wenn denn irgendwann einmal ein ordentliches, selbstfahrendes Fahrzeug verfügbar ist, welches bei allen Witterungslagen in Europa autonom fahren kann. Aber erlauben Sie mir eine letzte technologiekritische Bemerkung: Daran glaube ich erst, wenn der automatische Scheibenwischer an meinem Fahrzeug wirklich autonom geworden ist und mir bei ungünstigen Umständen trotzdem nicht die Sicht mit Schmutz verschmiert.

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