Wie bewerten Sie die Fortschritte der diagnostischen Anwendungen in den letzten Jahren und welche Ursachen gibt es dafür?
Eine stetige Weiterentwicklung der Diagnostik am Universitätsklinikum Tübingen ist aus meiner Sicht unverzichtbar. Insbesondere neuste innovative Technologien und Analysesysteme ermöglichen es in diesem Zusammenhang, das diagnostische Leistungsportfolio sukzessive zu erweitern, die Verfügbarkeit zu erhöhen und somit die Diagnostik weiter zu beschleunigen. Dies bildet wiederum die Grundlage für eine in Gegenwart und Zukunft gesicherte adäquate Patientenversorgung in Deutschland.
Grundsätzlich sehe ich durchaus eine Vielzahl an positiven Aspekten dieser stetigen Weiterentwicklung, wobei zugleich auch – vor allem durch die IVD-Richtlinie getriggert – bisher verlässlich eingesetzte Diagnostikprodukte fatalerweise vom Markt verschwinden bzw. bereits verschwunden sind. Die hierdurch verursachte Schrumpfung der Marktvielfalt führt in der Konsequenz dazu, dass nicht zwingend die Qualität der eingesetzten Produkte, jedoch insbesondere der Preis steigt. Ursache für den spürbaren generellen Anstieg der Kosten ist auch die sich verstärkende Fokussierung der Hersteller auf sog. Kombinationstests. Wo früher noch auf eine spezielle medizinische Fragestellung zielgerichtete Einzeltestverfahren zur Anwendung kamen, werden heute vielmehr vergleichsweise teure Kombinationsteste, die in vielen Fällen sicherlich ein diagnostisches und nicht zwingend erforderliches Überangebot verkörpern, angeboten.
Sehr gespannt sein darf man sicherlich, wie das zunehmend auch im Gesundheitssektor an Bedeutung gewinnende Thema der Nachhaltigkeit in den kommenden Jahren die Weiterentwicklung auf dem Diagnostikamarkt verändern wird.
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Inwiefern hat die Corona-Pandemie dieses Tempo als zusätzlichen Booster erhöht?
Spätestens im Rahmen der Corona-Pandemie wurde auch innerhalb der allgemeinen Gesellschaft das Bewusstsein geschärft, dass es für eine gute medizinische Patientenversorgung nicht nur den Mediziner am Patientenbett, sondern ebenso den Mediziner im Labor bedarf. Der Applaus richtete sich – wenn ich an unsere große Virologie und Mikrobiologie sowie die dortigen Mitarbeitenden denke – dennoch zu selten an die Berufsgruppen im Labor.
Im Hinblick auf den Diagnostikamarkt ergaben sich durch die Corona-Pandemie ungeahnte und zugleich massive Bedarfe. Hersteller, die eine zielgerichtete, verlässliche und bestenfalls sehr schnell verfügbare SARS-CoV-2-Diagnostik anbieten konnten, wurden teilweise über Nacht zum gefragten Partner für deutsche Gesundheitseinrichtungen und konnten dementsprechend innerhalb kurzer Zeit den eigenen Profit überproportional erhöhen. Gleichzeitig wurde auch verdeutlicht, wie stark und adäquat die gesamte Branche auf exogene Faktoren reagieren und welch durchaus beeindruckender Mehrwert innerhalb vergleichsweise kurzer Entwicklungszeit geschaffen werden kann.
Welche Rolle spielen bei der Entwicklungsbeschleunigung die Digitalisierung bzw. der Einsatz von Künstlicher Intelligenz?
Das durchaus berechtigte Streben nach einer Erhöhung von Präzision, Qualität, Schnelligkeit und dauerhafter Verfügbarkeit setzt das zeitgleiche Voranschreiten von Digitalisierung und den stärkeren Einsatz von Künstlicher Intelligenz voraus.
Labordiagnostik ist aus meiner Sicht als äußerst umfassender Prozess zu verstehen, bei dem das Beibehalten von bestimmten analogen Prozessschritten in der Zukunft nicht nur fehleranfällig, sondern – angesichts des Personalmangels – auch zunehmend riskant ist. Wichtig ist aus meiner Sicht allerdings, den Gesamtprozess – sofern dieser von Seiten des Labors beeinflusst werden kann – nach dem Motto „ein ineffizienter analoger Prozess, ist im Zweifel auch ein ineffizienter digitaler Prozess“ zu durchleuchten und gegebenenfalls komplett neu zu denken.
Zu verweisen ist jedoch darauf, dass Digitalisierung und Künstliche Intelligenz trotz des immensen Potenzials und der absoluten Notwendigkeit zumeist eine beträchtliche finanzielle Vorleistung durch die Gesundheitseinrichtungen voraussetzen. Dass sich diese Vorleistung durchaus stark auszahlen kann und die essentielle Grundlage für die Skalierung von Leistung und Umsatz des Labors sowie bestenfalls auch für ein angemessenes Anforderungsverhalten der Kliniker (Stichwort „diagnostisches Überangebot“) bildet, ist in diesem Fall erst der zweite Schritt.
Welche medizinischen Fortschritte erwarten Sie im Ergebnis dieser Prozesse in der Diagnostik?
Die medizinischen Fortschritte werden durch eine sich kontinuierlich weiterentwickelnde Diagnostik gestützt. Aus meiner Sicht werden zum Beispiel konkrete Algorithmen, die es in Teilen bereits heute gibt, dazu führen, individuelle Krankheitsbilder und Gesundheitsfragen noch adäquater behandeln und auch bisher unbekannte Gesundheitsrisiken frühzeitiger identifizieren zu können. Das Stichwort der personalisierten Medizin wird in diesem Zusammenhang sicherlich noch stärker in den Fokus rücken – für mich zunächst losgelöst von der Fragestellung, wie die sich dahinter verbergenden diagnostischen und medizinischen Aufwände in Zukunft finanzieren lassen.