Knick oder Kick? Verspielt die Industrie gerade unser Vertrauen für das autonome Fahren, nach dem tödlichen UBER-Unfall?
Das tödliche Unglück in Arizona wäre wohl auch geschehen, hätte eine aufmerksame Fahrerin das Auto gelenkt. Die Sicht war miserabel, die Stelle nicht zum Queren der Straße geeignet. Und genau hier wurden dann die Erwartungen an die Technologie enttäuscht. Über eine Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr im Straßenverkehr. Schuld ist selten die Technik. Meist sind es die Fahrer, die Geschwindigkeiten nicht einhalten, unaufmerksam sind oder betrunken fahren. Unverzeihliche Fehler, die der Bordcomputer nicht begeht. Dennoch ist der Mensch grundsätzlich zu etwas in der Lage, wo die künstliche Intelligenz noch viel lernen muss. Er kann komplexe Situationen intuitiv einschätzen, Mitmenschen anhand von Gestik und Mimik beurteilen. Er kann kommunizieren, auch ohne Worte. Ohne diese Eigenschaften würde Straßenverkehr nicht funktionieren. Wer meint, dass Autos bereits 2020 fahrerlos durch die Städte düsen, irrt.
Inwieweit tragen überstürzte Entwicklungen neuer Technologien bei, dass der Mensch nicht mehr mit kommt? Oder anders gefragt, werden Technologien wie das autonome Fahren zu überstürzt eingeführt?
Der Realitätscheck zeigt: Autonome Autos werden aktuell nicht eingeführt. Es gibt einige Testversuche, die mit erheblichen Kinderkrankheiten zu tun haben. Nur in wenig komplexen Straßensituationen, wie etwa auf einer Autobahn, kommen die Fahrzeuge gut zurecht. Im Stadtverkehr aber stellen sich ganz andere Herausforderungen. Wer autonomes Fahren erleben will, kommt auf den Campus der Berliner Charité oder besucht die Schweizer Kleinstadt Sitten. Hier fahren Kleinbusse die Besucher selbstständig umher. Schnell sind sie nicht, aber die Gäste sind begeistert, fühlen sich sicher und fassen Vertrauen in die Technologie. Es ist vor allem der öffentliche Personenverkehr der sein Angebot mit autonomen Fahrzeugen in Zukunft erweitern kann und wird. Auf der Schiene ist die Technik seit Jahrzehnten einsatzreif. Jährlich werden in Europa über eine Milliarde Fahrgäste in komplett fahrerlosen Zügen befördert.
Was können Verbände, wie der VCD in Deutschland tun, damit wir neuen Technologien wirklich vertrauen?
Wir sind kein Industrieverband, dem es darum geht, ein besonderes Produkt zu puschen. Wir stehen an der Seite von Umwelt und Verbrauchern. Eine gewisse Skepsis der Bürgerinnen und Bürger ist durchaus angebracht und auch nicht per se technologiefeindlich. Die Frage, ob ein fahrerloser Golf das Leben der Menschen wirklich besser macht, ist noch nicht geklärt.
Braucht es einen gesellschaftlichen Diskurs über die Folgen neuer Verkehrstechnologien? Würde sich dafür auch Ihr Verband engagieren?
Der Diskurs ist im Gange. Die Ethikkommission der Bundesregierung hat ein Papier vorgelegt, in dem sie klarstellt: Autonome Autos haben nur eine Daseinsberechtigung, wenn sie den Straßenverkehr sicherer machen. Diesen Beweis sind die Entwickler noch schuldig. Aber die Diskussion muss breiter werden. Unter dem Stichwort der Verkehrswende setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Mobilität der Zukunft grundlegend anders aussehen wird. Zu den drängenden Problemen zählt der zunehmende Platzmangel in den Städten, die anhaltende Luftverschmutzung und wachsende Verkehrsmengen, die den Klimawandel beschleunigen. Der Lösungsvorschlag des VCD lautet daher: Es braucht mehr Raum für Leben in der Stadt und nicht für Autos. Es braucht mehr Fuß- und Radverkehr, Busse und Bahnen, eine elektromobile, öffentliche und geteilte Flotte von Pkws und Kleinbussen. Hier kann die Technologie beitragen aber Technik allein wird die Probleme nicht lösen.
Inwieweit sollte sich die Politik in Tempo und Durchsetzung neuer Technologien einmischen? Was würde bspw. ein staatlich verordneter Zwang zum autonomen Fahren bedeuten?
Dort, wo wir heute sehen, dass die Technik einen echten Mehrwert bringt, macht eine staatliche Förderung Sinn. Beispielsweise will die Bundesregierung die sogenannte ETCS-Technik im Eisenbahnnetz installieren. Es handelt sich um eine europaweite Streckensicherungstechnologie, mit der Züge hochautomatisiert oder gar völlig fahrerlos unterwegs sein können. Man erwartet, dass so zehn bis 20 Prozent mehr Züge auf dem bestehenden Streckennetz fahren können. Angesichts der steigenden Fahrgastzahlen ist das absolut notwendig. Ein Zwang zum autonomen Fahren auf der Straße ist aber völliger Quatsch. Sicher wollen auch in Zukunft viele Autobesitzer weiterhin ihre „Freude am Fahren“ genießen. Will man die Zahlen der Unfallopfer reduzieren, gibt es wirksamere Maßnahmen, die längst einsatzreif sind. Tempo 30 in der Stadt, breitere und geschützte Radwege und sichere Fußwege. Aber das klingt vielleicht zu wenig nach Science-Fiction, als dass sich die Regierung damit beschäftigen will.