Was kann personalisierte Medizin, was die etablierte Schulmedizin nicht leistet?
Bei mir in den Laboren wird über 10 Jahren an biomimetischen Materialien für den Implantatdruck geforscht. Hier ist es entscheidend, dass z.B. auf die individuelle Physiologie des Patienten eingegangen werden muss. Wenn beispielsweise das Hüftgelenk eine andere Mechanik hat als der umliegende Knochen, wird bei hoher Belastung weiteres gesundes Substanz zerstört mit gravierenden Einschnitten für die Patienten. Ziel unserer Forschung am Fraunhofer IAP ist, dass Materialien, die wir implantieren, sich mechanisch so wie das native Material verhalten. Das ist natürlich bei jedem Menschen unterschiedlich und kann durch die richtige Materialwahl und dreidimensionale Strukturierung angepasst werden, und das an allen Organen: Knochen, durchblutetes Gewebe wie der Haut und Bindegewebe vom Herzen.
Welche Neuerungen sind in diesem Bereich kurz- und mittelfristig zu erwarten?
Kurzfristig werden personalisierte Prothesen und Exoskelettproduktion in die Krankenhäuser und die orthopädischen Praxen einziehen, analog wie es in der Zahnmedizin bereits der Fall ist. Die Technologie und Materialien für diesen Bereich sind bereits verfügbar und relativ kostengünstig zu haben. In einigen Jahren werden unsere Materialentwicklungen auch den Anforderungsprofilen der Medizinklasse 2 und 3 genügen. Wir sind auf einem guten Weg, elastische Gewebematerialien für das Herz zu entwickeln, die für 3D Technologien wie das Drucken oder Elektrospinnen geeignet sind und die hohen biologisch-medizinischen Anforderungen erfüllen.
Das derzeitige BMBF-Forschungsprojekt PolyKARD, welches Dr. Hanna Hartmann (Bereichsleiterin Biomedizin & Materialwissenschaften sowie Leiterin Regenerative Biomaterialien am NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen - siehe Debattenbeitrag) und ich gemeinsam bearbeiten, ermutigt uns auch, die Biologisierung der übernächsten Generation von Materialien zu erforschen. Eine vielversprechende Neuerung wird ebenfalls in unserem Hause mit klinischen Partnern evaluiert, indem der eigene Körper das fehlende oder verletzte Gewebe in 3D gedruckten Implantatskammern selbst herstellt und per se verträglich und im doppelten Sinne personalisert ist. Unsere neusten Materialentwicklungen und Anwendungszenarien werden wir dieses Jahr wieder auf der Medica in Düsseldorf, einer internationalen Fachmesse für Medizintechnik, vorstellen.
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Wie viel Digitalisierung erwartet uns in naher Zukunft im Gesundheitswesen, wie gläsern werden Patienten, wie steht es um den Datenschutz?
In der medizinischen Materialentwicklung hilft die Digitalisierung dem Wissenschaftler sowie den Anwendern den Überblick zu behalten, um geeignete Materialien zu identifizieren, Materialproduzenten zu finden, die zugelassene Materialien anbieten oder bei Neuentwicklungen und Forschung Synthesewege zu finden, die zu verträglichen Ergebnissen führen. Wir am Fraunhofer IAP haben z.B. in jüngsten Projekten erforscht, wie bio-funktionalisierte Materialien mittels sogenannter grüner Chemie zu erfolgsversprechenden neuen Implantat-Materialien erzielt werden können und haben dazu KI-gestützte Recherche genutzt, dessen Algorithmen mit den industriellen Anbietern dieser Systeme und unserer Spezialexpertise gemeinsam verbessert werden. Auch wird mehr und mehr die Versuchsplanung mit digitalen, statistischen Hilfsmitteln unterstützt, so dass aufwendige Parameterstudien abgekürzt werden können. Die Zeitersparnis ist häufig enorm und macht eine umfassendere Erforschung erst möglich. Wir sind damit sowohl Nutzer als auch Anbieter von digitalen Services.
Treibt die erwartete rasante Innovationsgeschwindigkeit nicht einen ständigen Technologiewechsel und damit die akute Ressourcenverschwendung an?
Klinische Medizin, wie wir sie in unserer westlichen Zivilisation kennen, ist ressourcenintensiv. Einweg-Lösungen scheinen im Namen der notwendigen Hygiene das kleinere Übel zu sein. Eine aktuelle Studie aus dem EMPA in St. Gallen hat gerade erst angefangen, das Polymeraufkommen in deutschen Krankenhäuser zu erheben. Ein Paradoxon dieser Studie beschreibt plastisch, wie die Recycling-Maßnahmen des Krankenhauses durch Mülltrennung dadurch konterkariert werden, dass der Hygienebeauftragte die sortenreinen Plastikwertstoffe aus Gründen der Kontaminations-Gefährdung verbrennen lässt. Für uns als Forscher am Fraunhofer IAP sind Nachhaltigkeit bei der Materialauswahl und Ressourcensparsamkeit bei der Technologie wie dem 3D-Druck eine Grundvoraussetzung und Motivation für viele junge Forscher.