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Ist Home Office ungerecht?

Welche Fragen in der Wissenschaft geklärt sind - und was offen bleibt

Prof. Dr. Susanne Steffes, Senior Researcher Arbeitsmärkte und Personalmanagement Labour Markets and Human Resources am ZEW – Leibniz Centre for European Economic Research Quelle: Borchard A.Loeffler Prof. Dr. Susanne Steffes Senior Researcher ZEW – Leibniz Centre for European Economic Research 11.04.2019
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"In unseren Beschäftigtenbefragungen sehen wir, dass sehr viele nur einzelne Stunden zu Hause arbeiten", erklärt die Mannheimer Forscherin Prof. Dr. Susanne Steffes. Zudem würden oft nur einzelne Tage zu Hause gearbeitet. Das bringt private und berufliche Vorteile, birgt aber auch Risiken.







Die Zahl der Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Arbeit im Home Office erlauben, ist stark angestiegen. Worin liegen die Vorteile des Home Office für Unternehmen und Beschäftigte?
Ist diese Zahl wirklich stark gestiegen? Ich kann bestätigen, dass immer mehr Unternehmen Home Office-Möglichkeiten anbieten. Aber man muss auch genau schauen, was damit überhaupt gemeint ist. Im Jahr 2018 haben laut des repräsentativen IAB-Betriebspanels, 26 Prozent der Betriebe ihren Beschäftigten die Möglichkeit geboten, mobil zu arbeiten. Davon erlauben 4 Prozent ausschließlich das Arbeiten von unterwegs aus, zum Beispiel wenn die Beschäftigten auf Dienstreise sind. In Betrieben mit mindestens 50 Beschäftigten aus dem Privatsektor, ist der Anteil zwischen 2014 und 2016 von 30 auf immerhin 37 Prozent gestiegen. Davon erlaubt etwa die Hälfte ausschließlich unregelmäßiges Home Office.

Nun zu den Vorteilen: Unternehmen wie auch Beschäftigte selbst sehen die größten Vorteile in der Flexibilität der Beschäftigten, der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie und in der Ersparnis von Pendelzeit. Dies würde ich als private Vorteile bezeichnen. Für die Unternehmen wie für Beschäftigte rangieren erst dahinter die beruflichen Vorteile: dass die Beschäftigten auch erreichbar sind, wenn sie unterwegs sind und dass die Produktivität steigt. Viele Beschäftigte sagen, dass sie zu Hause manche Tätigkeiten besser ausüben und insgesamt mehr Stunden arbeiten können.

Untersuchungen zeigen, dass im Home Office mehr Überstunden geleistet werden. Wie sollten die Mitarbeiter vor sich selbst und den Erwartungen ihrer Vorgesetzten geschützt werden?
Die Frage ist erst einmal, ob Home Office wirklich zu einer Steigerung der Überstunden führt, oder ob da etwas anderes dahinter steckt. Zum Beispiel können Arbeitnehmer, die ein hohes Maß an Autonomie und Entscheidungsspielraum in ihrem Job haben, eher Home Office machen. Führungskräfte haben im Durchschnitt mehr als doppelt so häufig die Möglichkeit, Home Office zu machen. Diese Art von Jobs impliziert aber auch eine höhere Anzahl an Arbeits- und Überstunden. Leider ist es sehr schwer, kausale Evidenz für die Effekte von Home Office zu generieren. Dazu braucht es Feldexperimente, in denen manche zufällig ausgewählte Beschäftigte Home Office machen können und andere nicht.

Wie kann man Mitarbeiter schützen? Auf jeden Fall sollte offen und klar über die Kommunikationskultur gesprochen werden. Es kann geregelt werden, inwiefern abends oder am Wochenende telefoniert wird oder Emails ausgetauscht werden. Führungskräfte haben hier eine starke Vorbildfunktion und sie können durch Gespräche mit den Mitarbeitern ein über das notwendige Maß hinausgehende Engagement steuern.

40 Prozent der heutigen Arbeitsplätze wären Home Office-fähig. In welchem Umfang wird das klassische Präsenz-Büro künftig überhaupt noch gebraucht?
Es ist unwahrscheinlich, dass die Home Office-Fähigkeit eines Arbeitsplatzes notgedrungen dazu führt, dass es in Zukunft keine Präsenz-Büros mehr gibt. Dazu ist der direkte Kontakt mit Kollegen und Vorgesetzten viel zu wichtig. Wenn wir über mobiles Arbeiten oder Arbeiten von zu Hause sprechen, dann geht es ja auch nicht darum, dass die meisten gar nicht mehr an den Arbeitsplatz kommen. In unseren Beschäftigtenbefragungen sehen wir, dass sehr viele nur einzelne Stunden zu Hause arbeiten. Und darüber hinaus sind es wieder nur einzelne Tage, an denen die Arbeitnehmer Homeoffice machen. Somit stellt sich die Frage nach dem Abbau des Präsenz-Büros nicht wirklich.

Die SPD strebt ein gesetzlich verbrieftes Recht auf Home Office-Arbeit für Arbeitnehmer mit entsprechenden Arbeitsplätzen an. Wie bewerten Sie das?
Ich habe ein wenig Bauchschmerzen bei diesem Thema und zwar aus folgendem Grund: Viele Arbeitsplätze sind nicht geeignet für Home Office, das sehen sowohl die Unternehmen als auch die Beschäftigten so. Selbst wenn durch den technologischen Wandel diese Hürde immer weiter abgebaut wird, wird es in naher Zukunft immer Arbeitsplätze geben, die nicht geeignet sind. Im Sommer werden wir eine Studie veröffentlichen, die Folgendes zeigen: Beschäftigte, die gerne Home Office machen möchten, es aber nicht können, haben eine niedrigere Arbeitszufriedenheit als Beschäftigte, die gelegentlich zu Hause arbeiten. Und dies ist vor allem der Fall, wenn sie in einem Umfeld arbeiten, in dem viele Arbeitsplätze für Home Office geeignet sind. Die Frage ist also, ob ein Recht auf Home Office nicht das Gerechtigkeitsempfinden in den Unternehmen und damit auch den Zusammenhalt von Belegschaften beeinträchtigen könnte. Dies ist allerdings erst einmal nur eine Hypothese.

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