Der neue ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm kündigt Einschnitte im Programm an, falls die Rundfunkbeiträge nicht wenigstens um einen Teuerungsausgleich ansteigen. Wie bewerten Sie das? Insbesondere auch da die KEF im Dezember verbreitete, dass die Öffentlich-Rechtlichen bis 2020 mit weniger Geld auskommen müssten, als sie angemeldet haben.
Bei der Berechnung des Teuerungsausgleichs für die einzelnen Leistungsarten müssen unterschiedliche Teuerungsraten berücksichtigt werden, die dann zu einem gewichteten Durchschnitt zusammengefasst werden. Das ist schwierig, weil sich durch die Digitalisierung und die damit verbundene Ergänzung und Ersetzung linearer Angebote durch nicht-lineare Angebote die spezifischen Teuerungsraten und die Anteile der einzelnen Leistungen stark und schnell verändert haben und weiter verändern. Zudem sind bei diesen Berechnungen nicht die tatsächlichen Ausgaben zugrunde zu legen, sondern die bei einem effizienten wirtschaftlichen Verhalten erforderlichen Normausgaben. Strittig ist dabei unter anderem, inwieweit kostensenkende Produktivitätsfortschritte, etwa als Folge der Digitalisierung, mehr oder minder pauschal zu berücksichtigen sind. Ob der von der KEF veranschlagte Teuerungsausgleich angemessen ist, lässt sich deshalb nur schwer beurteilen.
Fällt er zu gering aus, sind Programmeinschnitte in der Tat erforderlich. Diese müssen aber nicht notwendigerweise die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags beeinträchtigen, etwa wenn sie sich auf Programmangebote beschränken, die primär die individuellen Wünsche der Zuschauer nach Unterhaltung und Information befriedigen, nicht aber den vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwarteten gesellschaftlichen und gemeinwohlförderlichen Zielen dienen. Ich denke hier z. B. an die Vielzahl von Kochshows, Quizsendungen, (Winter-)Sport-Veranstaltungen und Talkshows (siehe unten), die sich in der ARD und im ZDF breit gemacht haben, obwohl ähnliche Angebote auch von den Privatsendern angeboten werden. Deren Rückschnitt ist nicht nur bei einem fehlenden Teuerungsausgleich erforderlich, sondern generell sinnvoll, weil dadurch Mittel für innovative gemeinwohlförderliche Rundfunk- und Online-Angebote freigesetzt werden könnten, die den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag besser erfüllen. Diese Entscheidungen sind aber nicht von der KEF zu treffen, sondern von den Anstalten und ihren Gremien.
Es gibt andererseits auch Argumente für eine über den Ausgleich der Teuerungsrate hinaus gehende Erhöhung der Finanzausstattung der öffentlich-rechtlichen Medien. Sie ergeben sich allgemein aus der zunehmenden Bedeutung der über glaubwürdige Medien zu führenden öffentlichen Kommunikation, aktuell vor allem über globale Konflikte, Immigrations- und Integrationsaufgaben, die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Demokratie oder die Bewertung von Einkommens- und Vermögensunterschieden. Argumente für eine Verbesserung der Finanzausstattung der öffentlich-rechtlichen Medien lassen sich zudem aus dem Umstand ableiten, dass es durch die Digitalisierung und Entlinearisierung für die Mediennutzer einfacher geworden ist, Eigennutz stiftende Inhalte (die Publikum beschaffen) von gemeinwohlförderlichen Inhalten (die den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag erfüllen) zu separieren, wodurch die in der analogen linearen Medienwelt mögliche und übliche Verkopplung zwischen ersteren und letzteren schwieriger bzw. teurer geworden ist, sowohl für kommerzielle Anbieter, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen, als vor allem auch für die öffentlich-rechtlichen Anstalten, deren zentrales „Geschäftsmodell“ dadurch an Wirksamkeit verloren hat und die unter diesen veränderten Bedingungen mehr Geld ausgeben müssen, um ihren Programmauftrag im früher üblichen und politisch gewollten Umfang erfüllen zu können. Konkret ergeben sich dadurch z. B. Mehrausgaben für nicht-lineare Online-Angebote und deren Verbreitung über neue Wege und Plattformen oder auch für zuschauerattraktives „Anfütterungsmaterial“ (Beispiel Sportrechte), mit dem sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk die zur Erfüllung seines Programmauftrags erforderlichen großen Publika beschaffen kann.
Programmlich sieht der neue ARD-Vorsitzende vor allem die Talkshows als „zu dominant“ an – sind diese Formate aus Ihrer Sicht überpräsent im öffentlich-rechtlichen Fernsehen?
Die Berechtigung und die Anteile am öffentlich-rechtlichen Gesamtprogramm hängen bei Talkshows – wie bei allen Formaten – letztlich davon ab, inwieweit sie zur Erfüllung des Programm- bzw. Funktionsauftrags beitragen. Da dieser in den Mediengesetzen aus guten Gründen nur abstrakt beschrieben wird und schwer quantifizierbar ist, gehen die Meinungen darüber weit auseinander. Ich würde Herrn Wilhelm zustimmen, wenn er an Talkshows denkt, die die öffentliche Kommunikation kaum befördern (oder gar beeinträchtigen), weil sie in einer boulevardisierenden, trivialisierenden oder polarisierenden Weise geführt und moderiert werden, ihre Themen publizistisch und gesellschaftlich wenig relevant oder bereits anderswo durchgekaut worden sind oder die daran teilnehmenden (oft prominenten) Diskutant/inn/en über zu wenig Sachkenntnisse verfügen. Hingegen sehe ich für Talkshows zu gesellschaftlich dringenden und aktuellen Themen, etwa der Kultur-, Bildungs- oder Integrationspolitik, die von kompetenten Fachleuten geführt und konstruktiv, integrativ und fair moderiert werden, durchaus noch Luft nach oben.
Bei vielen strukturellen Änderungen, wie Sender-Zusammenlegungen oder Kooperationen, verweist der neue ARD-Vorsitzende auf die Rechtslage, wobei sich aus Rundfunk- und Kartellrecht Widersprüche ergeben. Welches sind die wichtigsten Veränderungen am Rechtsrahmen, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk für seine Zukunft braucht?
Die Ursachen für die mangelnde Kooperation von öffentlich-rechtlichen Anstalten liegen weniger in Widersprüchen zwischen Rundfunk- und Kartellrecht als in den Eigeninteressen der einzelnen Sender, vor allem ihren Autonomiebestrebungen. Diese haben eine sachlich und ökonomisch gebotene engere Zusammenarbeit, bei den ARD-Landesrundfunkanstalten auch eine sachlich angemessene Regelung des Finanzausgleichs und sinnvolle Fusionen bisher verhindert. Hinzu kommt die mangelnde Transparenz der durch Mehrfachzuständigkeiten und durch den Verzicht auf Kooperationen verursachten Kosten. Auch die Verteilung der Beitragseinnahmen zwischen den ARD-Anstalten (nach dem Prinzip des örtlichen Aufkommens) schafft keine Anreize für kostensenkende Kooperationen und Fusionen. Berücksichtigt werden sollte auch, dass die föderale Vielfalt unserer öffentlich-rechtlichen Angebote zwar durchaus Vorteile hat, die den damit verbundenen Verzicht auf Größen- und Fühlungsvorteile rechtfertigen können, diese Vorteile aber nicht gebetsmühlenhaft für alle Aufgabenbereiche bemüht werden können. Sie fehlen vor allem bei technischen und organisatorischen Aufgaben. Von daher sind die von den Anstalten dazu vorgeschlagenen Veränderungen in den Bereichen Produktion, Verwaltung und IT-Standardisierung überfällig, und darüber hinaus gehende Veränderungen sind wünschenswert.
Streit gibt es insbesondere auch um die öffentlich-rechtlichen Digitalangebote, insbesondere Presseverlage fühlen sich durch diese bedroht. Welche Inhalte sollten die Öffentlich-Rechtlichen im Netz verbreiten?
Die Produktion und Verbreitung nicht rentabler gemeinwohlförderlicher Inhalte und der Verzicht auf die Produktion und Verbreitung rentabler gemeinwohlschädlicher Inhalte wird von dem Gemeinwohl verpflichteten Medien seit jeher erwartet. Die Presse und mit Einschränkungen auch der kommerzielle Rundfunk konnten diese Erwartungen in der analogen Medienwelt selbst unter den Anforderungen des Marktes weitgehend erfüllen, indem sie massenattraktive und profitable eigennutzförderliche Inhalte mit weniger attraktiven und nicht-profitablen gemeinwohlförderlichen Inhalten verknüpft und dadurch die letzteren durch die ersteren quersubventioniert haben.
Mit der Digitalisierung und Entlinearisierung der Medien sind solche Verknüpfungen schwieriger geworden (siehe Frage 1), sowohl für textbasierte als auch für audiovisuelle und auditive Inhalte. Zugleich ist damit der Wettbewerbsdruck durch rein kommerziell ausgerichtete Medienanbieter gestiegen, vor allem durch global agierende Akteure wie Amazon, Facebook und Google, die Eigennutz stiftende Medieninhalte bereitstellen, auf eine Verknüpfung mit gemeinwohlförderlichen Inhalten aber verzichten oder sogar eine Gemeinwohlschädlichkeit ihrer Angebote in Kauf nehmen. In einem derart entfesselten globalen Medienmarkt ist die Luft für den gemeinwohlförderlichen Journalismus dünner geworden. Es ist absehbar, dass er bald nicht mehr finanziert werden kann. Langfristig wird es deshalb eher darum gehen, den gemeinwohlförderlichen Journalismus durch öffentliche Einnahmen am Leben zu halten, als darum, die aus nicht-marktlichen Einnahmen finanzierten öffentlich-rechtlichen Angebote, insbesondere seine presseähnlichen Angebote, einzuschränken.
Dazu könnte eine dem Rundfunkbeitrag ähnliche Medienabgabe eingeführt werden, es könnten aber auch größere Teile des derzeitigen (dann auch auszuweitenden) Rundfunkbeitrags an die Presse und andere nicht-öffentlich-rechtliche Anbieter gemeinwohlförderlicher Medieninhalte ausgeschüttet werden. Dass die bisherige unternehmerische Unabhängigkeit der Presse bei einer solchen öffentlichen Finanzierung verloren geht, sollten die Verleger akzeptieren, zumal sie über diese Frage aufgrund der hohen Systemrelevanz des Journalismus für die Mediengesellschaft auch nicht allein entscheiden können. Ihre Bedenken, dass die öffentliche Finanzierung auch ihre journalistische Unabhängigkeit einschränkt, sind allerdings berechtigt. Deshalb müssen geeignete Strukturen, Prozesse und Kriterien entwickelt werden, mit denen gemeinwohlförderliche Medieninhalte staatsfern bestimmt und finanziert werden können. Die guten wie schlechten Erfahrungen mit den hierzu für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk entwickelten Lösungen sollten dabei berücksichtigt werden.