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Forscher sieht mehr Reformbedarf beim Medien- als beim Kartellrecht

Wer die Internetriesen wie unter Kontrolle bekommen sollte

Prof. Dr. Ralf Müller-Terpitz, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Recht der Wirtschaftsregulierung und Medien Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim Quelle: Uni Mannheim Prof. Dr. Ralf Müller-Terpitz Professor Universität Mannheim 09.02.2018
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Mit der 9. GWB-Novelle, die im Sommer letzten Jahres in Kraft getreten ist, hat sich das deutsche Kartellrecht bereits gut an die digitale Welt angepasst", schätzt Prof. Dr. Ralf Müller-Terpitz von der Uni Mannheim ein. Eigentlich müssten ganz andere Regulierungen und Institutionen gestärkt werden.







Die Politik strebt angesichts der Marktmacht einzelner Internetkonzerne eine Modernisierung des Kartellrechts in Bezug auf die Digitalisierung und Globalisierung der Wirtschaftswelt an. Was wären Ihre wichtigsten Forderungen für eine solche Modernisierung?
Mit der 9. GWB-Novelle, die im Sommer letzten Jahres in Kraft getreten ist, hat sich das deutsche Kartellrecht bereits gut an die digitale Welt angepasst. Insbesondere die klarstellenden Regelungen für Märkte mit (scheinbar) unentgeltlichen Leistungen, für mehrseitige Märkte und für Netzwerke ermöglichen eine angemessene Kontrolle digitaler Plattformen. Das Kartellrecht bietet deshalb schon heute die Möglichkeit, auf rechtswidriges Verhalten marktmächtiger Internetkonzerne zu reagieren. Hinzu kommt, dass es sich beim Kartellrecht um einen flexiblen Rechtsrahmen handelt, der generell dynamisch auf neue, digitale Sachverhalte angewendet werden kann.

Anders verhält sich dies jedoch für Rechtsbereiche außerhalb des Kartellrechts. Denn das Kartellrecht ist nur bedingt zur Erreichung nichtwettbewerbsrechtlicher Ziele geeignet. Aktuell wird insoweit etwa diskutiert, ob das Kartellrecht das richtige Instrument zur Ahndung datenschutzrechtlicher Verstöße durch marktmächtige Internetkonzerne oder zur Bekämpfung vorherrschender Meinungsmacht, die durch Internetplattformen verstärkt werden könnte, ist. Marktmacht und Meinungsmacht sind zwei verschiedene Dinge. Auch ist Meinungsmachtkontrolle Angelegenheit der Länder. Im Landesmedienrecht müssen deshalb die bislang noch fernsehzentrierten Vorschriften zur Medienkonzentrationskontrolle dringend auf andere medienrelevante Akteure erweitert werden. Auch sollte das Medienrecht um Bestimmungen zur Regulierung von meinungsrelevanten Intermediären (Suchmaschinen, soziale Medien) ergänzt werden. Hier ist etwa an Regelungen zu denken, die den Zugang zu und die Nutzung von marktmächtigen Internetplattformen an Kriterien wie Transparenz und Diskriminierungsfreiheit knüpfen. Unterm Strich sehe ich den größeren gesetzgeberischen Handlungsbedarf deshalb eher im Medien- und Datenschutz- als im Kartellrecht.

Einige Experten fordern eine eigene Regulierungsbehörde für das Internet, weil die klassischen Institutionen inhaltlich, rechtlich und personell nicht für die schnelle digitale Welt geschaffen seien. Wie sehen Sie das? Können z. B. Behörden wie die BNetzA, die nach Markt-Liberalisierungen entstanden sind, da ein Vorbild sein?
Ich wäre da sehr zurückhaltend. Wir haben bereits eine Reihe unabhängiger Institutionen, die sich intensiv mit digitalen Phänomenen befassen und insoweit über spezifischen Sachverstand verfügen. So kontrollieren und gestalten die Kartellrechtsbehörden die wettbewerblichen und die BNetzA die netzinfrastrukturbezogenen Aspekte des Internets. Daneben befassen sich die Landesmedienanstalten mit den inhaltlichen Fragen der digitalen Welt. Anstatt eine neue Internetregulierungsbehörde ins Leben zu rufen, die sich den erforderlichen Sachverstand erst mühsam aneignen müsste, wäre es sinnvoller, zu prüfen, ob diese unabhängigen Institutionen über das Instrumentarium, die Struktur und die personelle Ausstattung verfügen, um die sich stellenden Aufgaben bewältigen zu können. Auch halte ich den durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz neu akzentuierten Ansatz, hierfür die Internetkonzerne selbst stärker in die Pflicht zu nehmen, für den grundsätzlich richtigen Weg. Allerdings müsste dieses System der regulierten Selbstregulierung besser mit den genannten Institutionen, insbesondere mit den Landesmedienanstalten, verzahnt werden.

Soziale Netzwerke leben vom Austausch einer möglichst breiten Nutzerschaft. Wie könnten sich solche Angebote kartellrechtlich regulieren lassen, ohne ihren Sinn zu verlieren?
Wie oben bereits erwähnt, befasst sich das Bundeskartellamt bereits mit diesen Fragen. Dieses, aber auch andere Verfahren – ich denke da vor allem an die Google-Entscheidung der EU-Kommission – zeigen, dass im Einzelfall Kontrolle möglich ist, ohne die Funktionsfähigkeit eines sozialen Netzwerks oder einer sonstigen digitalen Plattform grundsätzlich zu untergraben. Bei einer kartellrechtlichen Kontrolle geht es ja nicht darum, den Austausch zwischen möglichst vielen Nutzern zu verhindern. Diese wie andere Regulierungsmaßnahmen betreffen zumeist nicht die Aktivitäten der Nutzer an sich, sondern sind diesen vorgelagert, etwa indem sie einen Rahmen für die Funktionsweise von Algorithmen abstecken, festlegen, inwieweit ein Netzwerkbetreiber mit den Daten der Nutzer handeln oder eigene Angebote gegenüber solchen Dritter privilegieren darf. Hierfür Regeln zu setzen oder im Einzelfall einzugreifen ist möglich, ohne die Struktur und den Nutzen eines sozialen Netzwerks zu beeinträchtigen.

Probleme ergeben sich eher aus der fehlenden Interoperabilität sozialer Netzwerke und aus der noch mangelnden Portabilität von Nutzerdaten. Die daraus resultierenden Log-In-Effekte sichern den großen Playern erhebliche Marktmacht. Hier sind Anpassungen der Rechtslage denkbar und erwägenswert. Mit der EU-Datenschutzgrundverordnung und ihrem Recht auf Datenübertragbarkeit wurde insoweit auch ein erster Schritt getan.

Die Internetriesen wachsen auch, weil sie Start-ups kaufen, bevor diese zu echten Konkurrenten heranwachsen – wie lässt sich das kartellrechtlich steuern?
Dieses Problem wurde mit der letzten Kartellrechtsreform angegangen: Nunmehr kann die Fusionskontrolle auch dann eingreifen, wenn die an der Fusion beteiligten Unternehmen zwar nicht die dafür vorgesehenen Umsatzschwellenwerte überschreiten, wohl aber der Transaktionswert der Fusion eine bestimmte Höhe erreicht. Ich halte das für eine sinnvolle Ergänzung der Fusionskontrolle, die in Zukunft Fälle wie die Übernahme von Whatsapp durch Facebook einer kartellrechtlichen Überprüfung unterwerfen wird.

Die fünf größten Konzerne sind Wachstumstreiber an der Börse, die sogenannten FAANG-Aktien haben Billionen-Werte. Welche Auswirkungen könnten regulatorische Maßnahmen auf die Finanzwelt haben?
Welche Rolle die deutsche oder europäische Internetregulierung für die Finanzwelt oder den Börsenwert der großen Internetkonzerne haben könnte, vermag ich als Jurist nicht zu prognostizieren. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass die auf politischer Ebene diskutierten Regulierungsmaßnahmen auf keines der aktuellen Geschäftsmodelle gravierende Auswirkungen hätten oder diese gar unrentabel machten. Weder die Google-Entscheidung des EuGH noch diejenige der EU-Kommission hatten meines Wissens signifikanten Einfluss auf den Börsenwert dieses Unternehmens.

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