Rock-Musiker, DJs, klassische Orchester, Schriftsteller – immer mehr Künstler setzen in der aktuelle Krisen-Situation auf das Streaming ihrer Events im Internet. Welche Vorteile bringen solche Angebote aus Ihrer Sicht für die Künstler und Häuser?
Die Streamingangebote - angefangen vom Schriftsteller oder Gesangssolisten bis zu Orchestern und Musikensembles - sind keinerlei Ersatz für ausgefallene Konzerte und Veranstaltungen. Sie können nützlich sein zur Selbstmotivation, zur Überbrückung frustrierender Leerzeiten, zur teilweise ironischen und sarkastischen Sichtweise der zurzeit beklemmenden Situation und letztlich dazu dienen, das Publikum bei Laune zu halten und selbst nicht in Vergessenheit zu geraten. Das ist ja vergleichbar mit Kochsendungen: Beim Zugucken wird man nicht satt, höchstens hungrig. Und was vollkommen fehlt ist die emotionale Interaktion zwischen KünstlerInnen und Publikum, die Atmosphäre, der Applaus, die gespannte Stille. So wie es auch einen großen Unterschied macht, ob ich meinem Enkel selbst Märchen vorlese oder ob ich ihn vors Handy, Laptop oder den Fernseher setze. Empathie ist nicht digitalisierbar.
Derzeit setzen viele Streams auf die Finanzierung durch Spenden – inwieweit kann das einen Beitrag zur Finanzierung von Kultur leisten?
Die Finanzierung von Kulturereignissen durch Spenden hat eher Symbolcharakter. Spenden sind gerade mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Dies könnte vielleicht in Notsituationen einzelnen Künstlern marginal etwas nützen, keinesfalls aber größeren Ensembles, die auf öffentliche Zuwendungen und Eintrittsgelder angewiesen sind. Zudem will ich "fundraising", was etwas höflicher klingt, eigentlich nicht erhalten als Künstler. Ich finde das irgendwie unwürdig. Genauso wie das aufgestellte Körbchen am Ausgang "Für die Künstler". Dann lieber gleich umsonst! Förderung ja, aber Spenden höchstens für Projekte. Und zwar für solche, die direkt der Interaktion zwischen Menschen dienen, wie z.B. musikpädagogische Projekte.
Mit welchen anderen Finanzierungsmodellen können Streams vielleicht auch dauerhaft einen Produktionskostenbeitrag zu kulturellen Angeboten leisten?
Keine Ahnung. Wir Musiker haben Musik studiert, Harfe oder Gesang, Geige oder Klavier, Dirigieren oder Komposition. Oder auch Musikpädagogik. Finanzierungsmodelle zu kreieren ist eher eine Sache für Spezialisten aus dem Bankgewerbe oder für Profis der Verwertung von Leistungsrechten. Auch Werbefachleute könnten darauf ihre Aufmerksamkeit lenken. Im Allgemeinen aber sind Künstlerinnen und Künstler mit solchen Perspektiven überfordert, und viele werden es nicht wünschen, dass ihre Kunstbeiträge zwischen Werbeblocks eingeklemmt werden.
Zuletzt eine Prognose: Welche Teile der derzeit entstehenden Streaming-Kultur können auch nach der Krise noch relevant sein?
Ich denke, dass vielleicht einige Teile der Streamingangebote höchstens einen Werbecharakter für künftige öffentliche Veranstaltungen haben können. Andererseits aber könnte sich der Videostream auch zum Ersatz bzw. als Alternative oder Variante des reinen Tonträgers entwickeln. Es ist kaum zu glauben, um ein wievielfaches Videostreams häufiger als reine Audiodateien angeklickt werden. Ob damit was zu verdienen ist? Wahrscheinlich nicht für die Künstler, aber das gilt ja schon längst auch für CDs. Eine besondere Herausforderung für Musikverlage. Immerhin gibt es schon Möglichkeiten, z.B. einzelne Stimmen im Chorgesang so hörbar zu machen, dass das Mitsingen zuhause geübt werden kann. Oder eine Orchesterbegleitung kann gestreamt werden, während der Soloflötist dazu spielt - jedoch nur für Übzwecke. So kann es auch sehr hilfreich sein für Sänger, wenn sie die Klavierbegleitung für Liederabende, Oratorien oder Opern streamen können und beim Mitsingen ihre Texte auswendig lernen können. Alles aber kein Ersatz für authentische künstlerische Live-Präsentation vor echtem Publikum. Das Publikum will echte und lebendige Menschen auf der Bühne sehen und hören, die Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne brauchen ebenfalls lebendige Gegenüber, die sie begeistern können.
Auf Spendenbasis ist kein ■ ■ ■
Was Streaming für Künstler bringt - und was nicht
EIN DEBATTENBEITRAG VON
Gerhard Ruiss
Geschäftsführer
IG Autorinnen Autoren Österreichs