Rock-Musiker, DJs, Kleinkünstler, klassische Orchester, Schriftsteller – immer mehr Künstler setzen in der aktuellen Krisen-Situation auf das Streaming ihrer Events im Internet. Welche Vorteile bringen solche Angebote aus Ihrer Sicht für die Künstler und Häuser?
Die meisten jetzigen Streaming-Angebote sind reine Notwehrmaßnahmen gegen das drohende Verschwinden und Vergessen. Ihr großer Vorteil ist, man kann abwesend anwesend bleiben, ihre größte Schwäche ist, in einer medial zumeist nicht besonders eigenständigen Form, sondern dokumentarisch für etwas anderes, das eigentlich stattfinden sollte, aber nicht stattfinden kann. Streaming-Dienste, Videoplattformen, Webseiten und soziale Netzwerke gibt es ja schon die längste Zeit, sie waren nur nicht die primäre Öffentlichkeit für Veranstaltungen, sie sind es, weil die für sie primäre Öffentlichkeit nicht mehr zur Verfügung steht. Es wird jetzt sozusagen auf und in ihnen veranstaltet, weil es keine andere Möglichkeit gibt, wenn man vor Publikum spielen möchte. Bessere Aussichten bringt das keine. Plötzlich sind selbst größte Häuser und Stars in derselben Lage wie der gesamte nicht-etablierte Bereich, sie stehen ohne Spielorte da und müssen auf eigene Kosten und unbezahlt auf sich aufmerksam machen.
Derzeit setzen viele Streams auf die Finanzierung durch Spenden – inwieweit kann das einen Beitrag zur Finanzierung von Kultur leisten?
Die Spendenfinanzierung hat bereits bei den Auseinandersetzungen über das Ende des Urheberrechts eine Rolle gespielt, wo Spenden die Bezahlung von Nutzungen ablösen sollten. Natürlich können und müssen in Ausnahmesituationen Spenden eine Rolle spielen, sie können aber nicht der Regelfall für die Bezahlung von Leistungen und vor allem kein Geschäftsmodell sein. In der derzeitigen Situation geht es um die Weiterexistenz. Sobald sich die Situation wieder beruhigt hat, fallen die Gründe weg, um für Künstlerinnen und Künstler Geld zu spenden, sie können wieder von etwas leben. Es geht dann eben nicht mehr um die Aufrechterhaltung des Betriebs, sondern um Auftritte und Programme, für die man sich Karten kauft oder nicht. Auf Spendenbasis ist jedenfalls kein professionelles Arbeiten möglich, Spendenfinanzierungen funktionieren nur, wenn es um soziale Notlagen oder um Katastrophen geht.
Mit welchen anderen Finanzierungsmodellen können Streams vielleicht auch dauerhaft einen Produktionskostenbeitrag zu kulturellen Angeboten leisten?
Nur von Abrufen kann niemand leben, das zeigen alle bisherigen Erfahrungen mit Streaming-Diensten, es muss um mehr gehen, als nur darum. Es könnte Abonnementmodelle von Plattformen geben, man könnte bei Einrichtungen Premium-Mitglied werden mit Exklusivzugang zu Veranstaltungsmitschnitten, die man in Echtzeit mitverfolgen kann. Oder man organisiert einen Clubbetrieb mit Angeboten, die ausschließlich für Clubmitglieder zugänglich sind. Eine tragende Rolle werden Einnahmen aus Streaming-Angeboten bei der Finanzierung von Kulturproduktionen aber wahrscheinlich nie spielen. So lange es gut gemachte kostenlose Konkurrenzangebote oder Billigangebote gibt, werden sich solche Angebote immer in einem engen Rahmen bewegen und vielleicht gar nicht entwickeln können. Eine ganz wesentliche Frage, die sich jetzt wieder neu stellt, wird auch sein, ob die Politik endlich bereit ist, die großen Plattformen zu nennenswerten Zahlungen im Verhältnis zu den Nutzungen zu verpflichten.
Zuletzt eine Prognose: Welche Teile der derzeit entstehenden Streaming-Kultur können auch nach der Krise noch relevant sein?
Eine neue spannende Möglichkeit bietet das Herstellen einer persönlicheren Verbindung. Es gab diese Möglichkeit zwar schon bisher über Fan-Clubs oder in den sozialen Netzwerken, wo man mit „seinem Star" kommunizieren konnte, aber nicht dieser Nähe und Intimität. Von der vordersten Reihe aus, direkt angesprochen und einbezogen. Das wird man sich von beiden Seiten nicht mehr entgehen lassen wollen. Funktionieren werden solche Auftritte oder Programme von Wohnzimmer zu Wohnzimmer aber erst ab einem bestimmten Bekanntheitsgrad. Letztlich sind den Streaming-Angeboten keine Grenzen gesetzt, bis auf die ökologischen. Irgendwann nach der Corona-Krise werden wohl auch die Serverfarmen, die dazu notwendig sind, ein Thema sein.
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