Welche Auswirkungen hat der Beschluss des Niedersächsischen Landtags - den Antrag
der FDP Niedersachsen anzunehmen (Beendigung der Förderung von DAB+) - auf die
Zukunft des digitalen Radioübertragungs-Standards in Deutschland?
Der Beschluss des Niedersächsischen Landtags ist eigentlich eine recht einsame Entscheidung in einem Bundesland, welches auch bisher bei der Einführung von DAB+ zurückhaltend war. So betrachtet, dürften die Auswirkungen auf DAB+ für Deutschland insgesamt eher unbedeutend sein.
Ärgerlich – und vermutlich von den Initiatoren auch so gewollt, die vor allem einfach am noch erfolgreichen UKW-Geschäftsmodell festhalten wollen – ist die nun wieder aufkommende Diskussion über den Sinn von DAB+ dennoch, weil sie beim Verbraucher insbesondere in Niedersachsen zu Verunsicherungen führt und dadurch die Einführung von DAB+ Empfängern verzögern kann.
Die vielfältige Entwicklung neuer Programmformate und sich hieraus ergebender Geschäftsmodelle über DAB+ in anderen Bundesländern in Deutschland macht das Radio für die Zukunft fit. Programmanbieter in Niedersachsen können nun mangels Unterstützung
nicht kraftvoll auf diesen Zug aufspringen. Obendrein profitieren davon die in Niedersachsen
empfangbaren DAB+ Programme des Bundesweiten Multiplexes, sowie benachbarter
Bundesländer.
Der Landtag in Niedersachsen hat daher mit seinem Beschluss den Radiohörern und Radio-
Unternehmen in ihrem Bundesland eher geschadet als geholfen.
Laut dem Beschluss des Niedersächsischen Landtags ist DAB+ nur eine
„Übergangslösung“ und digitales Radio werde „künftig über breitbandiges Internet wie
den Mobilfunkstandard 5G“ übertragen. Für wie haltbar schätzen Sie diese Bewertung ein?
Die 5G Media Initiative machte kürzlich sehr deutlich, wie wenig Rundfunk bei 5G in den
kommenden Jahren Berücksichtigung finden wird. In den nächsten Jahren wird ein reines Mobilfunknetz für vorwiegend Punkt-zu-Punkt Verbindungen (Unicast) mit den bei Mobilfunk üblichen Flächendeckungen aufgebaut. Erst wenn dieser Aufbau erfolgt ist, könnte in einem zweiten Schritt das Netz für TV Broadcast (Multicast, High Tower High Power) als Ersatz für das aktuelle, vergleichbar effiziente DVB-T2 Netz erweitert werden. Ein Umstieg von TV auf 5G macht aus Sicht eines einheitlichen Funkstandards Sinn, aber Nutzer von terrestrischem digitalem Fernsehen müssten neue Empfangsgeräte anschaffen. Erst nachdem TV über 5G realisiert wäre, könnte in einem weiteren Ausbauschritt auch Radio in größerem Umfang über 5G realisiert werden. Für die erforderliche Versorgungssicherheit und Flächendeckung müssten die 5G Netze dafür nochmals deutlich weiter ausgebaut werden. 5G für Radio liegt also, sofern es überhaupt realisiert wird, noch in sehr weiter Ferne.
Somit bleibt die heute übliche Methode, Streaming-Angebote als Ergänzung zum terrestrischen Radio anzubieten. Ein vollständiger Ersatz von herkömmlichem Radio über Streaming ist aus vielen Gründen kaum denkbar. Eine vollständig flächendeckende Versorgung mit Streaming über 5G wird es aus ökonomischen Gründen nicht geben können. DAB+ Aussendungen haben nur einen Bruchteil des Energieverbrauchs, den Streaming-
Dienste für die Versorgung der üblichen meist 6-stelligen Hörerzahlen verursachen würden. Bei Stromausfällen und sonstigen Katastrophenlagen sind terrestrische Rundfunknetze und
somit auch DAB+ mit ihren wenigen Sendestandorten erheblich robuster, als die hochkomplex vernetzten Mobilfunknetze. Dies zeigt sich an vielen aktuellen Beispielen, wie z.B. im Februar diesen Jahres der langanhaltende Stromausfall in Berlin-Köpenick. Auch
benötigt der Rundfunk ein frei empfangbares, diskriminierungsfrei nutzbares Netz.
In Österreich sind gerade Ende Mai eine ganze Reihe Privatradios auf DAB+ on Air
gegangen, in Norwegen ist UKW abgeschaltet. Wie bewerten Sie den niedersächsischen
Vorstoß im europäischen Kontext?
Im europäischen Kontext erscheint der niedersächsische Beschluss noch exotischer und
einsamer. In nahezu allen europäischen Ländern ist DAB+ ganz deutlich auf dem Vormasch,
wie man mit Blick auf die Informationsseiten von WorldDAB (http://www.worlddab.org)
unschwer erkennen kann. Nach Norwegen steht nun auch die Schweiz nur noch wenige Jahre vor der UKW-Abschaltung. Selbst Länder, die in den vergangenen Jahren eher zurückhaltend waren, beispielsweise Frankreich oder Österreich, bauen nun DAB+ erheblich aus. Bemerkenswert ist, dass nun sogar in Schweden DAB+ mit mehreren Multiplexen Einzug hält, obwohl man sich dort vor Jahren gegen DAB+ entschieden hatte.
Vielfalt und Verkaufszahlen von DAB+ Empfängern sind beachtlich. Der wichtigste DAB+
Chiphersteller hat kürzlich die verkaufte Stückzahl von 50 Millionen DAB+ Chips verkündet. Somit ist klar: DAB+ ist der akzeptierte Standard für die Zukunft des terrestrischen Radios in Europa. Unterstrichen wird dies auch durch die EU-Einbaupflicht von Digitalradio im Fahrzeug ab 2021.
Was sind derzeit die aktuellen Forschungsschwerpunkte im Audiobereich des Fraunhofer IIS in Erlangen?
Unsere Audiotechnologien der mittlerweile vierten Generation sorgen für Telefongespräche
in CD-Qualität (EVS), ermöglichen mehr Effizienz bei Streaming und Digitalradio (xHE-AAC), oder geben dem TV-Zuschauer die Möglichkeit, den Ton individuell anzupassen (MPEG-H Audio). Daneben sind wir auch im Bereich Audiosignalverarbeitung sehr aktiv, haben beispielsweise eine Virtualisierungs-Technologie für 3D-Soundbars entwickelt, und arbeiten zusammen mit dem Fraunhofer IAIS an einem Konzept und Projektkonsortium zum Aufbau einer führenden Sprachassistenzplattform "Made in Germany". Den Herstellern von
Radiogeräten bieten wir Lösungen für Hybrid Radio Systeme an, die alle Übertragungswege
von UKW über DAB+ bis Internet Streaming kombinieren. Im Bereich Digitalradio steht ganz aktuell der neue ContentServer R7 für DAB+ und DRM bereit.
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