Der VPRT fordert bei der Digitalisierung besonderes Augenmerk auf die vielfältige private Radiolandschaft zu legen und verweist dabei auf das Grundgesetz. Muss und kann die Politik das Privatradio tatsächlich schützen?
Einen allgemeinen Bestandsschutz für Privatradio gibt es im Grundgesetz nicht. Der Staat hat aber die Freiheit der Rundfunkberichterstattung als eine unverzichtbare Grundlage von Meinungs- und Informationsfreiheit zu gewährleisten. Indirekt ist er also durchaus verpflichtet, eine vielfältige Rundfunklandschaft aus privaten und öffentlich-rechtlichen Angeboten vor Monopolbildung zu schützen. Das kann und sollte auch heißen, den Privaten einen fairen Zugang zu neuen digitalen Übertragungswegen zu sichern. Das unternehmerische Risiko durch die Konkurrenz neuer Medien und verändertes Nutzerverhalten kann der Staat aber nicht den Privatradios abnehmen.
Wie lässt es sich gesellschaftspolitisch erklären, dass Radio für den Eintritt in die digitale Welt einen Rettungsschirm verlangt, während andere Branchen den Folgen der Digitalisierung schutzlos ausgeliefert sind?
Digitalisierung ist keine biblische Plage, die unerwartet über die Wirtschaft hereinbricht. Wie jede neue Technologie erzeugt sie Anpassungsdruck, auf den einige Unternehmen besser und schneller reagieren als andere. So können öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter dank ihrer Gebührenfinanzierung die erforderlichen Investitionen und vorübergehende Verlust sehr viel leichter bewältigen als werbefinanzierte Privatradios. Die Rundfunkbranche ist aufgrund dieser, letztlich durch öffentliche Mittel verursachten Wettbewerbsverzerrung durchaus in einer Sondersituation z.B. gegenüber der rein privatwirtschaftlichen Zeitungsbranche, die die Forderung nach staatlicher Hilfe erklärt.
Die privaten Radioveranstalter sehen sich finanziell gegenüber den öffentlich-rechtlichen Sendern benachteiligt und wollen „Positivanreize“ für den digitalen Umstieg. Welche Förderung könnten Sie sich vorstellen?
Seit 2008 erhalten lokale Fernsehsender aus dem Staatshaushalt Fördermittel für Programm und Technik. Denkbar wäre eine ähnliche zeitlich begrenzte und zweckgebundene Förderung für die Digitalisierung des privaten Hörfunks. Einige Radioanbieter und Netzbetreiber haben kürzlich vorgeschlagen, hierfür die Erlöse aus der Versteigerung von Digitalfrequenzen zu verwenden, wobei diese Mittel dann aber für den Breitbandausbau fehlen würden. Vorstellbar wäre zum dritten die Bezuschussung der privatwirtschaftlichen Digitalfunknetze aus einem Teil der Rundfunkgebühren. Immerhin installiert der Bayerische Rundfunk derzeit ein eigenes bayernweites Netz unter Verwendung der Gebühren. Der Aufbau teurer Parallelstrukturen sollte im Falle einer Förderung unbedingt vermieden werden.
Während Handel und Industrie einen klaren Abschalttermin für UKW fordern, wollen die Privatradios solange es geht an ihrem analogen Geschäftsmodell festhalten und auch die ARD will sich nicht festlegen, hat unter diesen Vorzeichen terrestrisches digitales Radio in Deutschland überhaupt eine Chance?
Frühere Bemühungen um einen Abschalttermin sind unter anderem an dem langsamen Ausbau der Sendernetze und uneinheitlichen digitalen Standards gescheitert. Wen wundert es da, dass bei vielen Neufahrzeugen noch immer standardmäßig UKW-Radios geliefert werden und Hörer noch funktionierende Empfänger im Haushalt und im Auto nicht austauschen? Noch hören 93 Prozent der Deutschen Radio analog! Kein Radiosender kann sich aber den UKW-Ausstieg leisten, wenn er dadurch angestammte Hörer an noch verbleibende analoge Programme verliert. Diesen Kreislauf würde ein einheitlicher Abschalttermin zwar durchbrechen, aber durch den auf die Hörer ausgeübten Zwang gleichzeitig einen Imageschaden für das Digitalradio verursachen. Seine Zukunftschancen hängen deshalb nicht von einem Ausstiegstermin, sondern einem Ausstiegsfahrplan ab, durch den noch offene Fragen systematisch abgearbeitet werden, z.B. Regelungen zur Einspeisung von Digitalradio ins Kabelnetz und auf digitale Plattformen sowie faire Lösungen für das Problem der Auffindbarkeit von Angeboten im digitalen Überfluss. Über die Zukunft des Radios an sich mache ich mir keine Sorgen. Unabhängig vom Übertragungsweg wird es sich als unkompliziertes, passiv nutzbares und überall verfügbares „Nebenbei-Medium“ behaupten.
Während die Einführung von Digitalradio läuft, werden in Deutschland immer noch UKW-Frequenzen vergeben oder verlängert. Halten Sie das für zielführend, wenn es um die Zukunft des Radios geht?
Ja. Man sollte die verfügbaren UKW-Kapazitäten nicht künstlich verknappen, dadurch wird die Akzeptanz von Digitalradio nicht wachsen.

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